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Endlich legitimiert, bald archiviert

Pascaline Sordet
02. November 2021

Horror in Rätoromanisch: «Mundaun» ist ein Independent-Spiel aus Graubünden.

Das GameLab UNIL-EPFL, einer Forschungsgruppe der Universität und der ETH Lausanne, beschäftigt sich im Rahmen des Projekts «Pixel­vetica» auch mit Fragen der Archivierung von Games. Ein Gespräch mit Mitgründer Yannick Rochat. 

 

Sie haben das GameLab mitbegründet, was ist das genau?

Die Gründung des GameLab geht auf die Initiative von vier Personen der Philosophischen Fakultät der Universität Lausanne zurück. Es gab bereits Arbeiten zum Videospiel des vergangenen Jahrhunderts, aber keinen eigenen Kompetenzpool, der das Thema wieder zugänglich gemacht hätte. Als wir im Dezember 2016 ankündigten, das GameLab gründen zu wollen, haben wir gesehen, wie enorm die Nachfrage auf Seiten der Lehrkräfte, der Politik und der Medien tatsächlich ist.

 

Ist das Videospiel ein legitimes universitäres Studienobjekt?

Games haben eine riesige Reichweite, die Hälfte der Bevölkerung spielt sie, während die andere Hälfte ihnen mit Ignoranz begegnet. Es ist ein bisschen wie mit der Impfung, die beiden Lager verstehen sich nicht. Und doch waren Games während der Pandemie für viele ein Rettungsanker. Sie sind Ausdrucksmittel und Wirtschaftsfaktor zugleich, man kommt nicht um sie herum, was immer man davon hält. Das Interesse von Memoriav und Schweizer Nationalmuseum haben sie bereits auf sich gezogen. Die Ausstellung «Games» im Schloss Prangins, in Zürich und Schwyz war ein Riesenerfolg. Der Legitimationsnachweis ist längst erbracht.

 

Was verbindet GameLab mit dem audiovisuellen Bereich, wie wir ihn kennen?

Von den vier Gründern sind zwei aus der Abteilung Geschichte und Ästhetik des Films an der UNIL hervorgegangen. Die Filmabteilung war die erste, die Lehrveranstaltungen zur Geschichte der Games anbot, die sich, genau wie das Kino zur Zeit seiner Entstehung, erst legitimieren mussten. Lange Zeit galt das Kino ja als Schmuddelkind. Ich selbst habe Mathematik studiert, war aber immer an den Human- und Sozialwissenschaften interessiert. Der vierte ist Schriftsteller und Programmierer.   GameLab steht symbolisch dafür, dass es kein Videospiel ohne Programmierung gibt, aber auch keines ohne Inszenierung, Drehbuch, Geschichte.

 

Sie denken auch darüber nach, wie man Games archiviert. Was sollte bewahrt werden?

Es gibt keinen Konsens in Fragen der Archivierung, keine Referenztexte, auf die man sich beziehen könnte. Man kann sich dafür entscheiden, zu sammeln, was in den Handel gelangt ist, aber wie mit den Updates umgehen? Den Spielpraktiken? Den Reaktionen beim Erscheinen? Den Produktionsgeschichten? Ausserdem gibt es eine Menge Spiele, die nie in den Verkauf kommen, und das sagt auch etwas über die Industrie dahinter aus. Schliesslich ist ein Gutteil dessen, was in den Siebziger- und Achtzigerjahren entstanden ist, verschwunden. 500 Schweizer Games sind in der Presse besprochen worden; die Anzahl, die verlorengingen, schätzt man auf etwa 1500, Amateurbasteleien nicht eingerechnet. Die Archivierung ist ja nur nur das eine: man muss auch den Zugang ermöglichen, das Archiv dauerhaft nutzbar machen, mit oder ohne originale Abspielkonsole.

 

Wo geht die Archivierung von Games über diesen Bereich hinaus?

Wir haben es etwas zu tun, was in seiner Handhabung nichts Bisherigem gleicht, obwohl Filme inzwischen auch auf Festplatten und anderen digitalen Medien abgespeichert sind. Es gibt parallel verlaufende Entwicklungen, aber das Videospiel ist das schwierigste, das komplexeste Objekt. Wenn wir die Probleme bei seiner Archivierung lösen, können wir alle digitalen Medien archivieren.

Wie ist es um die Schweizer Game-Industrie bestellt?

Der Bericht des Bundesrates von 2018 («Games. Ein aufstrebender Bereich des Kulturschaffens») gab einen Überblick über das kulturelle und das wirtschaftliche Potenzial der Game-Industrie wie auch die Förderprogramme. Pro Helvetia unterhält ein Programm mit dreijährlich steigendem Budget, das immer noch aktiv ist, aber ein wenig vereinzelt dasteht. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass sich die Kantone einbringen müssen. Der Kanton Waadt beispielsweise ist gerade im dritten Jahr der Förderung. Konkret handelt es sich um etwa hundert Unternehmen unterschiedlicher Grösse, darunter Kleinfirmen, die auch Websites und Werbespiele gestalten. Hinzu kommen Hunderte von Leuten, die auf Amateurbasis programmieren und ihre eigenen Spiele untereinander spielen.


Und was betrifft das Angebot?

Manche Spiele sind rentabel, andere sollten als künstlerische Ausdrucksformen unterstützt werden. Zu den rentablen Schweizer Produkten gehört etwa das 2008 erschienene «Farming Simulator», eines der meistverkauften Spiele in Deutschland und der Schweiz. Das archetypische Beispiel für das Schweizer Independent-Spiel ist das Anfang des Jahres erschienene «Mundaun», eine Horrorgeschichte in rätoromanischer Sprache, die in Graubünden spielt. Sieben Jahre hat ein Einzelgänger für die Entwicklung gebraucht. Es ist ein wirklich untypisches Werk, überaus erfolgreich bei der Kritik, aber absolut unrentabel. Es existiert nur, weil es subventioniert wurde.

 

▶  Originaltext: Französisch

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