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Frankreichs Umgang mit Netflix

Die Fragen stellte Adrien Kuenzy
26. Mai 2023

Jérémie Kessler © CNC

Jérémie Kessler, Leiter für europäische und internationale Angelegenheiten am Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC), spricht über die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Investitionspflicht für ausländische Plattformen in Frankreich.

Welche Erfahrungen hat Frankreich mit den Steuern und Investitionspflichten für ausländische Plattformen gemacht?

Frankreich hat mit der Einführung einer Steuer nicht auf die AVMD-Richtlinie (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zur Schaffung eines EU-weiten einheitlichen Marktes für audiovisuelle Medien, Anm. d. Red.) gewartet. Das Land war diesbezüglich eine treibende Kraft, denn das CNC bezieht seit 2018 auch ausländische und insbesondere amerikanische Streaming-Plattformen mit in die Steuern ein , die dem Budget des CNC zufliessen und somit der gesamten Branche zugutekommen. In einem zweiten Schritt wurde 2021 die AVMD-Richtlinie umgesetzt und folglich die Investitionspflicht, die in Frankreich bereits für Fernsehsender und nationale Plattformen galt, auf ausländische Plattformen ausgeweitet.

 

Die ARCOM – die französische Regulierungsbehörde für audiovisuelle und digitale Kommunikation (ehemals CSA) – unterzeichnete Ende 2021 ein Abkommen mit den wichtigsten Plattformen, in denen die Investitionspflichten im Detail geregelt werden. Sind die 20 Prozent des Umsatzes, die in französische Produktionen investiert werden müssen, Ihrer Meinung nach ausreichend?

Die Investitionspflichten, die zwischen den Berufsverbänden, der öffentlichen Hand und den Plattformen selbst ausgehandelt wurden, sind ehrgeizig und ausgewogen. Es war wichtig, dass diese Gelder, von denen höchstens 80 Prozent in audiovisuelle Produktionen verschiedener Formate, und mindestens 20 Prozent in Kinofilme fliessen, zum grössten Teil in unabhängige Produktionen investiert werden, sprich in Werke von Produzenten und Produzentinnen, die weder einer ausländischen Plattform, noch einem etablierten Vertreiber angehören. So ist sichergestellt, dass sie die Rechte behalten und ihren eigenen Katalog aufbauen können. 2022 investierten die ausländischen SVoD-Plattformen (Netflix, Disney+, Prime Video) gemäss der ARCOM 21.7 Millionen Euro in Kinofilmproduktionen und 136 Millionen in weitere audiovisuelle Produktionen. Im Kinofilmbereich kamen diese Investitionen 17 vom CNC zugelassenen Filmen zugute, mit einem durchschnittlichen Förderbeitrag von je 1.2 Millionen Euro.

 

Welche konkreten Veränderungen bewirkt dies in der französischen Filmlandschaft?

Erstens, ist es uns gelungen, unsere kulturelle Diversität zu erhalten, damit unsere Filmindustrie nicht, wie in gewissen anderen Ländern, von einem Tag auf den anderen von den Plattformen verschlungen wird. Das Ziel war die neuen Akteure in unser Modell zu integrieren. Zweitens, erhalten unsere Werke massiv mehr Publikumspotenzial, wenn sie von Plattformen gekauft werden. Drittens, schaffen die Plattformen ein neues Förderinstrument für Filme, die im Kino gezeigt werden.

 

Hat sich auch die Arbeit der Produzenten und Produzentinnen verändert?

In filmischer Hinsicht nicht wirklich. Jedoch haben die neuen Akteure andere Anforderungen und funktionieren traditionellerweise eher nach einem amerikanischen Modell, nach dem von ihnen die weltweiten Rechte erworben werden. Unsere französische Vorstellung  des Urheberrechts, mit einer anteilsmässigen Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg eines Werks, ist ihnen weniger bekannt.

 

Ist Ihre Filmindustrie in der Lage, die erhöhte Nachfrage nach Fachkräften seit der Produktionssteigerung zu erfüllen?

Durch die Entwicklung der Plattformen hat die Nachfrage nach Werken stark zugenommen. In gewissen Berufen stellen wir tatsächlich einen Fachkräftemangel fest. Deshalb hat die Regierung den Investitionsplan «France 2030» lanciert, in dessen Rahmen es eine Projektausschreibung mit dem Titel «La grande fabrique de l’image» gibt. Diese Initiative hat zwei Ziele: Einerseits sollen in Frankreich Studios entstehen, die in der Lage sind, diverse Dreharbeiten gleichzeitig unter guten Bedingungen durchzuführen, um Frankreich europaweit als führende Kraft  für nationale und internationale Filmdrehs und digitale Produktion zu etablieren. Andererseits sollen die Ausbildungsmöglichkeiten in unserem Land massiv ausgebaut werden. Zur Realisierung dieser beiden Ziele stehen 350 Millionen Euro zur Verfügung. Die Ergebnisse der Projektausschreibung werden in Kürze bekannt gegeben.

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