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Der Standpunkt von Ari Folman

Kathrin Halter
02. August 2019

«Waltz with Bashir» von Ari Folman

«Waltz with Bashir» ist Ihr erster langer Animationsfilm. Wie kamen Sie auf die Idee, über verlorene Erinnerungen, Traumata und den Horror des Krieges mit den Mitteln der Animation zu erzählen?

2004, vier Jahre vor «Waltz with Bashir», drehte ich fürs Fernsehen die Dokumentarfilm-Serie «The Material that Love is Made of», in der jede Folge mit einigen Minuten Animation beginnt. Dabei verliebte ich mich total in das Medium; ich wusste, dass mein nächster Film ein Animationsfilm sein wird. Die Themen, von denen ich in «Waltz with Bashir» erzählen wollte – Erinnerungen und Krieg, die schmale Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Realem und Irrealem – eigneten sich dann perfekt dazu. 

 

Sie sagten einmal: «A filmmaker never has more freedom than in animation». Können Sie diese Freiheit mit einem Beispiel erläutern?

Alles, was Sie sich imaginieren können, kann mit den Mitteln der Animation dargestellt werden – solange sie für den Job den richtigen Künstler haben! In meinem Fall sind das vor allem Art Director David Polonsky und Yoni Goodman, der Leiter der Animation. Wenn man wie ich von talentierten Leuten umgeben ist, die deine Vision umsetzen können, bedeutet dies eine immense Freiheit. Die Produktion einer Animation kann ein Alptraum sein – es ist sehr, sehr hart. Der Rest ist grossartig. Ich liebte es, wurde geradezu süchtig danach. Inzwischen arbeite ich schon an meinem dritten Animationsfilm. Das einzige, was einen in der Animation einschränken kann, ist ihre Finanzierung.

 

Animation bedeutet immer eine Abstraktion, eine Stilisierung von Realität. Macht es dies einfacher, von Grausamkeit zu erzählen?

Interessante Frage… ich versuche es mal so zu beantworten. Für jene Ex-Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung, früheren Kollegen, von denen mein Film handelt und die mir von ihren Erlebnissen erzählten, hatte «Waltz with Bashir» eine gewissermassen therapeutische Wirkung. Die Illustrationen halfen, die Welt durch einen Filter zu betrachten – auch leichter Zugang zu den eigenen schmerzhaften Erlebnissen zu finden, ohne davon zu sehr verletzt zu werden.

 

Zu «Waltz with Bashir» haben Sie zuerst das Script geschrieben, dann im Studio Szene für Szene nachspielen lassen für ein 90-minütiges Video. Darauf basierend entstand das Storyboard des Films. Weshalb war diese gefilmte Vorlage wichtig?

Das Storyboard bezog sich fast vollständig auf diese gefilmten ­Szenen. Was immer wir konnten, inszenierten wir zuvor im Studio, denn solche Referenzen helfen den Animatoren bei ihrer Arbeit enorm. Sie mussten sich danach nichts mehr ausdenken – wobei sie das natürlich schon tun, aber in einem anderen, gestalterischen Sinne. So sind schliesslich rund 2ʼ300 Illustrationen entstanden, Grundlage für die Animation.

 

Es wurde nicht mit Hilfe von Rotoskopie gearbeitet, oder?

Überhaupt nicht! Erwähnen Sie das Wort nie – für Animatoren, die Bild für Bild von Hand zeichnen, ist das eine Beleidigung! (lacht)

 

«Waltz with Bashir» verbindet die Animation mit dem Dokumentarischen. Worin liegen für Sie die Grenzen des Dokumentarfilms?

Ich weiss nicht – wo liegen die Grenzen des Filmemachens überhaupt? Und wer entscheidet, wo sie liegen? Ich kann es nicht sagen. Für mich gibt es keine Grenzen. Ich arbeite jetzt an einer Adaption des Tagebuchs von Anne Frank, einer Animation – eine schwierige Aufgabe, an der ich mittlerweile seit sechs Jahren arbeite. Der Film wird nächstes Jahr am Filmfestival Venedig uraufgeführt.

 

Bereits veröffentlicht ist die Graphic Novel «Das Tagebuch der Anne Frank». Auch von «Waltz with Bashir» existiert eine Graphic Novel. Wie eng sind für Sie diese Genres – GN und Animationsfilm - miteinander verwandt?

Bei «Waltz with Bashir» entstand die Graphic Novel erst nach dem Film. Bei Anne Frank ist die Graphic Novel gewissermassen Teil des Projekts, denn sie entstand noch während der Filmproduktion – weil wir Probleme hatten, den Film zu finanzieren. Tatsächlich verkauften wir dann in anderthalb Jahren 800ʼ000 Exemplare, das Buch wurde in 22 Sprachen übersetzt. Das half. Doch die Genres sind doch sehr verschieden.

 

Der zeichnerische Stil von Art Director David Polonsky unterscheidet sich ziemlich stark. Passt er seinen Stil dem jeweiligen Inhalt an?

Jeder Film braucht seinen eigenen Stil. In «Waltz with Bashir» brauchte ich ein eher realistisches Design, das jedoch oft ins Irreale, Traumhafte kippt. Der Stil für «The Congress» war freier, freigeistiger – und wurde zugleich stark von Max und Dave Fleischer, den amerikanischen Cartoonisten und Trickfilmproduzenten aus den 1930er-­Jahren, inspiriert. Bei «Anne Frank» wiederum nehmen wir uns noch mehr Freiheiten in der Stilisierung des Designs – nicht zuletzt weil es ein Film auch für Kinder sein wird. David Polonsky zeichnet allerdings nicht mehr, er hatte nach der Graphic Novel ein bisschen genug vom Stoff.

 

Sie selber haben nie selber gezeichnet oder animiert?

Nein, ich bin Autor, Regisseur und Produzent, das genügt … Ich versuche meine Visionen mit Hilfe meiner Mitarbeiter zu verwirklichen.

 

Kennen Sie «Chris the Swiss» von Anja Kofmel, der Schweizer Filmemacherin? «Waltz with Bashir» wirkt in manchem wie ein Vorbild…

Nein, ich kenne den Film leider nicht. Es gibt viele Filme, die von «Bashir» beeinflusst wurden – ich nehme es als grosses Kompliment.

 

Haben Sie auch den Eindruck, dass animierte Dokumentarfilme, so genannte Animadocs, im Trend liegen? Es gibt immer mehr davon..

Ich weiss. Aber ich würde es nicht Trend nennen, ich mag den Begriff einfach nicht. Zudem: Die Unterschiede zwischen Animation und Dokumentarfilm sind riesig! Die Stärke eines Dokumentarfilms liegt in der Spontanität und Unmittelbarkeit dessen, was sich gerade vor der Kamera abspielt. Dokumentaristen müssen beweglich bleiben, aufmerksam und offen für das Unerwartbare. Im Animationsfilm hingegen gibt es nichts, absolut nichts, das spontan wäre! Die Arbeit entsteht in Isolation und Einsamkeit – und ist überaus detailliert, exakt und ermüdend. Wenn man also von der Arbeitsweise eines Dokumentarfilms in diejenige eines Animationfilms wechselt, das Medium gewissermassen transformiert, ist das eine schockierende Erfahrung.


Sie geben in Baden bald eine Masterclass. Was empfehlen Sie jetzt schon Filmschaffenden, die einen ersten langen Animationsfilm drehen wollen? 

Es wird hart sein... Also: «Keep it on the low side»! Innovativ und erfindungsreich sollte vor allem das Skript sein, nicht die Animation.

 

Das Gespräch führte Kathrin Halter


▶  Originaltext: Englisch / Deutsch

 

Ari Folman

Ari Folman (geb. 1962) ist Filmemacher, Drehbuchautor und Produzent aus Tel Aviv. Studium der Film­wissenschaft in Israel. Autor von Fernsehdokumentationen über den Nahostkonflikt sowie von Spielfilmen («Saint Clara», 1996 und «Made in Israel», 2001). Head Writer ­einiger Episoden der israelischen Fernsehserie BeTipul (2005, bekannt geworden durch das HBO-Remake «In Treatment»). 2003-2008 entsteht «Waltz with Bashir», sein meisterhafter dokumentarischer Animationsfilm über Traumata von Ex-Soldaten und den Horror des ersten Libanonkrieges Anfang der Achtzigerjahre, den Folman als 19-Jähriger während seines Militärdienstes in der israelischen Armee miterlebt hat. Der Film wurde für den Oscar nominiert. 2013 folgt «The Congress», eine Hollywood-Satire mit animierten Sequenzen nach Stanisław Lems Science-Fiction-Roman mit Robin Wright, 2020 kommt sein Animationsfilm «Where is Anne Frank?» ins Kino.

Fantoche – 17. Internationales Filmfestival für Animationsfilm

Masterclass Ari Folman

Ari Folman gibt Einblick in seine Arbeit, spricht über seinen Zugang zur Animation, seine Anliegen und den Anspruch, ernsthafte, drängende Themen zu behandeln und «das Unsichtbare sichtbar zu machen». Mit Beispielen aktueller Arbeiten sowie Q & A.

 

Donnerstag 5. September (nicht am Mittwoch, wie im Print vermerkt)

10:00–14:00,

Kino Trafo 3, Baden

In Englisch

«Waltz with Bashir» wird am ­Fantoche gezeigt.

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