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«Wir wollen keine Show, Lobbyarbeit ist viel wichtiger»

Das Gespräch führte Kathrin Halter
16. Mai 2020

Matthias Aebischer ist auch Präsident von Pro Velo Schweiz. © zvg

Die Covid-Verordnung des Bundes hilft auch der Filmbranche. Doch genügen die dafür vorgesehenen Entschädigungen? Und welche Rolle nimmt in der Krise Cinésuisse ein? Ein Gespräch mit Cinésuisse-Präsident Matthias Aebischer.

 

Die gesamtwirtschaftlichen Massnahmen des Bundes haben dem Film zu wenig geholfen, denn viele Gesuche wurden abgelehnt. Seit Mitte April können nun auch Selbständigerwerbende eine Entschädigung beantragen. Weshalb war dieser Schritt so wichtig?

Bisher haben nur jene Unterstützung erhalten, die mit einem Berufsverbot belegt wurden. Im Filmbereich gibt es ja sehr viele Selbständigerwerbende und Kleinstunternehmer, die nur indirekt von den behördlichen Massnahmen betroffen sind. Drehbuchautorinnen und -autoren, aber auch Filmtechniker oder etwa Produzenten von Filmmusik mit einem kleinen Studio, die keine Aufträge mehr erhalten haben. Ihnen kann jetzt geholfen werden, insofern war diese letzte Massnahme sehr entscheidend.

 

Für den Film ist laut der Bundesverfassung primär der Bund zuständig, die Kantone sekundär. Gegenwärtig ist es umgekehrt. Daraus resultieren diverse Schwierigkeiten. Wie sehen Sie diese Problematik?

Mit Ausnahme des Films ist die Kultur Sache der Kantone. Auch bei der Covid-Verordnung Kultur zur Abfederung von Schäden haben die Kantone den Lead, das ist nichts als logisch. Damit es nicht kompliziert wird, läuft auch beim Film die Registrierung und Abwicklung über die Kantone, weil das in einer Krisensituation erfahrungsgemäss rasch funktioniert. Kurzarbeit zum Beispiel ist in den Kantonen ein eingespieltes System. Klar gibt es da Unterschiede von Kanton zu Kanton, aber für die Koordination hat der Bund mit Suisse­culture ja eine nationale Stelle mandatiert.

 

Bei den kantonalen Kulturämtern gebe es zum Teil zu wenig Sachkenntnis über die spezifischen Arbeitsbedingungen beim Film, hört man. Und die Ämter sind personell teils unterdotiert für die Aufgaben.

Ich muss da etwas widersprechen, es gibt Kantone, die sehr gut wissen, wie der Film funktioniert – primär jene Kantone mit guter Filmförderung wie Zürich, Bern oder Basel und die welschen Kantone. Aber natürlich sind nicht alle Kantone gleich gut aufgestellt. Die Sektion Film beim BAK schaut da aber genau hin, in Rücksprache mit Cinésuisse und den Filmverbänden. Die Verordnung wird im Wochenrhythmus überarbeitet, auch dank Empfehlungen und Informationen von der WBK (Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur) des Nationalrates, der ich angehöre. Wir haben regelmässig Kontakt mit dem Bundesrat. Dieser will die Leute entschädigen, die das Geld wirklich brauchen.

 

Die 280 Millionen Franken Soforthilfe und Ausfallentschädigungen, die der Bund als erste Tranche für zwei Monate bis Ende Mai für den Kultursektor zur Verfügung stellt, wurde an der Sondersession soeben bewilligt. Die SVP ist mit dem Versuch gescheitert, die Unterstützungsleistungen für den Kulturbereich zu kürzen. Sind Sie erleichtert?   

Die SVP will bei der Kultur immer kürzen. Bei der letzten Kulturbotschaft wollte die SVP mit dem Rasenmäher überall 10 Prozent zurückstutzen. Also auch bei der Volkskultur, beim Jodlerfest zum Beispiel. Dieses trotzige Verhalten hat für mich nicht viel mit Politik zu tun.

 

Diese 280 Millionen für den Kultursektor dürften allerdings kaum reichen. Darf man hier eine zweite Tranche erwarten? 

Unbedingt. Die WBK-Kommissionen beider Räte erachten es als notwendig, die auf Ende Mai befristete Verordnung um vier Monate zu verlängern und die Budgets anzupassen. Es geht dabei um Planungssicherheit. Auf einen Betrag wollte man sich in der WBK jedoch noch nicht festlegen. Mitte Mai (nach Redaktionsschluss) liegen die Ergebnisse einer Evaluation vor, dann weiss man, ob die 280 Millionen reichen oder nicht; danach kann Geld für die nächsten Monate gesprochen werden.

 

Es gibt auch die Forderung, den Filmkredit zu erhöhen, um die Mehrkosten aufzufangen. Was halten Sie davon?

Da bin ich nicht dafür, wegen Corona den Filmkredit zu erhöhen. Die Kulturbotschaft gilt für vier Jahre. Man kann nicht wegen einer vorübergehenden Krise den Kredit erhöhen. Die Auswirkungen dieser Krise müssen klar über eine Sonderfinanzierung laufen.

 

Es gibt die Möglichkeit, beim BAK eine Nachfinanzierung zu beantragen, etwa bei Mehrkosten beim Abbruch oder Verschieben von Dreharbeiten. Diese Nachfinanzierungen belasten aber den regulären Filmkredit, hier gibt es keine Mehrmittel.

Das ist eine andere Diskussion. Ein grosser Teil der Personalkosten, der Mehrkosten und Ausfälle werden schon durch die Covid-Massnahmen des seco abgefedert. Dann gibt es eine Abfederung durch die Kantone und Suisseculture. Ein Teil bleibt unberücksichtigt. Den wollen die kantonalen Filmförderer, die SRG und das BAK übernehmen. Beim BAK stammt das Geld aus dem regulären Filmkredit, das stimmt. Das wird aber noch diskutiert im National­rat, ob das nicht über den – vermutlich erhöhten – Corona-Kulturfonds laufen sollte.

 

Die Filmbranche in der Romandie scheint in der Krise besser vernetzt zu sein als diejenige der Deutschschweiz. Teilen Sie diesen Eindruck?

Die Romands sind tatsächlich gut vernetzt und leisten gute Arbeit, man muss aber sehen: Die Romandie umfasst sieben Kantone, die Deutschschweiz hat viel mehr Kantone. Der neue Lehrplan zum Beispiel wurde in der Romandie zehn Jahre früher eingeführt als in der Deutschschweiz , weil es viel einfacher ist, sieben Kantone zu koordinieren als 18 Deutschschweizer Kantone. Ich will damit aber nicht die Toparbeit des Cinéforom schmälern.

 

Braucht es jetzt, jenseits von Verbandspolitik, nicht eine nationale Taskforce für den Film, die Kommunikation und den Austausch zwischen den Sprachregionen und den Kantonen koordiniert?

Das ist ein heikles Terrain. Zwar steht in der Verfassung, dass der Film Sache des Bundes ist, dafür gibt es ja auch ein nationales Kulturbudget, wovon rund ein Viertel an den Film geht.  Trotzdem sind wir ein föderalistisches Land mit einer lebendigen Vielfalt, das begrüssen wir. Zentralistischer muss es meiner Ansicht nach nicht werden.

 

Wie definieren Sie als Präsident von Cinésuisse die Rolle des Dachverbands in der Krise? Sollte Cinésuisse nicht aktiver auftreten?

Wichtig ist uns die Nähe zu den einzelnen Verbänden. Es gibt einen regen Austausch und viele Feedbacks. Zudem haben wir die Mitglieder jeweils über neue Verordnungen informiert, das wird sehr geschätzt. Was den öffentlichen Auftritt anbelangt: Wir wollen nicht die Politik des Bundesrats bewerten oder kritisieren, wie dies etwa der Gewerbeverband tut. Die Situation ist ja klar: In einer Notsituation entscheidet der Bundesrat.  Wir wollen keine Show. Lobbyarbeit hinter den Kulissen ist viel wichtiger. Wir müssen in der Notsituation die Hierarchie akzeptieren, Einflussmöglichkeiten hingegen voll ausschöpfen. 

 

Die Kulturbotschaft soll voraussichtlich in der Herbstsession im Nationalrat behandelt werden. Wie stehen die Chancen für eine Annahme?

Gut. Dennoch ist noch schwer absehbar ist, ob Corona eine Auswirkung auf die einzelnen Botschaften (Bildung und Kultur) hat. Für Ergänzungsvorschläge der Parlamentarier dürfte es weniger Spielraum geben, auch für zusätzliche Finanzen dürfte es schwierig werden, Mehrheiten zu finden.

 

Beim Engagement für die Kulturbotschaft ist das gemeinsame Einstehen für die Interessen der Kultur wichtig. Gibt es jetzt, während der Corona-Krise, die Gefahr, dass sich verschiedene Kultursparten konkurrenzieren?

Das glaube ich nicht. In den letzten acht Jahren habe ich nie erlebt, dass sich Kultursparten und Kulturschaffende bei Kulturbotschaften gegeneinanderstellen. Der Zusammenhalt ist stark.

 

▶  Originaltext: Deutsch

Matthias Aebischer

ist seit 2011 für die SP im Nationalrat und Mitglied der WBK (Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur). Den Dachverband Cinésuisse präsidiert er seit 2012. Von 1990 bis zu seiner Wahl in den Nationalrat war er journalistisch tätig, von 1994-1999 als Sportredaktor bei SRF, danach als Redaktor und Moderator der Tagesschau, beim Kassensturz und beim Club.

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