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«Die neue Generation ist fordernder»

Pascaline Sordet
22. September 2021

Stéphane Morey – Leiter Cinéforom (Bild: zvg)

Stéphane Morey ist seit dem 1. Juni 2021 Leiter von Cinéforom. Wir haben mit ihm über die Projekte der Stiftung und über aktuelle Themen der audiovisuellen Branche gesprochen.

 

Was hat Sie dazu bewogen, sich um den Posten an der Spitze von Cinéforom zu bewerben?

Nach meiner Tätigkeit bei AROPA war Cinéforom der logische nächste Schritt. Ich war mit allen Anliegen der Branche vertraut und kannte die verschiedenen Bereiche, die Arbeit, die politischen Herausforderungen. Diese Funktion wurde bisher immer von erfahrenen Produzenten wahrgenommen; das ist ein Schwachpunkt, den ich ausgleichen muss. Dafür kenne ich mich in der Kulturpolitik gut aus, auch über den Filmbereich hinaus.

 

Wie ist Ihr erster Eindruck?

Sehr positiv, ich bin begeistert. Natürlich gibt es einen gewissen Druck und Erwartungen, auch von ausserhalb der Branche, doch ich spüre, dass man mir zutraut, neue Impulse zu geben.

 

Was sind Ihre dringlichsten Aufgaben? 

Wir müssen einerseits die Beständigkeit der Stiftung als Förderin­s­titution langfristig sicherstellen und gleichzeitig flexibel und gezielt agieren, um der rasanten Entwicklung der Technologien und den Veränderungen im Konsumverhalten gerecht zu werden. Damit muss sich die gesamte Branche auseinandersetzen, insbesondere in Bezug auf die «Lex Netflix», die Digitalisierung und die Streaming-Plattformen. Auch das Thema Nachwuchsförderung beschäftigt mich. Hier müssen wir die Erneuerung auf allen Ebenen sicherstellen, auch im Bereich der Produktion.

 

Diesbezüglich gab die Änderung in der Drehbuchförderung zu reden, die für jede Finanzierung verlangt, dass man bereits ein Förderkonto besitzt.

Hier geht es darum, die Professionalisierung voranzutreiben, und dazu setzen wir auf bewährte Strukturen. Das neue Förderinstrument nimmt die Branche in die Verantwortung, doch es verlangt tatsächlich eine zusätzliche Anstrengung beim Generationswechsel in den Produktionsfirmen. Die Konkurrenz in der Branche ist hart, und die Ausbildungsmöglichkeiten im Produktionsbereich sind sehr begrenzt. Newcomer tun sich anfangs oft schwer und müssen berufsbegleitend lernen, um mit dem System vertraut zu werden. Deshalb ist es wichtig, die Zusammenarbeit zu fördern.

 

Wie steht Cinéforom zu den Diplomfilmen, die in der Förderrunde im Frühling nicht unterstützt wurden? 

Auf längere Sicht möchte Cinéforom die Finanzierung von Di­plomfilmen einstellen. Unsere Kernaufgabe ist die Förderung von professio­nellen Filmen. Das Problem besteht darin, dass es immer mehr Projekte gibt, aber nicht mehr Fördergelder. Die Kommissionen müssen allein entscheiden, ob sie ein professionelles Projekt oder einen Di­plomfilm unterstützen. Dies ist jedoch eine kulturpolitische Frage, die im Vornherein geregelt werden müsste. Natürlich ist es für die Studierenden lehrreich, einen Film bei einer Kommission einzureichen, doch so einfach ist es nicht. Wir stellen auf internationalem Niveau eine Ausnahme dar, indem wir als professionelle Organisation Diplomfilme fördern.

 

Erwägen Sie die Einrichtung einer Nachwuchs-Förderung wie Fast Track der Zürcher Filmstiftung?

Cinéforom hatte bereits vor meiner Ankunft begonnen, über die Form und die Finanzierung nachzudenken. Die Filmschaffenden investieren viel Zeit in ihren ersten Spielfilm, und viele hören kurz davor oder gleich danach auf. Das ist entmutigend. Selbst wenn der erste Film ein Erfolg ist, bleibt der zweite anspruchsvoll. Wir möchten, dass die jungen Talente schneller zu einer Filmografie kommen. Unsere Idee ist deshalb, einen oder zwei Filme pro Jahr vollumfänglich zu finanzieren, mit einer Drehzeit von jeweils zwölf Monaten – also keine selektive Förderung, sondern ein Wettbewerb. Wir denken auch über eine Vorfinanzierung nach, die sich speziell an Low-Budget-Filme richtet. Wir möchten kein Lab auf die Beine stellen, sondern vielmehr bestehende Ausbildungsformen unterstützen.

 

Was wird aus dem Innovationswettbewerb, dessen Ergebnisse aus der dritten Ausschreibung im November bekanntgegeben werden?

Das steht noch nicht fest. Wir werden nach der dreijährigen Pilotphase Bilanz ziehen. Momentan suchen wir noch nach dem idealen Umgang mit neuen digitalen Formaten und Erzählformen. Solche Projekte werden an allen grossen internationalen Festivals gezeigt. Es ist ein stetig wachsender Bereich mit eigenen Netzwerken und Plattformen, der aber vom Schweizer Film bisher noch wenig erkundet wird. Wir können nicht so tun, als existiere er nicht, doch es ist zurzeit schwierig, eine klare Linie zu verfolgen. Cannes oder Tribeca haben bereits weit entwickelte XR-Sektionen, doch wir können in diesem Bereich noch keine tragfähigen Finanzierungsmodelle anbieten.

 

Sollte Cinéforom hier nicht eine Vorreiterrolle einnehmen?

Wir haben dieses Pilotprojekt lanciert, um die Lage zu sondieren und eine Übersicht zu gewinnen. Nun müssen wir eine dauerhaftere Lösung finden. Wir möchten eine Vorreiterrolle einnehmen und sicherstellen, dass die Westschweiz den Anschluss nicht verliert, doch wir müssen uns an die realen Bedürfnisse und Projekte sowie an die verfügbaren Mittel anpassen.

 

Die Kantone haben ihr finanzielles Engagement verlängert. Ist die Zukunft von Cinéforom also gesichert? 

Wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Die Absichtserklärung wurde am 5. März 2020 kurz vor dem ersten Lockdown erneuert, doch um dieser Verpflichtung nachzukommen, müssen die Kantonsparlamente das Budget für Cinéforom jedes Jahr erhöhen. In Krisenzeiten sind jedoch in vielen Kantonen die Mittel knapp, und danach kommen die nächsten fünf Jahre. Die Wahrheit ist einfach: Es ist insgesamt nicht genügend Geld vorhanden, das sehen wir auch am Druck auf die Beihilfen, deren Satz wieder auf 50 Prozent gesenkt werden musste. Mit der Entwicklung im Bereich der Serien wird es schwierig, Schritt zu halten.

Wie sähe die ideale Situation aus?

Bei der Filmförderpolitik stossen wir sehr schnell an Grenzen. Wir können die Fördergelder nicht in verschiedene Förderstellen aufteilen, wie es zum Beispiel das CNC tut, um so die einzelnen Bereiche unabhängig voneinander weiterzuentwickeln. Wir haben nur eine einzige Kommission für alle Formate und Genres. Zudem ist die Finanzierungskapazität in der Schweiz allgemein unzureichend. Die Projekte sind nicht schlecht finanziert, sie richten sich einfach an der maximalen Kapazität aus. Deshalb ist die «Lex Netflix» so wichtig.

 

Sind Sie in dieser Hinsicht zuversichtlich?

Ich glaube, dass die Parlamentarier viel gelernt haben und dass die Entscheidung des Nationalrats, den Satz auf 1 Prozent zu senken, in erster Linie auf Unwissen beruhte. Die Gegner des Gesetzes befürchten vor allem, dass es Auswirkungen auf die Abonnementspreise haben könnte, sowohl im bürgerlichen Lager des Parlaments als auch bei den Interessen­gruppen, die ein Referendum angedroht haben. Diese Befürchtung ist jedoch ganz unbegründet, denn bei der «Lex Netflix» geht es nicht um eine Abgabe, sondern um eine Investitionspflicht. Die Streaming-Anbieter müssen keinen Rappen mehr ausgeben. Wir verlangen von ihnen nur, ein bisschen mehr in der Schweiz zu investieren statt im Ausland, wo vielerorts bereits höhere Investitionsverpflichtungen bestehen.

 

Haben Sie bestimmte Erwartungen an die Branche?

Wir müssen in Zusammenhängen denken. So kann man zum Beispiel nicht über Produktion reden, ohne den Vertrieb zu berücksichtigen. Auch müssen wir grundlegend über die Zukunft des Films und wohl auch der übrigen Kulturlandschaft nachdenken. Die neue Generation der Kulturschaffenden ist fordernder: Sie betrachtet Kunst und Kultur nicht als selbstbelohnende Tätigkeiten, sondern macht sich Gedanken über Arbeitsbedingungen und Entlohnung.

 

Was halten Sie von der Möglichkeit eines «Centre national de l’audiovisuel»?

Die zehnjährige Erfahrung von Cinéforom hat gezeigt, dass es möglich ist, ausserhalb der öffentlichen Verwaltung eine Struktur zur Vergabe öffentlicher Gelder zu schaffen. Mit einem Austausch auf Augenhöhe zwischen Filmschaffenden und Politik können die Förderwerkzeuge kontinuierlich angepasst werden. Alle Beteiligten sind sich einig, dass Cinéforom die Situation in der Westschweiz verbessert hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine vergleichbare gesamtschweizerische Institution durchaus eine Möglichkeit, selbst wenn sie nicht ausserhalb der öffentlichen Verwaltung angesiedelt werden sollte – auch eine interne Lösung wäre denkbar. Tatsache ist, dass sich die Filmfördermittel in der Westschweiz mit der Gründung von Cinéforom verdoppelt haben. Geld ist immer vorhanden, die Frage ist nur, ob auch der politische Wille da ist. Die kollektive Energie eines neuen Projekts könnte hier der Politik einen Motivationsschub geben.


▶  Originaltext: Französisch

 

Stéphane Morey

Nach einem Bachelorabschluss in Sozial- und Politikwissenschaften an der Universität Lausanne studierte Stéphane Morey Visuelle Anthropologie an der Freien Universität Berlin. Er war 2012 Mitbegründer von «La Fête du Slip» in Lausanne und ist seit 2014 Leiter des Waadtländer Kulturbüros. 2016 wurde er Leiter von AROPA. In dieser Funktion nahm er an den Verhandlungen des Pacte de l’audiovisuel 2020-2023 teil, engagierte sich für die Kampagne gegen die No-Billag-Initiative und war Teil der Task Force ­Culture Romande, einer gemeinsamen Aktion der wichtigsten Dachverbände im Kulturbereich zum Umgang mit der Pandemie.

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