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Filmische Identitätskarten

Kathrin Halter
21. Dezember 2018

«Les petites fugues» (1979) von Yves Yersin zählt zu den ersten Filmen der Edition filmo. © PD Solothurner Filmtage

Filmo stellt einen digitalen Filmkatalog mit ausgewählten Klassikern des Schweizer Films bereit. Über ein Projekt, das mit verschiedenen Streaming-Plattformen zusammengeht und an den Filmtagen erstmals vorgestellt wird. 

Arbeitstitel war «Edition Schweizer Film», nun heisst sie also filmo: Ein Wort, das sich für Deutschschweizer – anders als für Romands und Tessiner – nicht auf Anhieb erschliesst. Der Name spielt auf «Filmografie» an, auf jene Filmografie des Schweizer Films also, die unter besagtem Label entstehen und auf verschiedenen VoD-Plattformen dargeboten werden soll.

Anlässlich einer ersten Projektpräsentation an den Solothurner Filmtagen werden sechs Filme des digitalen Katalogs aufgeführt: «Die letzte Chance» (Léopold Lindtberg, 1945), «Der 10. Mai – Angst vor der Gewalt» (Franz ­Schnyder, 1957), «Das Boot ist voll» (Markus Imhoof, 1981), «War Photographer» (Christian Frei, 2001) und «Das Fräulein» (Andrea Štaka, 2006) sowie «Les petites fugues» (Yves Yersin, 1979); nach der Lancierung im März werden dann die ersten zehn Filme online zur Verfügung stehen.

Schon diese erste Auswahl zeigt: Die Titel, die sich dereinst unter dem Label filmo ansammeln werden, stammen aus verschiedenen Epochen, Landesgegenden und natürlich von beiden Geschlechtern; die jüngsten sind etwa zehn Jahre alt.

Natürlich erhält filmo auch eine eigene Website, wo die Filme präsentiert und vermittelt werden. Allerdings wird es keine eigene Streaming-Plattform geben, wie teils angenommen wird. Vielmehr sollen die Titel auf diversen Plattformen als kostenpflichtiges Video-On-Demand angeboten werden, bei denen nach branchenüblichen Ansätzen abgerechnet wird, unter dem filmo-Label und seiner grafisch-visuellen und, soweit möglich, auch inhaltlichen Aufbereitung: Auf Teleclub (Swisscom), iTunes, upc, Sky, cinefile sowie leKino.ch; längerfristig sollen, so Projektleiter Florian Leupin, noch weitere Partner hinzukommen.

Diese Zusammenarbeit mit privaten Anbietern macht Sinn: Potentielle Zuschauer sollen dort abgeholt werden, wo sie sich sowieso tummeln. Die Beschränkung auf eine eigene filmo-Plattform hätte zu einem Gärtchen für Eingeweihte werden können statt, wie beabsichtigt, ein grösseres, auch jüngeres Publikum neu für Schweizer Filme zu interessieren. Genau dies aber möchte filmo erreichen.

  

Wer die Auswahl vornimmt

Hinter dem Projekt stehen der gemeinnützige Verein CH.Film und dahinter wiederum die Solothurner Filmtage, die das Projekt realisieren. Ermöglicht wird filmo von Engagement Migros, dem Förderfonds der Migros-Gruppe, die sich der Förderung innovativer Projekte im Bereich der Digitalisierung verschrieben hat (und schon die junge Plattform cinefile gefördert hat). Wieviel Geld geflossen ist, wird nicht kommuniziert. Diese Anschubfinanzierung reicht für die nächsten drei Jahre. Um das Projekt langfristig zu sichern, werde man sich um weitere Unterstützung und Partner bemühen, so Leupin.

Die Idee, Schweizer Filmgeschichte fürs digitale Zeitalter aufzudatieren und breit zugänglich zu machen, hat eine Vorgeschichte: Es war der Produzent Valentin Greutert, der 2011 eine DVD-Edition mit rund 100 Film­klassikern lancieren wollte. Eine Kommission aus Filmhistorikern erstellte bereits eine Filmliste; doch die Idee, für die es auch Geld vom BAK gab, wurde schubladisiert, da das DVD-Format keine Zukunft hat und das Projekt unterfinanziert war. Mit dem ursprünglichen Konzept hat das jetzige Projekt also nicht mehr viel gemeinsam.

Wer aber nimmt bei filmo die Auswahl der Filme vor? So eine Filmografie betreibt schliesslich, gewollt oder ungewollt, eine Art Kanonisierung, indem bestimmte Filme ausgewählt und andere übergangen werden und die Jüngsten nur gerade mal 10 Jahre alt sind.

filmo hat sich für unabhängige Kuratorinnen und Kuratoren entschieden, Expertinnen und Experten des Schweizer Films, die eine «persönliche» Auswahl von jeweils 10 Filmen treffen. Die bisher Angefragten sind Margrit Tröhler (Universität Zürich), Tereza Fischer (Filmbulletin), Matthias Lerf (Tamedia), Antoine Duplan (Le Temps), Antonio Mariotti (Corriere del Ticino) Christina Trezzini (langjährige Filmjournalistin bei RSI), Emilie Bujès (Visions du Réel) und Michel Bodmer (Filmpodium Zürich); später werden weitere Kennerinnen und Kenner beigezogen. Eine Vorgabe bei ihrer Wahl: die Filme sollen «für das Filmerbe als kulturell, historisch oder formal ästhetisch bedeutend» sein. Zur Auswahl stehen Dokumentar- oder Spielfilme (von mindestens 60 Minuten) mit Schweizer Ursprung oder Regie. Die Wahl soll Filme aus allen Landesregionen und unterschiedlichen Jahrzehnten berücksichtigen.

Videoessays von Filmstudenten

Das Kuratoren-Prinzip wird das Projekt stark prägen: Die Expertinnen und Experten begründen ihre Wahl nicht nur schriftlich, sie präsentieren ausgewählte Filme auch an Promotionsanlässen an Festivals. «Die berufene Person ist Kuratorin oder Kurator und das Gesicht seiner Auswahl», so steht es im Konzept. Was das auch noch heisst, sieht man beim Entwurf der filmo-Website (ab Ende Januar online), wo die Experten prominent aufgemacht werden.

Natürlich sollen die Filme im Fokus, nicht im Schatten der Experten stehen, beschwichtigt Florian Leupin. Vielmehr suche man den persönlichen Zugang, gar einen «neuen Blickwinkel» auf das Schweizer Filmerbe, das man künftigen Generationen neu vermitteln will.

Filmo will das unter anderem mit kurzen Video-Essays und Filmclips leisten, die von Filmstudenten (vorerst) der ECAL kommen und «frisch und mit junger Aufmachung» auf Filmklassiker blicken. Zum audiovisuellen Bonusmaterial gehören Trailer sowie Informationen zur Erhältlichkeit der Filme auf den Plattformen und zu Vorführungen an Festivals.

Wegen der langfristigen Planung dürfte eine Schwierigkeit des Projekts darin liegen, Aufmerksamkeit zu erhalten – die Filmografie fängt ja mit zehn Titeln bescheiden an. Nach dem Plan von filmo sollen dann aber jedes Jahr immerhin dreissig Filme hinzukommen, die in Pakete geschnürt jeweils an den Solothurner Filmtagen und weiteren Schweizer Filmfestivals vorgestellt und danach ver­öffentlicht werden. An Vermittlung wird es also nicht fehlen. 

Noch wichtiger aber wird sein, ob es filmo gelingt, die Filme wie beabsichtigt gut sichtbar und inklusive Verweis auf das Zusatzmaterial auf den Plattformen platzieren zu können. Die einheitliche Aufbereitung der Filmtitel – poppig helle Farben auf originalen Filmtitel-Schriften – sorgt für optische Wiedererkennung.

Restaurieren, digitalisieren

Und was halten eigentlich beteiligte Filmschaffende davon? Laut Seraina Rohrer und Florian Leupin waren die Reaktionen bisher sehr wohlwollend (siehe dazu auch folgende  Seite). Der Goodwill hängt natürlich nicht zuletzt von den Unterstützungsleistungen ab, die filmo bietet. Einige Klassiker sind bereits restauriert und digitalisiert; bei anderen stehen die aufwändigen und teuren Arbeiten erst noch an, manchmal fehlen auch Untertitel in einer der drei Landessprachen oder der Trailer und anderes Zusatzmaterial.

In jedem Fall werden die Filme einheitlich aufbereitet, gemäss Standards, die in Richtlinien festgehalten und auf der Website von filmo veröffentlicht werden. Von den Einkünften der Plattformen geht ein marginaler Anteil an filmo. Der Vertrag mit dem gemeinnützigen Verein ist jedoch nicht exklusiv – man wolle auch keinesfalls in laufende Auswertungen eingreifen, so Leupin. Bei vielen Filmen mit Klassikerstatus seien diese schon abgeschlossen.

▶  Originaltext: Deutsch

Präsentation von filmo

Freitag, 25. Januar 2019

15:00-16:00 | Kino im Uferbau

Die Projektleitung stellt die Edition vor. Deutsch mit Simultanübersetzung auf Französisch.

Die Sicht von Filmschaffenden

Markus Imhoof

«Das Boot ist voll» von Markus Imhoof wird ab März als einer von zehn Filmen bei der Edition filmo verlegt. Der Regisseur ist froh darum, dass filmo Verträge mit verschiedenen Strea­ming-Plattformen aushandelt und verwaltet und für die Filme zudem Werbung macht; den Abzug von 15 Prozent beim Gewinn findet er deshalb auch in Ordnung, zumal filmo nicht gewinnorientiert arbeitet und man mit Streaming in der Regel sowieso sehr wenig verdiene.

Die grösste Unterstützung bietet filmo natürlich Filmen, die dank des Vereins noch restauriert und digitalisiert werden müssen – was bei «Das Boot ist voll» bereits 2003 mit Hilfe von Memoviav, Spenden und auf seine Kosten geschah, für 300'000 Franken notabene. Diesbezüglich gebe es natürlich eine gewisse Ungerechtigkeit.

Dafür wird dank Filmo der Trailer zu «Das Boot ist voll» digitalisiert. Und die Vermittlungsarbeit findet Imhoof sowieso verdienstvoll. Seinen Film wird er übrigens weiterhin auch auf der eigenen Website zum Streaming anbieten, was problemlos möglich ist, da filmo keine Exklusivrechte besitzt.

Andrea Štaka

Okofilm Productions hat 2016 eine Digitalfassung von «Das Fräulein» mit Unterstützung von Suissimage und SRF hergestellt. Filmo wird diese digitale Fassung ab März 2019 nicht-exklusiv diversen Online-Plattformen anbieten. Damit werde die Zugänglichkeit und Visibilität des Films gesichert, das ist Andrea Štaka wichtig. Obwohl man mit VoD heute noch nicht viel Geld verdiene, komme man nicht darum herum – als Filmemacherin wie als Zuschauerin. 

Die Dienstleistung von Filmo bedeutet für Štaka eine Arbeitsentlastung und eine praktische Hilfe, was sie schätzt. Zur Vermittlung der Filme bei Filmo kann sie noch nicht viel sagen, die intensivere Zusammenarbeit beginnt erst anfangs Jahr. Grundsätzlich gefällt ihr die Idee, Filme in Form einer Reihe anzubieten, um so eine grössere Zielgruppe zu erreichen.

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