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Wenn sich Film und Kunst paaren

Pamela Kort
31. August 2022

Adrian Paci, Diego Marcon und This Brunner (für den abwesenden Roman Hüben) bei der Preisverleihung am St. Moritz Art Film Festival (v.l.n.r.). Bild zvg

Im Engadin fand letzte Woche die erste Ausgabe des St. Moritz Art Film Festival statt. Ein Erlebnisbericht.

Jeder Fan von Kunstfilmen, Arthouse-Kino oder Künstler-Porträts müsste von der ersten Ausgabe des St. Moritz Art Film Festivals (SMAFF) begeistert sein. Das Festival, das am 25. August eröffnet wurde und bis zum 28. August dauerte, ist konzeptionell ziemlich einzigartig. Das von Stefano Pansera gut kuratierte Programm, das im Embassy Club des Palace Hotels und in der Reithalle in St. Moritz stattfand, widmete sich dem Thema «Face to Face» im Kino. Dieses Motiv ist natürlich untrennbar mit dem Genre des Kunstfilms selbst verbunden. Wer erinnert sich nicht an Maria Falconetti in Carl Theodor Dreyers Le Passion de Jeanne d'Arc (1928)? Da sich Pansera auch mit historischen Perspektiven beschäftigt und damit, was Filme über sie aussagen können, wurde das Festival mit Pier Pasolinis Meisterwerk La Ricotta (1962) eröffnet. Pasolinis Film konfrontiert uns mit politischer Korruption in Italien, aber auch mit der Bedeutung, die die Malerei seit jeher für Filmemacher hat. Dass er in seinen Grossaufnahmen von Gesichtern ebenso poetisch wie subversiv arbeitet, gehört zu den wichtigsten Aspekten dieses Films. Angesichts des Festival-Themas hätte kein besserer Film den Anfang machen können.

 

«Face to Face»

Hier kommen wir zum Kern dessen, worum es bei dieser ersten Ausgabe des SMAFF ging. Stefano Pansera drückt es so aus: «Das Thema des Gesichts steht für viele grundlegende und aktuelle Themen: die Wiederaneignung unserer Gesichter nach einer Zeit, in der unsere Gesichter mit Masken bedeckt waren, die Entdeckung des anderen in Zeiten des aufkommenden Populismus, die Herausforderungen der Biopolitik in einer Gesellschaft, in der die Kontrolle immer strenger wird.» Danach wurde das Publikum mit zwei heftig diskutierten Kurzfilmen des in Albanien geborenen Künstlers Adrian Paci konfrontiert, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind. Prova (2019) und Rasha (2017) zeigen uns das Gesicht des Leidens der «Anderen» in der heutigen Welt: Arbeitssuchende aus Shkodër in Albanien und eine Palästinenserin aus Syrien, die über humanitäre Kanäle nach Rom gebracht wurde. Die Veranstalter sorgten auch dafür, dass Wissenschaftler die Filmpaarungen kommentierten oder die Filmemacher selbst nach den Vorführungen interviewten. So sprach Ara H. Merjian, ein an der New York University lehrender Kunsthistoriker, ein weiteres wichtiges Thema an: was Malerei mit Film zu tun hat. Pasolini habe ursprünglich nicht nur Kunstgeschichte bei Roberto Longhi studiert, sondern in La Ricotta Tableaux vivants geschaffen, die von Gemälden von Rosso Fiorentino und Pontormo inspiriert waren. Paci wiederum ist ein praktizierender Künstler. Die Atmosphäre seiner Arbeiten wie Prova – das auf dem Festival den Preis für den besten Film eines Künstlers erhielt – zeugt von seiner Meisterschaft, kompositorische Strategien zu kreieren, die geradezu malerisch wirken. Die von Ewa Hess hervorragend moderierten Diskussionen mit Filmschaffenden und Künstlern waren hilfreich, um die Dimensionen der Filme zu verdeutlichen.

 

Kunstfilme und Künstlerporträts

Und dann gab es «Kunstfilme», die so suggestiv und poetisch waren, dass sie uns ohnehin noch lange weiter begleiten werden. Besonders hervorzuheben sind Diego Marcons The Parents‘ Room (2021) - der zu Recht den Hauptpreis gewann – und Trajal Harrells Sister or He Buried the Body (2022). Während die Tonspur des ersten Films vor allem in Kombination mit dem prothesenartigen Make-up der Schauspieler von poetischer Schönheit war, brachten die bekannten Lieder, zu denen Harrell tanzte, nicht wenige Zuschauer dazu, sich in ihren Sitzen zu wippen. Michel Auders Gemӓlde II (2016) war eine ganz andere Sache. Dieser Film bestand aus zwölf Minuten montierter Aufnahmen von Gemälden und Skulpturen, viele davon Ikonen der Renaissance- und Barockmalerei. Sie lenkten unsere Aufmerksamkeit zurück auf Pasolinis Beschäftigung mit der manieristischen Malerei in La Ricotta. Hätte man einen dieser Kunstfilme in einer großen Ausstellung gesehen, es wäre nicht möglich gewesen, sie so zu würdigen. Das liegt daran, dass Filme Zeit und eine ruhige Umgebung brauchen, um auf Betrachter einzuwirken.  

 

Nicht nur für Insider

Das Festival war jedoch nicht nur eine Veranstaltung für Filminsider. Auf dem Programm standen Perlen wie Roman Hübens Dokumentarfilm Douglas Sirk: Hope As in Despair (2022) und Julian Schnabels von der Kritik hochgelobter Before Night Falls (1999). Bei ersterem, der von der Jury des SMAFF mit dem Arthaus-Filmpreis ausgezeichnet wurde, geht es natürlich um den Regisseur grssartiger Melodramen wie Imitation of Life (1959), bei letzterem um den kubanischen Aktivisten und Schriftsteller Reinaldo Arenas. Die Veranstalter luden Schnabel ein, interviewt wurde er von Anthony McCarten. Ein weiterer Höhepunkt war Oliver Hirschgiebels The Painter (2021). Der Film über Albert Oehlens mehrtägiges Malen auf einer abstrakten Leinwand kann als Antwort auf den vielleicht erfolgreichsten Künstlerfilm aller Zeiten gesehen werden - Henri-Georges Clouzots Le mystѐre de Picasso (1956). Doch während in Clouzots Film Picasso unablässig ein Bild nach dem anderen vor unseren Augen schafft, zeigt Hirschgiebel Ben Becker, der in mühevoller Kleinarbeit ein einziges Bild malt und dabei vorgibt, Oehlen zu sein. Tatsächlich aber ist Oehlen im Off, wo er Becker durch die Strategien, Formen und Farben anleitet, um eines seiner Bilder zu schaffen.

Am folgenden Tag wurden weitere Künstlerdokumentationen gezeigt: Larry Stantons Fire Island-Arthur's House in Fire Island (1975) und Alessandra Borghese's The Ghenie Chapels (2022). Stantons Film, der mit Handkamera gedreht wurde, zeigt David Hockney beim Entspannen und Arbeiten an einem Gemälde in der Umgebung eines Hauses auf Fire Island. Die Ungezwungenheit stand in starkem Kontrast zu Borgheses strengen Aufnahmen von Adrian Ghenie, der über eine Reihe von Gemälden spricht, die er kürzlich für die Chiesa della Madonna della Mazza in Palermo angefertigt hat.

Ein Fazit der drei Festivaltage:  Für Filmliebhaberinnen und Liebhaber der visuellen Künste wird das St. Moritz Art Film Festival zum Pflichttermin.

smaff.org

 





 

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