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«Ein guter Script-Berater ist wie ein guter Psychologe»


03. Januar 2018

Was ist der Sinn von Drehbuchentwicklungsprogrammen, von Workshops und Labs? Was kann man dort lernen – und was nur selber erarbeiten? Wie hat sich dabei das Drehbuch verändert, und was zeichnet gute Drehbuchberater aus? Wir haben eine Autorin und einen Autor gefragt, die es wissen müssen: Simon Jaquemet hat das Drehbuch zu seinem vielgelobten Spielfilm «Chrieg» am TorinoFilmLab entwickelt. Und Simone Schmid, heute professionelle Drehbuchautorin, hat zuvor die Drehbuchwerkstatt München/Zürich besucht. Teil eins von zwei Erfahrungs­berichten. 

 

Simon Jaquemet:

«Ich habe während der Entwicklung von ‹Chrieg› verschiedene Workshops wie das Atelier Premiers Plans und den Berlinale Talent Campus besucht, am wichtigsten aber war das TorinoFilmLab. Empfohlen hat es mir mein Freund und Kollege Tobias Nölle, der mit seinem Projekt ‹Aloys› dort war und damit sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Auch mir war die Teilnahme sehr wichtig: Entscheidend war für mich, dass man sich in Turin auf individuelle Erzählweisen spezialisiert hat. Man konzentriert sich da nicht auf Dogmen wie die amerikanische Version der Drei-Akte-Struktur. Wer an klassischer Spielfilmdramaturgie inter­essiert ist, für den ist Turin wahrscheinlich das Falsche. Dort geht es vielmehr darum, die Vision, die man hat, so gut, so persönlich und so konsequent wie möglich umzusetzen.

Im ersten Workshop (ScriptLab) geht es an drei übers Jahr verteilten einwöchigen Workshops, die an verschiedenen Orten in Europa stattfinden, um Stoffentwicklung und ums Schreiben; dazwischen gibt es Skype-Termine. Im zweiten Workshop (FeatureLab) geht es dann auch um Produktion, Herstellung und Promotion.

Im ScriptLab wird meist in kleinen Gruppen gearbeitet, mit einem Script-Consultant und vier anderen Teilnehmern. In meiner Gruppe waren ein Italiener, eine Schwedin, ein ­Chilene und eine russische Script-Consulting- Studentin. So kamen ganz unterschiedliche Sichtweisen zusammen. Unsere Beraterin war Marietta von Hausswolff von Baumgarten, eine schwedische Drehbuchautorin. Sie hat die Gespräche so moderiert, dass man selber zu Erkenntnissen und neuen Ideen kommt. Mich hat sie ermutigt,  weiterzutreiben, zu schärfen und konsequent umzusetzen, was ich sowieso wollte, aber auch Schwachstellen zu hinterfragen.

Das Feedback der anderen Teilnehmer war aber genauso spannend. Wichtig wurde für mich vor allem der Chilene Niles Atallah, der sehr experimentelle Filme dreht und mir beispielsweise den Anreiz gab, die Gruppe der Jugendlichen in ‹Chrieg› wie ein Rudel Hunde zu betrachten. Am Ende der Workshops gab es  ein Pitching vor Produzenten, Festival­programmierern und World-Sales am Meeting Event in Turin, danach Einzeltreffen. Ich war vor der Teilnahme am TorinoFilmLab und den anderen Workshops international nicht so gut vernetzt – mittlerweile kenne ich viele Leute im europäischen Arthouse-Kuchen, der  gar nicht so gross ist. Das TorinoFilmLab hat selber ein Interesse daran, dass die Filme an gute Festivals eingeladen werden und unterstützt dies aktiv. ‹Chrieg› wurde so ans Filmfestival von San Sebastian eingeladen.

Im Gespräch mit jungen Filmemachern aus der ganzen Welt wurde mir klar, wie gut bei uns die Bedingungen sind. Etwa im Vergleich zu Chile oder Griechenland ist die Schweiz in Sachen Filmförderung fast schon ein Schlaraffen­land... In anderen Ländern bedeutet die Entscheidung, Filme zu drehen, oft ein Armutsrisiko und erfordert eine riesige Leidenschaft und Leidensbereitschaft. Ich konnte während der Entwicklung meines Drehbuchs zwei Jahre lang von Drehbuchförderung leben.

Ins TorinoFilmLab aufgenommen zu werden, war schon damals schwierig, jetzt ist es für Schweizer leider fast unmöglich geworden, weil wir nicht mehr am Media-Programm teilhaben. Momentan konkurrieren wir als Schweizer mit dem Rest der Welt um wenige Plätze, die an Nicht-Europäer vergeben werden. Es gibt aber Anstrengungen von Swiss Films und Media Desk, die Teilnahmechancen für Schweizer Filmemacherinnen durch direkte Partnerschaften mit den Labs zu verbessern. Ich würde trotzdem jedem raten, sich zu bewerben.

Bei meinem neuen Film «Der Unschuldige» waren wir mit 8horses und drei anderen jungen Firmen beim Producers Pooling Program (PPP) von Focal mit dabei. Das PPP richtet sich an Produzenten, die ein eigenes Weiterbildungsprogramm zusammenstellen können. In unserem Konzept gab es unter anderem Script-Sessions mit Autoren und Produzenten. So konnte ich mit dem Script-Consultant Franz Rodenkirchen, den ich am TorinoFilmLab kennenlernte, am Drehbuch arbeiten.

Auch Franz Rodenkirchen würde einem nie sagen, was gut ist und was schlecht, er greift nie ein oder schlägt Dinge vor, sondern versucht möglichst genau zu analysieren, worum es bei einem Projekt geht. Ein guter Script-Berater ist wie ein guter Psychologe, der einem nicht sagt, was man tun soll, sondern einem dabei hilft, selbst den besten Weg zu finden, um seine Geschichte zu erzählen. Obwohl ich schüchtern bin und am liebsten alleine arbeite, habe ich gelernt, wie wichtig und inspirierend es ist, sich über die Landesgrenzen hinweg auszutauschen. Ich denke, es gehört schlicht zum Beruf. Wenn man will, dass ein Film auch ausserhalb der Schweiz gesehen wird, sollte man sich schon in der Projektentwicklung einer internationalen Konkurrenz aussetzen und von diesem Austausch profitieren. Speziell jungen Filmemachern würde ich raten, sich für internationale Drehbuch-Labs, Workshops und Koproduktionsmärkte zu bewerben.»

Aufgezeichnet von Kathrin Halter

 

Hauptsache Drehbuch! an den Solothurner Filmtagen:

Sonntag, 28. Januar 2018
13:00–14:00, Kino im Uferbau
Masterclass Martin Suter: Schreiben für die Leinwand

Martin Suter hat u. a. Drehbücher für Daniel Schmid und Christoph Schaub geschrieben. In der Masterclass erklärt er, was das Schreiben für die Leinwand einzigartig macht.

Fokus-Tag, Montag, 29. Januar 2018
10:00–11:30 Kino im Uferbau
Bedürfnisse der DrehbuchautorInnen
Mit den DrehbuchautorInnen Lars Hubrich (DE), Antoine Jaccoud (CH), Micha Lewinsky (CH), Stéphane Mitchell (CH), Karim Moussaoui (DZ/F) und Valia Santella (IT).

11:45– 13:00 Kino im Uferbau
Labs, Workshops, Lehrgänge:
Ein Pflichtprogramm?

Mit Jacqueline Surchat (Atelier Grand Nord), Pascale Rey (DreamAgo), Wilbirg ­Brainin-Donnenberg (Drehbuch Forum Wien), Karin Franz (MFG Filmförderung Baden-Württemberg), Arne Kohlweyer (Script Station Berlinale Talents) und Francesco Giai Via (TorinoFilm- Lab).

14:15 – 15:30 Kino im Uferbau
Der Stellenwert des Drehbuchs bei der Finanzierung: Neue Modelle?

Mit Ivo Kummer (Bundesamt für Kultur), Gérard Ruey (Cinéforom), Nadine Adler ­(Migros Kulturprozent), Jolanda Herradi (SSA), Corinne Frei (SUISSIMAGE) und Daniel Waser (Zürcher Filmstiftung)

15:45 –16:30 Kino im Uferbau
Case Study: die Entwicklung von «My Little One»

Mit Frédéric Choffat (Regisseur), Julie Gilbert (Drehbuch) und Anne Deluz (Produzentin Intermezzo Films)

 

 

Simon Jaquemet:

Geboren 1978, aufgewachsen in Basel. ­Studium an der ZHdK, Studienbereich Film/Video. Seit 2005 freischaffender Regisseur von Filmen, Musikvideos und Werbespots. Sein erster langer Spielfilm «Chrieg» (2015) lief am San Sebastian International Film ­Festival und gewann u.a. in Saarbrücken den «Max Ophüls Preis». Sein neuer Film «Der Unschuldige» kommt 2018 ins Kino. Simon Jaquemet ist Mitgründer der als Kollektiv organisierten Produktionsfirma 8horses.

www.simonjaquemet.ch

www.torinofilmlab.it

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