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Spielereien interessieren ihn nicht

Andreas Scheiner
12. Februar 2019

Pierre Mennel (zvg)

In den späten Achtzigerjahren war Pierre Mennel in den USA. Er war Mitte zwanzig und nach Rockport, Massachusetts geflogen, um einen 35mm-Film-Kurs zu besuchen. Drüben war Spike Lees «Do the Right Thing» gerade das Ding. Mennel erinnert sich, wie alle über die Kameraarbeit staunten: Wie da mit der Brennweite gespielt wird! Wie sich der Kameramann (Ernest Dickerson) erdreistet, ein Weitwinkel für ein Porträt zu nehmen! «Der Film war unsere Bibel», sagt Mennel, «und für seine Zeit war er ja wirklich toll.» Aber so richtig überzeugt davon war er schon damals nicht, meint der heute 55-Jährige: «Man hielt die Kamera schief und dachte: ‹Jetzt sind wir grosse Künstler.›»

Formale Spielereien interessieren Pierre Mennel nicht. Er findet: Die Kamera hat sich in den Dienst der Geschichte zu stellen, der Stil ergibt sich aus dem Inhalt. Mennel sagt: «Häufig ist die Kamera, die unsichtbar bleibt, die beste.»

 

Grosse Reisen, kleine Momente

Pierre Mennel ist einer, der unsichtbar bleibt. Seine Kamera drängt sich nicht auf, und er tut es auch nicht. Die Schweiz hat berühmte Kameraleute hervorgebracht: Man betrauert, natürlich, den kürzlich verstorbenen Pio Corradi («Höhenfeuer»), ist beeindruckt von der Hollywoodvita eines Ueli Steiger («Godzilla») oder von Renato Berta («Au revoir les enfants»), der mit den grossen Franzosen drehte. Auch Peter Indergand («War Photographer») und Felix von Muralt («Schellen-Ursli») sind bekannte Namen. Aber Pierre Mennel? Man hat ihn nicht unbedingt auf dem Radar. Dabei schuf er für alle Filme Micha Lewinskys die Bilder, arbeitete von früh auf mit Samir, war schon Runner und Schnittassistent bei dessen Kinodebüt «Filou», und mit Pipilotti Rist, deren Spielfilm «Pepperminta» er drehte, ist er auch seit langem verbunden. Er führte die Kamera für Sabine Boss («Kein Zurück»), flog für Fanny Bräunings «No more Smoke Signals» zu den Sioux nach South Dakota und mit Matthias von Gunten ging er nach Thule und nach Tuvalu. Pierre Mennel, der zum Gespräch in einer Multi­funktionsjacke und mit Eastpak-Rucksack erscheint, ist ein Multifunktionskameramann.

Seit 2005 unterrichtet Mennel an der ZHdK, seit 2015 auch als Professor für Bildgestaltung. An der Zürcher Dokumentarfilmtagung ZDOK, dieses Jahr (19. bis 22. März) zum Thema Kamera­arbeit im Dokumentarfilm, nimmt er als einer der Präsentatoren teil.

Für seine «grandiosen Aufnahmen» (NZZ) in «ThuleTuvalu» vom äussersten Norden Grönlands und vom Eiland im Pazifischen Ozean wurde er 2015 für den Schweizer Filmpreis nominiert. «Vor allem in der Kälte war es besonders», erinnert er sich: «Auf dem Eis konnte es brenzlig werden, und einmal kamen wir auf unserem kleinen Schiff in einen Sturm und ich wusste nicht, ob wir da wieder rauskommen.»

Es sind aber nicht diese Aufnahmen «in ex­tremis», die Mennel hervorhebt. Auf seine «Lieblings-Shots» aus einem Vierteljahrhundert Kameraarbeit angesprochen, fallen ihm auch nicht «irgendwelche komplizierten Kranfahrten» ein. Es seien «die kleinen Momente», die geblieben sind: «Wenn zum Beispiel jemand vor der Kamera plötzlich weinen muss, das ist enorm.»

Mennel wuchs in einem Elternhaus auf, wo «alles über die Sinne lief». Beim Essen zum Beispiel: Man studierte ganz genau, wie etwas gewürzt ist, wie es schmeckt. Er lernte auch früh, was ein gutes Bild ausmacht. Die Eltern hatten eine Werbeagentur und die Kinder waren die Versuchskaninchen: «Welches Plakat, welches Foto funktioniert besser?», fragten sie den Nachwuchs. «Auch als Model hätte ich mitmachen sollen», erinnert sich Pierre Mennel. «Aber das konnte ich weniger gut. Darin war meine Schwester besser.»

 

Das Handwerk aus der Videowerkstatt

Mit 15 bekam er die Pentax seines Vaters geschenkt, später gab es eine Super-8-Kamera. Das Filmemachen lernte er an der damaligen Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. Das Grundhandwerk brachte er sich aber schon vorher in der Videowerkstatt bei, einem Raum im Kanzlei-Schulhaus, in dem sich Leute aus dem Quartier Equipment besorgen und mit Hilfe der Jungen Videos schneiden konnten. Mennel, der die Videowerkstatt mitbegründete, brauchte das Atelier auch für eigene Projekte, die er im Kino Xenix vor dem Hauptprogramm präsentierte, «zum Leidwesen der Leute, die ins Kino gehen wollten und unsere Erstlingswerke sehen mussten.»

Sie seien von der Revolte beflügelt gewesen, sagt er. Es waren die Achtzigerjahre, die Jugend rebellierte. «Der Impuls, Filme zu machen, kam aus dem Politischen», sagt Mennel, der «Sans Soleil» von Chris Marker gesehen hatte und genauso «mit Bildern über die Gesellschaft nachdenken» wollte. Das macht er noch immer. Pierre Mennel sieht seine Aufgabe als Kameramann darin, «Räume zu schaffen, in denen sich die Protagonisten bewegen können». Er sei «ein Ermöglicher.»

 

▶  Originaltext: Deutsch

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