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Sieben Leben

Pascaline Sordet
21. Dezember 2018

Anne Deluz © Chloé Lambert / La Gruyère

In unserem fast dreistündigen Gespräch ist mir eines klar geworden: Anne Deluz ist wie eine Katze mit sieben Leben. Als Antwort auf meine unchronologisch gestellten Fragen meint sie dann auch: «Mein Leben ist einziges Durcheinander». Anne Deluz wächst als Enkelin eines Neuenburger Pfarrers und als Tochter eines Kontrabassisten, der Direktor des IKRK wurde, im Genfer Hinterland auf. Als Jüngste der Familie merkt sie bald, dass Mädchen sich schwertun, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, und entwickelt eine starke Persönlichkeit.

Sie beginnt sehr früh, in grossen Produk­tionen in Spanien und der Schweiz zu arbeiten, zuerst als Requisiteurin, dann als Regie­assistentin. Mit 19 Jahren dreht sie mit Michel Soutter. 1986 arbeitet sie in Spanien für Strada Films 17 Wochen lang mit zwei 35-mm-­Kameras an einem Dokumentarfilm über den Stierkampf – «Duende» von Jean-Blaise Junod. Sie ist 22 und spricht kein Wort Spanisch.

Von der Assistentin zur Regisseurin

Ein Dreh folgt dem nächsten, Anne Deluz lernt on-the-job. Das Filmset ist eine Offenbarung für sie, doch sie muss hart kämpfen, um sich als Technikerin durchzusetzen. Als Beispiel nennt sie einen Dreh in Burundi für Jacques Sandoz, mit acht Assistenten, ameri­kanischen und pygmäischen Schauspielern sowie Übersetzern. Nichts scheint ihr Angst zu machen: «Man muss einfach durchhalten und arbeiten, so lernt man sein Handwerk. Ein gewisser Leichtsinn spielt sicher auch mit», räumt sie ein.

Anne Deluz ist die erste Frau, die Regie­assistentin in Spanien wird und übt diesen Beruf während 17 Jahren aus. Noch länger dauert ihre Zusammenarbeit mit Alain Tanner, von «La Vallée Fantôme» bis zu «Requiem». «Ich habe mit grossartigen Leuten gearbeitet wie Alain Tanner, der in dem, was er ist, was er tut und was er sagt absolut kohärent ist. Es gefiel mir, für Leute zu arbeiten, die ich bewundere.» Der Sprung zur Regisseurin war also nicht ein lange gehegter Traum, den sie nach Jahren der Assistenzarbeit endlich verwirklichen konnte. Anne Deluz ist einfach eine Frau, die eine Chance zur Veränderung zu ­nutzen weiss.

Das Projekt «Bulle»

«Nach der Geburt meines Kindes konnte ich nicht mehr als Regieassistentin arbeiten. Genau zu dieser Zeit – ich war 37 – bot man mir einen Job als Regisseurin an». Anne Deluz will nicht unbedingt «ihren Film» verwirklichen; sie geht zum Fernsehen. Doch sie hat ihre Vorstellungen, will bescheiden bleiben und die Geschichte in den Vordergrund rücken. Sie dreht «Agathe» und «Bien dégagé derrière les oreilles», eine Familienkomödie, die einen bemerkenswerten Erfolg erzielt (5 Millionen Zuschauer bei der Erstausstrahlung in Frankreich). «Es ist eine Art Mini-Klassiker des französischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens», sagt sie bescheiden.

Nach mehreren Filmen und einer ersten Serie trägt die mittlerweile 50-jährige Anne Deluz das Projekt «Bulle» an den Regisseur und Produzenten Luc Peter heran: eine Familiensaga, bei der jede Folge aus der Sicht einer anderen Person erzählt wird. Er ist begeistert, und Anne Deluz steigt bei Intermezzo als Produzentin ein. «Anne hat einen ganz besonderen Anspruch an einen Film», erzählt Luc Peter. «Es reicht ihr nicht, einen künstlerisch und politisch interessanten Film zu drehen. Für sie muss jeder Film etwas bewirken, ein eigenes Leben haben. Ich war in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend, doch sie bringt mich dazu, hier einen Schritt weiter zu gehen.» Er beschreibt Anne Deluz als offene, anspruchsvolle und positive Frau, die bereit ist, für ihre Meinung und ihre Autoren einzustehen.

Familiäre Blasen

Die positive Einstellung und die unerschöpfliche Energie beeindrucken bei dieser Frau, die seit vier Jahren gegen eine Krebs­erkrankung kämpft. In dieser Zeit beginnt sie als Produzentin zu arbeiten, macht sich in Amerika auf die Drehort­suche für «My Little One» von Julie Gilbert und Frédéric Choffat, einen Film, der dieses Jahr in Solothurn gezeigt wird, schreibt das Drehbuch zu «Bulle» und beginnt mit den Dreharbeiten.

Die Serie berührt das Thema der Krankheit, doch nur am Rande. Anne Deluz vermeidet es diskret, Unbehagen zu erwecken. So auch in Bezug auf das Thema Familie, die die Serie darstellt «wie ein Gefangensein: eine familiäre Blase, der man entfliehen will, zu der man aber immer wieder zurückkehrt». Was in keiner Weise als Abrechnung gedacht ist: «Meine eigenen Eltern waren sehr lustig», und die Beziehung zu ihrer Familie ist sehr gut. «Bulle» ist vielmehr ein Drama «mit schwarzem Humor», eine Serie «der menschlichen Art», wie Anne Deluz sagt. Eine Serie, die ihr gleicht.

▶  Originaltext: Französisch

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