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Francis Reusser: Filmische Spuren eines Lebens

Elisabeth Chardon
17. April 2018

Fünfzehn Jahre nach «Les Printemps de notre vie (fragments)» befragt Francis Reusser in «La Séparation des traces» noch einmal Elemente seiner eigenen Vergangenheit. Der Horizont ist nun allerdings weiter als damals im Film über die Jahre des Protests, und der Blick konzentriert sich hier auf seinen eigenen Lebenslauf. Der Realisator von «Derborence» (1985) und «La Guerre dans le Haut pays» (1999) lässt diesmal die Bilder nicht für sich selbst wirken. Beharrlich erzählt er hier von sich, indem er die Figuren seiner Filme sprechen lässt – und in ihnen hört man wiederum ihn reden. Manchmal lässt er auch seinen Sohn, Jean Reusser, intervenieren, der die Filme «La Terre promise», «Ma nouvelle Héloïse» und «Voltaire et l’affaire Callas» montiert und nun auch diesen biographischen Essay mitgestaltet hat.

Mäanderndes Erzählen

Es ist ein Versuch in Form einer mäandernden Erzählung, eine Art Roadmovie. Wir sind zu Fuss, im Auto, im Zug und auf dem Schiff unterwegs, aber das eigentliche Transport­mittel durch Raum und Zeit sind die Bilder. Eher als eine Reise ist der Film eine Ermittlung, zu der Francis Jean, dem ersten Betrachter der Aufnahmen, Indizien liefert. Er bietet ihm nur Spuren an, um sich ihm leichter zu entziehen, während er selber nach seinen Wurzeln sucht, die immer ja auch die seines Sohnes sind.

Francis Reusser hatte gegen 1960 für das Fernsehen zu arbeiten begonnen, als er, jung zum Waisen geworden, noch im Jugend­erziehungsheim wohnte. In «La Séparation des traces» zollt er seinem «hellsichtigen Erzieher» Tribut, der für ihn jenen Ort gefunden hatte. Doch der Film beginnt auf fast klass­ische Art in Heiligenschwendi, woher sein Vater kam, der in Bex eine triste Kneipe führte, und den er mit dreizehn Jahren verloren hat. In der Berner Berglandschaft, etwas feierlich auf der Terrasse des Bellevue-Hotels, filmt der Cineast sein Gesicht in Grossaufnahme – «die Wunde», kommentiert er, dann schwenkt die Kamera hinab – «der Teller». Paniertes Schnitzel und eine Riesen-Coupe, Heilmittel gegen die schwarze Wundkruste, Folge einer ärztlichen Rosskur, die seine Wange zu fressen scheint, die aber im Lauf des Films bald verschwinden wird. Trauma und Heilung, beides ist vom ersten Bild an präsent.

«La Séparation des traces» ist auch die Beschwörung eines nostalgisch getönten Blicks auf die Welt: Das wirkt keineswegs wie Altersmilde, sondern zeugt von der Fähigkeit, Lebensfreude zu erhalten. Im Rückblick auf die Zeit, als seine Genfer Lieblingsbar mit bunter Kundschaft Bagdad hiess, sagt der Filmemacher: «Wir sehnten uns ständig nach den eben verstrichenen Momenten des Lebens zurück. Die Zukunft konnte warten, solange die Gegenwart in Eastmancolor leuchtete.»

Obsessive Beziehung zu den Alpen

Das Verwirrspiel zwischen Wirklichkeit und Film bliebe oberflächlich, würde dieser nicht von etwas anderem erzählen. Es ist sein Leben, das Francis Reusser in den Film eingeschrieben hat, bis an den Punkt, so bemerkt er einmal, wo er damit seine familiären Beziehungen beschädigt. Doch die Methode erlaubt ihm, von sich selbst mit Hilfe von Ausschnitten aus seinen Filmen zu reden, nur selten durchsetzt von privaten Erinnerungen. So wenn er von seiner Mutter redet, die starb als er zweijährig war, und Niels Arestrup vor einem anonymen Fotoautomatenbild zeigt, der seine betrauert (in Seuls von 1981, Reussers Lieblingsfilm). Er zeigt uns dann eines der seltenen Bilder von ihr, wo man sie beim Klettern im Felsen sieht, für ihn der Ursprung seiner «obsessiven Beziehung zu den Alpen», die in seinen Filmen allgegenwärtig sind.

Francis Reusser konnte Landschaftsfilmer sein, vom See bis hinauf zu den Bergen, er verstand es, Ramuz und Rousseau auf die Leinwand zu bringen, Kostümfilme zu machen – nicht konventionell, sondern experimentierend und mit grösster Sorgfalt fürs Bild und den Ton. Und immer hat er sich auch kritisch mit der Gesellschaft und dem Zeitgeist auseinandergesetzt. Nun folgt also noch einmal ein schönes Lehrstück, von ihm, der zusammen mit François Albera den Filmlehrgang der Genfer ESAV, der heutigen HEAD, begründet hatte. Mit 75 Jahren erzählt er über sich mit Film­bildern, spricht über Eros und Thanatos zu Aufnahmen vom Genfersee und erklärt: «Das Alter erschwert das aktive Leben, nicht aber zu begehren und begehrt zu werden.»

▶ Originaltext: Französich

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