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Cinephile mit Leib und Seele

Muriel Del Don
23. Juli 2020

Valentina Merli © Diane Arques

Obwohl wir uns aufgrund der Corona-Pandemie nicht persönlich treffen können, ist Valentina Merlis Persönlichkeit und Ausstrahlung auch am Bildschirm spürbar. Violeta Kreimer, mit der sie 2018 die Produktionsfirma Misia Films gründete, bestätigt diesen Eindruck und beschreibt ihre Mitstreiterin als glänzende Produzentin, die sich für die Förderung des engagierten Autorenkinos einsetzt, an das sie felsenfest glaubt: «Ich habe grosses Vertrauen in ihre Intuition, sie spürt die Dinge auf eine sehr instinktive Weise. Sie ist leidenschaftlich, optimistisch und humorvoll. Nur frühmorgens lässt man sie besser in Ruhe!».

In ihrer Rolle als Produzentin wählt Valentina Merli ihre Projekte (gemeinsam mit Violeta) aufgrund der Persönlichkeit der Beteiligten aus: «Es sind hauptsächlich Charakter und Persönlichkeit der Autorinnen und Autoren sowie der anderen Produzentinnen und Produzenten, die mich zur Mitarbeit an einem Projekt bewegen. Koproduktionen sind für mich sehr wichtig, sie motivieren mich. Ich will mich der Welt öffnen.» Einen Film zu produzieren bedeutet für sie, an der Seite von Künstlerinnen und Künstlern zu kämpfen, die ihre Leidenschaft für den Film, der idealen Ausdrucksform, über eine innere Welt in Aufruhr zu reden, teilen: «Ihre Auffassung der Dinge und der Filmkunst, ihr dringliches Bedürfnis, ihre Anschauungen – die auch meine sind – weiterzuentwickeln, spornen mich an, diese Leute zu unterstützen und zu verteidigen.»

 

Von jeher kinobegeistert

Valentina Merli studierte zunächst Rechtswissenschaften an der Universität Bologna und schloss ihr Studium mit einer Arbeit über das französische Recht im Rechtsvergleich ab. Danach zog sie nach Strassburg und erhielt – eher durch Zufall – einen Praktikumsplatz bei Eurimages, dem Förderungsfonds des Europarats für europäische Koproduktionen. Diese Erfahrung war der Startschuss für ihre Karriere.

Trotz ihres Studiums ausserhalb des Kunstbereichs spielte der Film seit jeher eine wichtige Rolle in Merlis Leben: «Filme waren immer Teil meines Lebens, das hat sich ganz natürlich ergeben. Seit ich mich erinnern kann, ging ich regelmässig ins Kino und sprach mit meiner Familie und Freunden darüber. Ich fing sehr früh an, mich für den Abspann zu interessieren, und blieb so lange im Saal sitzen, bis der letzte Name von der Leinwand verschwunden war.» Die Regisseurinnen und Regisseure zu nennen, die sie inspiriert und berührt haben, fällt ihr schwer – es sind so viele. Unter ihren Favoriten finden sich berühmte Regisseure wie Scorsese, Truffaut, Bergman und Antonioni, aber auch Paul Thomas Anderson, Jonas Carpignano, Karim Aïnouz und Alice Rohrwacher. Die Filmkunst ist für sie «eine Cadrage, eine Reise, gut geschriebene Dialoge und aussagekräftige Pausen – ein Film ist ein Gemütszustand».

 

Karriere in Frankreich und Italien

Wenn man sie fragt, wer den Lauf ihres Lebens nachhaltig beeinflusst und sie zum Film gebracht hat, zögert sie keine Sekunde: «Ich denke, Paulo Branco (der berühmte portugiesische Produzent, der nach Frankreich auswanderte, um dem autoritären Regime von António de Oliveira Salazar zu entkommen) hat mein Leben verändert, denn er glaubte an mich und stellte mich ein, obwohl ich nur wenig Erfahrung hatte. Er gab mir die Möglichkeit, direkt einzusteigen und schnell zu lernen. Ich habe ihm viel zu verdanken, dank ihm konnte ich mich entfalten.» Valentinas Karriere als Verleiherin und Produzentin in Frankreich und Italien war spannend und voller Überraschungen, doch ein Erlebnis ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: «Die erste schöne Erinnerung, die mir spontan einfällt, hat mit dem Festival von Toronto zu tun. Vor einigen Jahren kümmerte ich mich für Films Distribution (heute Playtime) um den Vertrieb des Films C-R-A-Z-Y von Jean-Marc Vallée. Es gab einen unglaublichen Buzz rund um den Film, wir verkauften ihn überall und die Verleih­firmen stritten sich regelrecht darum. Wenn man wie ich Autorenfilme vertreibt, erlebt man solche Situationen nur selten.»

 

Die neue Aufgabe bei Locarno Pro

Ihre nächste Herausforderung findet sie nun beim Locarno Film Festival, wo sie zur Leiterin von Locarno Pro ernannt wurde, als Nachfolgerin von Nadia Dresti. Valentina Merli geht diese neue Aufgabe mit jener Bescheidenheit und positiven Einstellung an, die sie auszeichnen: «Ich übernehme ein Locarno Pro, das sich insbesondere dank der Arbeit von Nadia Dresti unglaublich weiterentwickelt hat. Ich hoffe, diese Entwicklung auf meine Weise voranzutreiben und der Aufgabe gewachsen zu sein.» Mit dem Tessiner Festival teilt Merli ihre internationale Ausrichtung und ihre künstlerischen Präferenzen, die einzig auf der Aussagekraft und der Qualität der Werke gründen. Obwohl sie auf eine vielseitige und stimulierende Laufbahn zurückblicken kann, will sie keinesfalls aufs Träumen verzichten. Zurzeit arbeitet sie an einem Projekt über eine aussergewöhnliche Frau, die im neunten und zehnten Jahrhundert lebte: «Ich will ihren Namen nicht verraten, sonst stiehlt mir noch jemand meine Idee!», meint sie lächelnd.


▶  Originaltext: Französisch

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