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33 Einblicke in den Krisenalltag

Silvan Preisig
26. Mai 2020

«Von Gestern auf Heute» von Jela Hasler

Schweizer Filmschaffende interpretieren in Kurzfilmen für das Projekt Collection Lockdown die aussergewöhnliche Situation aus persönlicher Sicht. Entstanden ist ein buntes Zeitdokument.

Eine Grünabfuhrtonne auf zwei Beinen läuft eine Treppe hinunter und überquert einen Gehweg. Eine Passantin blickt kurz von ihrem Handy auf und schaut das Wesen verwundert an. Damit beginnt der Beitrag «Dass niemand weiss» von Martin Guggisberg. Nicht nur Grünabfuhrtonnen, auch Kehrrichtsäcke scheinen lebendig geworden zu sein. Sie alle suchen ihren Weg aus der Stadt und hinein in den Wald. Die Wesen entpuppen sich am Ende als ältere Männer und Frauen, die ihre eigene Überlebensstrategie entwickelt haben. Auf humorvolle und gleichwohl subtile Weise wird so eine Geschichte über die Angst vor einer Infizierung erzählt. 

 

Einblick ins Private

Mit der Unterstützung der SRG SSR, des Bundesamtes für Kultur sowie von Cinéforom wurden 33 Filmprojekte aus den drei Sprachregionen der Schweiz realisiert. Die Filmschaffenden haben innerhalb von nur 16 Tagen mit den bestehenden Mitteln in der Höhe von 5000 Franken ihre Projekte fertiggestellt. «Schnell und unkompliziert haben wir dieses Projekt gemeinsam auf die Beine gestellt und durchgeführt», sagt Produzent Michael Steiger. Gesucht wurde der individuelle Blick, die persönliche Reflexion zu dieser besonderen Situation.

Entstanden ist eine Sammlung, die von ihrer inhaltlichen wie stilistischen Vielfalt lebt. Ein wiederkehrendes Motiv ist der Erziehungs-Alltags. Im Zentrum steht immer wieder der Umgang von Eltern mit ihren Kindern Zuhause. In Thomas Haemmerlis Beitrag «Heimschule bei Klugscheissers» werden die Herausforderungen und Vorteile des Homeschooling thematisiert. Humorvoll wird gezeigt, wie viel Spass es den Kindern bereitet, Länder und deren Hauptstädte mit ihrem Vater zu lernen. Aber auch die Anstrengungen der Eltern werden selbstironisch inszeniert, zum Beispiel wenn man dem Sohn Pablo ständig sagen muss, er soll den Finger aus dem Mund nehmen. Ein Leitmotiv des Films ist Somaretta Sommarugas Satz: «Ja, das ist nicht einfach».

Auch der Umgang der Kinder mit der ungewohnten Situation wird thematisiert, etwa in «2 Kinder – 7 Kameras – 1000 Gebote» von Luise Hüsler. Die Kinder setzen spielerisch um, was sie von den Eltern aufschnappen. So wird beim Playmobilespielen die 2-Meter-Abstandsregel eingeführt und die Eröffnung eines Restaurants unter Beachtung des neuen Sicherheitskonzepts nachgeahmt. Die Szenen zeigen, wie sehr die Kinder sich der Situation bewusst sind. Beinahe philosophisch bemerkt die sechsjährige Mira, nachdem sie realisiert hat, dass erst eine Woche des Lockdowns vergangen ist: «sind au längeri Täg worde».

 

Von Dok-Film bis Thriller

Trotz der kurzen Entstehungszeit der Projekte wurden über 80 Ideen eingereicht. Wie Regisseurin Jela Hasler sagt, war es toll, «dass man sich konkret auf etwas konzentrieren kann, ohne den Anspruch einer gesamtheitlichen Aussage zur aktuellen Lage». Der Kreativität der Filmschaffenden scheint die Krise wenig anhaben zu können. Das zeigt sich an der grossen Diversität der Filme. Neben Dokumentarfilmen wurden auch verschiedene fiktionale Szenarien entworfen. In Karim Patwas «Nebenwirkungen» lässt ein vermeintliches Heilmittel gegen Corona die Menschen zu Tieren mutieren, ganz im Sinne eines dystopischen Thrillers.

Anka Schmid lässt in ihrem Beitrag «Corona Surreal» mit dem Stop-Motion-Verfahren Gegenstände ein Eigenleben entwickeln und Andrea Štaka nutzt kurzerhand zwei Rollen 16mm- Film aus dem Kühlschrank, um ihren neuen Alltag zu dokumentieren. So sind sehr individuelle Kurzfilme entstanden, die von der Spontaneität und Kreativität der Filmschaffenden leben.

 

Freiheit bei der Produktion

Stellenweise fällt auf, dass die Produktionen mit limitierten zeitlichen und finanziellen Mitteln auskommen mussten. Die Filme sind nicht bis ins letzte Detail perfekt, was aber kaum stört. Natürlich war ein gewisser Druck da, um abzuliefern, meint Jela Hasler, aber «es kann auch Energien freisetzen, wenn man weiss, man hat nur zwei Wochen Zeit». Für sie sind die begrenzten Mittel auch befreiend gewesen. In ihrem Beitrag «Von Gestern auf Heute» beschäftigt sich Jela Hasler mit der zunehmenden Leere in den Strassen der Vorstadt und wie sich die soziale Interaktion dadurch verändert. Eine Realität, die sie aus ihrem eigenen Alltag kennt: «Man behandelt natürlich etwas, dass einem nahe ist», sagt sie über den Entstehungsprozess. Auch bei der Arbeit an einer so aktuellen Thematik, führt Hasler aus, fliessen persönliche Ansichten zur Gesellschaft automatisch mit ein. Die individuellen Beiträge der Filmschaffenden eröffnen so den Zuschauern neue Perspektiven und regen zur eigenen Reflexion an.

 

Sämtliche Filme sind auf den Online Plattformen und sozialen Netzwerken der SRG SSR zu sehen. Am 26. Mai gibt es eine Ausstrahlung auf RTS2 und am 30. Mai auf RSI LA2. Die Deutschschweizer Filme wurden bereits am 14. Mai in der CH:Filmszene auf SRF1 gesendet.

Die Links zu den verschiedenen Plattformen finden sie hier.

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