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Treffpunkt Markus Duffner

Adrien Kuenzy
21. Juli 2022

© Locarno Film Festival

Heritage Online baut ihre Partnerschaften seit 2020 stetig aus, um ihre Datenbank für Klassiker der Filmgeschichte und für Autorenfilme zu erweitern. Markus Duffner, Gründer der Plattform und Leiter von Locarno Pro, spricht über die Herausforderungen bei der Restaurierung und Verbreitung von Filmklassikern und erklärt, weshalb eine zuverlässige Datenbank für Fachleute unerlässlich ist.    

 

Das Ziel von Heritage Online ist es, rare Filme zugänglich zu machen. Welche Probleme stellen sich aktuell?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass Heritage Online – im Gegensatz zur ebenfalls von mir gegründeten Spamflix – keine VoD-Plattform ist, sondern eine Datenbank. Während der Pandemie stellte ich mir als Käufer von VoD-Inhalten eine Vielzahl von Fragen. Ganz besonders wollte ich herausfinden, was den unabhängigen Plattformen am meisten Schwierigkeiten bereitet, und ich bin zum Schluss gekommen, dass es in erster Linie die Beschaffung der Rechte alter Filme ist, da die Rechteinhaber:innen oft schwer zu ermitteln sind. Heritage Online stellt die Verbindung zwischen Rechteinhaber:innen und Käufer:innen her; ein solches Tool fehlt in der Filmindustrie. Wir möchten diese Lücke schliessen und den Rechteinhaber:innen zugleich die Möglichkeit bieten, ihre Werke in unseren virtuellen Kinosälen in voller Länge zu zeigen, damit potenzielle Käufer:innen sich ein Bild machen können. Die Werke müssen mindestens 15 Jahre alt sein. Aktuell zählt unser Katalog rund 700 Filme plus dazugehörige Dokumente, welche die Rechteinhaber:innen in ihre eigene Datenbank mit Platz für bis zu 2ʼ000 Titel hochladen können.

 

Weshalb beschäftigt Sie das Thema Filmerbe so sehr?

Das mag etwas irrational klingen, aber ich habe Angst, dass wir alles verlieren. Seit Beginn der Pandemie hat die Suche nach neuen audiovisuellen Inhalten im Internet stark an Bedeutung gewonnen, allen voran TikTok mit mittlerweile über einer Milliarde Nutzern. Zeitge­nössische Independent-Filme hingegen machen gerade einmal fünf Prozent des Konsums aus, und Klassiker noch weniger. Meine Befürchtung – wie die der Filmarchive und Kinematheken – treibt mich dazu, nach Lösungen zu suchen für alle, die sich für den Erhalt und die Wieder­belebung des Filmerbes interessieren.

 

Seit ihrer Gründung geht Heritage Online laufend neue Partnerschaften ein, zuletzt mit der Firma Cinegrell, die unter anderem Filme restauriert. Was sind Ihre langfristigen Ziele?

Unser wichtigstes Ziel ist es, die Beziehungen zu unseren bestehenden Partnern zu stärken, wie zum Beispiel der Cinémathèque suisse, mit der wir zur Bereitstellung und Vorführung von Schweizer Filmen in Locarno und nun auf Heritage Online direkt zusammenarbeiten. Dieses Jahr zeigen wir «Das geschriebene Gesicht» von Daniel Schmid und «Die letzten Heimposamenter» von Yves Yersin. Unser Partner filmo liefert das gesamte Material für den digitalen Vertrieb. Das ist wichtig, denn die Filme sollen auch im Internet weiterleben. Unsere Plattform erhöht ihre Sichtbarkeit und vereinfacht den Zugang, auch ausserhalb der Festivals. Cinegrell ist seit diesem Jahr tatsächlich ein wichtiger Partner geworden. Die Postproduktions-Firma mit Sitz in Zürich und Berlin hat uns versprochen, mindestens einen Film pro Jahr zu restaurieren, der als Premiere am Festival gezeigt und danach auf Heritage Online angezeigt wird. Dieses Jahr haben wir uns für «Nos vies privées» von Denis Côté entschieden, der vor 15 Jahren in der Sektion «Cineasti del presente» vorgeführt wurde. Dank der portugiesischen Kinemathek zeigen wir zudem «Tag der Verzweiflung» von Manoel de Oliveira, der vor 30 Jahren auf der Piazza Grande lief. Die Rechte daran besitzt der Sohn des Regisseurs. Eine restaurierte 4K-Version wird schon bald auf unserer Website erfasst und vertrieben.

 

Welche Rolle spielen die Kinematheken in diesem Zusammenhang?

Sie könnten durchaus eine Rolle im internationalen Vertrieb grosser Klassiker übernehmen. Einige tun dies bereits, wie die portugiesische Kinemathek. Wir haben im vergangenen Jahr im Rahmen einer Diskussionsrunde mit diversen Filmarchiven über solche Möglichkeiten gesprochen. Ich bin überzeugt, dass wir den Markt erweitern müssen. Dieses Jahr werden wir die Diskussion am Festival fortführen und wollen von den internationalen Filmvertrieben erfahren, wie sie klassischen Filmen neues Leben einhauchen möchten. Zudem haben wir NFT-Spezialist:innen eingeladen, denn auch in diesem Bereich bieten sich interessante Alternativen zur internationalen Verbreitung von Filmklassikern.

 

Wie stellt Heritage Online die Verbindung her zwischen Rechteinhabern und Plattformbetreibern? Haben Sie konkrete Erfolgsbeispiele?

Alle im An- oder Verkauf von Filmen Tätigen können auf der Plattform ein Konto eröffnen. Damit können sie gezielt nach Werken und allen nötigen Informationen suchen, um die Rechte an den Filmen erwerben zu können. Mubi hat viele Filme via Heritage Online in den Katalog aufgenommen. Der amerikanische Vertrieb Film Movement kaufte kürzlich den Spielfilm «The Killing Floor» von Bill Duke, der dank unserer Plattform restauriert wurde. Er lief zuerst in einigen Kinos und wurde dann auf iTunes herausgebracht. Um ein grösseres Publikum zu erreichen, erhielt er zudem spanische Untertitel. 2021 schliesslich wurde der Film im Rahmen von Cannes Classics gezeigt. Eine tolle Geschichte!

 

Sie haben sich dafür entschieden, Klassiker aus der ganzen Welt sichtbar zu machen. Ist es schwierig, ihr Repertoire regelmässig zu ergänzen?

Im Allgemeinen funktionieren unsere Partnerschaften mit dem Markt für Filmklassiker sehr gut. Im vergangenen Jahr zum Beispiel konnten wir mehrere neue Partnerschaften eingehen, die längerfristig ausgelegt sind, unter anderem mit dem Bergamo Film Meeting. Die grösste Schwierigkeit besteht aktuell darin, dass die Fachleute für klassische Filme auf den traditionellen Märkten nicht ausreichend präsent sind, jedenfalls viel weniger als die Verkäufer:innen oder Vertreiber:innen. Deshalb braucht die weltweite Lancierung von Heritage Online enorm viel Zeit, denn wir müssen unser Tempo dem des Marktes anpassen. Je besser es uns gelingt, Branchen-Leute zu sensibilisieren, desto mehr wird unsere Datenbank genutzt und zu einem unverzichtbaren Instrument werden. Wir müssen einfach Geduld haben. 

 

Originaltext Französisch

 

Werdegang eines Cinephilen

3. November 1982 Markus Duffner wird in San Benedetto del Tronto, Italien geboren.

1990 «Ich schlich mich in die Videosammlung meines grossen Bruders und schaute «Videodrome» von David Cronenberg. Der Film jagte mir eine Heidenangst ein, und seither liess mich die Cinephilie nicht mehr los.»

2004 «Während des Studiums in Bologna besuchte ich einen Kurs, in dem man ein fiktives Filmfestival organisieren musste. Das Budget war unbegrenzt, doch all meine Kollegen zeichneten ein kleines Nischenfestival. Ich sagte meinem Professor, das sei reine Zeitverschwendung. Er antwortete mir: ‹wenn du als Künstler versagst, kannst du mit deinem kritischen Auge an Festivals arbeiten›. Der Professor war Giorgio Gosetti, damaliger Leiter der Giornate degli Autori an der Mostra, und er holte mich im gleichen Jahr als Praktikanten nach Venedig. Das war der Beginn meiner Karriere.»

2007 «Mein Einstieg beim Festival von Rom, wo ich über zehn Jahre blieb und Grössen wie Francesca Palleschi, Vizedirektorin des MIA und Projektleiterin von Alliance 4 Development, kennenlernte.»

2008 «Meine erste Begegnung mit Nadia Dresti, deren Energie und unglaubliche Professionalität mich bis heute enorm inspirieren.»

2014 «Mein erstes Jahr als Koordinator der Carte Blanche (heute First Look) zu Brasilien in Locarno. Das hat mein Leben tiefgreifend verändert, zumal ich dort auch meine Frau kennenlernte.»

2021 «Ein fantastisches Jahr: Ich übernahm die Leitung von Locarno Pro und – noch wichtiger – wurde Vater.» 

 

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