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Dunkle Katzen

Kathrin Halter
21. Juli 2022

Valentin Merz © Andrea Film

«De Noche los Gatos son Pardos» von Valentin Merz  läuft als einziger Schweizer Beitrag im Internationalen Wettbewerb von Locarno. Ein Porträt des Regisseurs.

Welch ein Paar: Immer wieder wird Valentin (Valentin Merz) von seinem jüngeren Bruder gehänselt und angegangen; beim gemeinsamen Haschkuchen-Backen wird Adi (Adrian Merz) geradezu ausfällig. Einmal wird es Valentin zu viel, er weist den Unbändigen zurecht. Es folgen Momente verspielter Zärtlichkeit, doch die brüderliche Dynamik bleibt unberechenbar. Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt – auch für das Publikum.

«Brüder – Ein Familienfilm» (2020) heisst der dokumentarische Kurzfilm, der bei Visions du Réel uraufgeführt wurde. Die Merz-Brüder verkörpern sich selbst, und doch spricht der Regisseur von einem Rollenspiel, von leichter Verfremdung, einer fiktionalisierten Version der Protagonisten; die Szenen waren weitgehend geplant und inszeniert. Die Freiheit des Rollenspiels macht es für Merz einfacher, Persönliches zu zeigen.  

Dies liesse sich auch über seinen ersten langen Spielfilm «De Noche los Gatos son Pardos» (2022) sagen, wo er das Spiel mit der Fiktion noch weiter treibt. Der Spielfilm läuft – als einziger Schweizer Beitrag – im Internationalen Wettbewerb von Locarno und dürfte dort mit seiner atmosphärisch suggestiven Bildsprache und freimütigen Inszenierung nicht nur gut aufgehoben sein, sondern Valentin Merz als einen der avancierteren Schweizer Filmemacher etablieren; als einen Filmemacher auch, der für queeres Kino steht.

Aufgewachsen ist Valentin Merz (*1985) in Zürich, wo er eine Ausbildung als Grafiker und Typograf macht, bevor er 2007, mit 21, für ein Jahr nach Mexiko City zieht. Dort arbeitet er zunächst als Grafiker. Zum Film kommt er schleichend, so entdeckt er über das Theater Fassbinder, das Unmittelbare seiner Filme gefällt ihm. In Ciudad Juarez arbeitet er auf dem Set eines amerikanischen Independentfilms und übernimmt eine kleine Rolle als transsexuelle Prostituierte. 

Von 2009-14 lebt Merz in Berlin, wo er vorwiegend am Theater arbeitet. Als Schauspieler wirkt er in drei Filmen von Cyrill Schäublin mit, dem er in Berlin wiederbegegnet. Von 2014-17 studiert Merz Film an der HEAD in Genf, vor und nach dem Studium realisiert er Videoarbeiten für verschiedene Produktionen des Theaters HORA. 2018 gründet er die Produktionsfirma Andrea Film, mit der er zunächst drei Kurzfilme realisiert und nun mit «De Noche los Gatos son Pardos» seinen ersten Langfilm. 

 

Doppelrollen 

«De Noche» erzählt von Dreharbeiten auf dem französischen Land, die Crew dreht einen erotischen Kostümfilm frei nach Marquis de Sade. Als der Regisseur (Valentin Merz) verschwindet, ermittelt bald die örtliche Polizei, der Kameramann und Geliebte des Regisseurs entschwindet seinerseits und gelangt, von einem mysteriösen Versprechen getrieben, an den mexikanischen Pazifik. 

«De Noche» ist einerseits ein Metafilm in dem Sinne, als zwischen Dreharbeiten und Privatleben der (fiktiven) Mitarbeitenden die Grenzen verwischen und der Film spielerisch die Arbeit am Set reflektiert. «De Noche» geht jedoch weiter, indem einzelne Crewmitglieder auch in der Fiktion mitspielen: so verkörpert der Kameramann Robin Mognetti auch den Kameramann im Film, dasselbe gilt für den Tontechniker und weitere Mitarbeiter. 

Mit solchen Doppelrollen wollte Merz die Abgrenzung vor und hinter der Kamera unterlaufen und die Dynamik am Set verändern, was ein Stück weit auch die eigene (Autoritäts-)Position als Regisseur betraf, so wenn es seine Rolle als Schauspieler einmal verlangt, sich vor den anderen auszuziehen – welcher Regisseur tut das schon.  

Vor Drehbeginn gab es kein ausgefeiltes Drehbuch, nur Plot Points, so wurden Szenen auch gemeinsam mit den Darsteller:innen aus dem Moment heraus weiterentwickelt. Für diese Offenheit, die Prämisse auch, dass es in «De Noche» um anderes geht als die Auflösung eines Kriminalfalls, dafür wurde Valentin Merz schon früh am Filmfestival Locarno unterstützt: Nachdem das Projekt 2019 den Fast Track-Wettbewerb der Zürcher Filmstiftung gewann, wurde der noch unfertige Film (es existierten 74 Minuten) letztes Jahr an die Sektion First Look von Locarno Pro eingeladen, wo die Jury «De Noche» mit dem ersten Preis (Cinegrell First Look Award) auszeichnete. Ob nun auch das Publikum mitzieht, wird sich bald an der Premiere in Locarno zeigen.  

 

Originaltext Deutsch

 

«De Noche los Gatos son Pardos» am Locarno Film Festival

11. August, 16.45 

Fevi, Locarno

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