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Letztes Ringen für «Lex Netflix»

Kathrin Halter
28. März 2022

Geldsegen? Für «Tschugger» haben sich SRF und Sky zusammengetan, die erste Staffel war zugleich auf Play Suisse wie auf Sky verfügbar.

Es ist die wichtigste Kulturvorlage seit Gedenken. Was am 15. Mai auf dem Spiel ist, was im Abstimmungskampf geplant ist und auf welche Gegenargumente sich die Branche vorbereiten muss. 

Sechs Wochen dauert es noch bis zur Abstimmung. Nun folgt die heisse Phase des Abstimmungskampfs, die mit der Pressekon­ferenz von Alain Berset am 8. März lanciert wurde und dabei gewiss noch an Intensität zulegen wird. 

Es steht enorm viel auf dem Spiel: Für die Branche ist es das wichtigste Anliegen seit Gedenken, mindestens ebenso wichtig wie die Abstimmung zur No-Billag-Initiative 2018 vor vier Jahren – und es ist die erste Kulturvorlage, die vors Volk kommt, weil ein Referendum ergriffen wurde. 

Dabei droht schon eine nächste Initiative, die es erneut auf die SRG abgesehen hat: Anfang März hat ein Komitee die Lancierung einer Initiative zur Reduktion der Medienabgabe von bisher 335 auf neu 200 Franken bekanntgegeben. Auch in dieser Abstimmung, sollte es so weit kommen, wird sich die Branche engagieren müssen – eine Annahme würde den Pacte de l›audiovisuel, das dritte Standbein der Schweizer Filmförderung, in Frage stellen. 

Doch zurück zum Filmgesetz, das in der Öffentlichkeit längst nur noch «Lex Netflix» tituliert wird. Die Fronten sind etabliert: Auf der Seite der Befürworter sind die Linksparteien, voraussichtlich die Grünliberalen (Delegiertenversammlung Anfang April) und die Mitte. Der Dachverband Cinésuisse unter dem Präsidium von SP-Nationalrat Matthias Aebischer koordiniert mit Hilfe einer Arbeitsgruppe (der u.a. Salome Horber, Thomas Tribolet und Roland Hurschler für die Deutschschweiz, Marie Klay und Jacob Berger für die Romandie sowie Niccolò Castelli für das Tessin angehören) die vielen Einzelinitiativen aus der Filmbranche, die wie wilde Triebe aufgeschossen sind. Hinzu kommt die Arbeit der Marketing- und Kommunikationsagentur «Feinheit», die im Auftrag von Cinésuisse die Kampagne von der Website ja-zum-filmgesetz.ch bis hin zu Plakaten oder Flugblättern gestaltet. Auch in Sozialen Medien ist man präsent. Ein überparteiliches Komitee unterstützt die Arbeit, wobei für die drei Sprachregionen teils zusätzliche Mitglieder aufgeführt sind. (Kommende Veranstaltungen werden in der Agenda von cinebulletin.ch laufend aktualisiert). 

Auf der Seite der Gegner stehen die SVP, die bürgerlichen Jungparteien sowie Teile der FDP. Damit haben es die Jungliberalen um Matthias Müller geschafft, die Mutterpartei auf ihre Seite zu ziehen – jene Partei also, die die Vorlage in den beiden Parlamentskammern noch mitgetragen hat und die traditionell meist eher kulturfreundlich eingestellt ist. 

 

Die Kampagne

Wichtig im Abstimmungskampf der Gegner ist der neue Verband Schweizer Privatfernsehen VSPF. Der Lobbyorganisation gehören das Medienunternehmen CH Media an mit dem von der Gesetzesänderung betroffenen Fernsehsender 3+, die Schweizer Werbefenster etwa von Pro7 und Sat 1 sowie RTL. Präsident der neuen Lobbyorganisation ist Roger Elsener, Chef von Entertainment CH Media, die wiederum die Schweizer Streamingplattform One Plus betreibt. Unterstützung kommt auch  vom Verband der Schweizer Regionalfernsehen Telesuisse sowie von Suisse Digital, dem Verband für Kommunikationsnetze; prominentes Mitglied ist die Swisscom, die sich, als halbstaatlicher Riese, jedoch nicht selber in den Abstimmungskampf einbringen darf. 

Netflix will sich vor der Abstimmung nicht äussern, auch Cinébulletin gegenüber nicht. Seine Position hat der Streaming-Riese allerdings schon während der Parlamentsdebatte im Mai 2021 klar gemacht, wo er in einem Brief an Parlamentarier für eine «massvolle Investitionsverpflichtung von 1 oder maximal 2 Prozent» lobbyiert hat. Anfang dieses Jahres liess sich Netflix nur mit dem Statement zitieren, man werde weiterhin in Inhalte aus der Schweiz investieren, wenn man glaube, dass diese ein interessantes Angebot für die Abonnenten seien. 

Eine Schwierigkeit für die Filmbranche stellt die ungleiche Finanzierung der Kampagnen dar. An Geld scheint es laut Matthias Aebischer bei den Gegnern nicht zu fehlen, denn bereits beim Unterschriftensammeln war solches im Spiel. Die Befürworter operieren mit rund 700ʼ000  Franken. Dass keinerlei Unterstützung aus dem Bundesamt für Kultur kommen darf, auch indirekt nicht, versteht sich von selbst. Zur Finanzierung bleiben die Produzentenverbände und die Urheberrechtsgesellschaften aus dem Bereich Film wie SSA, Suissimage und Swissperform. Jedenfalls wirkt es wie ein Witz, wenn Matthias Müller in der Weltwoche diesbezüglich von einem «Kampf David gegen Goliath» spricht. 

Umso wichtiger ist das schlüssig und verständlich formulierte Argumentarium der Befürworter, das auch einen Teil der breiten Bevölkerung gewinnen dürfte und zugleich der komplexen Materie gerecht wird. Der Branche dürfte es mittlerweile bekannt sein (nachzulesen unter www.ja-zum-filmgesetz.ch). Dabei sollte man auch gegen die geläufigsten Gegenargumente gewappnet sein. Dazu zählt etwa die Position der Verfechter des freien Marktes, für die jede Regulierung grundsätzlich falsch ist. Oder die – ziemlich frei herbeifantasierte – Behauptung einer Erhöhung der Abopreise bei den Streamingdiensten, obwohl es dafür keine schlüssigen Belege gibt – international finden sich jedenfalls keinerlei Hinweise, dass sich die Einführung von Investitionspflichten oder Abgaben auf die Abo-Preise negativ ausgewirkt hätte. Der ARF/FDS hat deshalb einen Faktencheck zu den Argumenten des Referendum-Komitees veröffentlicht, mit dem ein paar solcher Behauptungen korrigiert werden. Schwieriger wird es, wenn sich Halbwissen mit Ressen­timents gegenüber dem europäischen und Schweizer Filmschaffen paart – etwa bei der Behauptung, die Konsumenten würden dann gedrängt, so komische Filme zu schauen, die sowieso niemand will. Alles freiwillig! Dafür sorgen schon die Algorithmen der Dienste.   

Kaum von den Gegnern zu hören ist hingegen, dass die globalen Plattformen erklärtermassen europäische Inhalte suchen. Oder dass eine «Lex Netflix» gerade für mehr Wettbewerb sorgen würde – und die Vorlage Schweizer Steuerzahler schont, indem sie global tätige Unternehmen zu Investitionen verpflichtet.

 

Eine grosse Chance

Seit mit den globalen Streamingdiensten neue Player die lokalen Märkte aufmischen und ihren Teil zum Serienfieber besteuern, gibt es auch in Europa einen regelrechten Drehboom. Zur Eröffnung des Berliner Büros im September 2021 hat der US-Konzern Netflix bekanntlich angekündigt, dass er bis 2023 über 500 Millionen Euro in Produktionen aus dem deutschsprachigen DACH-Raum – also in Deutschland, Österreich und der Schweiz – investieren wolle. Eine Woche später sagte Lars Wiebe, damals Head of German Production bei Netflix, am ZFF, Netflix sei auf der Suche nach deutschsprachigen Original-Stoffen aus den drei Ländern, die «mehr oder weniger» vor Ort spielen. Man entwickle auch eigene Ideen, für die man regionale Koproduktionspartner suche und interessiere sich überhaupt für Co-Produktionen und Lizensierungen von Filmen aus der Region. 

Auch aufgrund solcher Aussagen hofft die Filmbranche hierzulande darauf, viel stärker als bislang an diesem Boom teilhaben zu können. Natürlich geht es dabei auch um Sichtbarkeit und Präsenz in den Stream­ingdiensten, darum, dass die Schweiz nicht dort abgehängt und ausgeschlossen wird, wo sich das Publikum zunehmend aufhält. Das ist keine Kriegserklärung an die Kinos, sondern eine Antwort auf ein hybrides Konsumverhalten, das ganz selbstverständlich geworden ist. 

«Tschugger» kam da gerade richtig, eine Produktion von Shining Film und SRF in Zusammenarbeit mit Sky Schweiz: Jene schräge Serie über eine Walliser Polizeistation, die wunderbar vorführt, was geschehen kann, wenn ein origineller Kopf wie der Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur David Constantin mit den richtigen Partnern zusammenfindet. 

Allerdings sind solche Koproduktionen bis jetzt Mangelware. Ausser «Tschugger» gibt gerade noch «Early Birds» zu reden – ein Film, der von Hugo Film, Netflix und CH Media koproduziert wird. Und dann gibt es da noch einzelne Lizensierungen wie jüngst die SRF-Serie «Neumatt», die an Netflix verkauft wurde. (Siehe dazu das Interview mit Sven Wälti auf cinebulletin.ch).

 

Selbstregulierung verzerrt den Markt

Neoliberale Verfechter des freien Marktes sind nun prinzipiell und aus ideologischem Grundsatz gegen jegliche Regulierung. Matthias Müller sagt: «Es ist völlig falsch, privaten Firmen vorzuschreiben, wie sie ihre Bruttoeinnahmen zu verwenden haben. Hier wird ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen.» (persoenlich.com). Und Eric Grignon von Sky hält Regulierung nicht für nötig, weil der Markt bereits funktioniere: «Wir müssen und wollen uns sowieso mit den Schweizer Kunden und lokalen Produktionsfirmen verbinden. Es würde kein Gesetz brauchen.» (NZZ am Sonntag). 

Darauf zu hoffen, dass sich solche Produktionen nun von selbst vervielfachen, wäre allerdings naiv – vor allem solange die Dienste in unseren Nachbarländern zu Investitionen oder Direktabgaben gezwungen sind, in der Schweiz aber nicht. «Mit der Gesetzesänderung soll in erster Linie der bestehende Wettbewerbsnachteil der Schweiz gegenüber den europäischen Ländern, die eine solche Investitionspflicht eingeführt haben, beseitigt werden», schreibt denn auch das BAK. 

Hier setzt das Gesetz an, indem es endlich gleiche Bedingungen für alle schafft. Ivan Madeo (Contrast Film) sagt dazu: «Das Gesetz gibt es ja schon seit Jahrzehnten, nur nicht für Streaming-Anbieter, das ist das Absurde. Die Behauptung, dass sich der Markt selber reguliert, ist schlicht falsch – im Gegenteil, es entsteht ein verzerrter Markt! Wenn dieser für die einen Auflagen macht und für die anderen nicht, wenn ausgerechnet ausländische Player von Auflagen ausgenommen sind, bedeutet dies ungleiche Marktbedingungen, das ist unfair.» 

Und wenn das erneuerte Filmgesetz nun kommt, wäre die Schweiz denn imstande, diesen Quantensprung zu bewältigen? Gäbe es hierzulande genügend Autor:innen oder Techniker:innen? 

Die Frage der Ressourcen findet Sven Wälti (Leiter Film SRG) nicht ganz falsch: «Das haben wir schon gemerkt bei den wenigen Serien, die wir machen. Je nach Produktionszeitpunkt kann es zu Engpässen kommen, weil nicht alle gleichzeitig engagiert werden können. Gleichzeitig ist das auch eine Frage von Perspektiven: Wenn in einem Land zehn Serien pro Jahr entstehen, wird es wieder attraktiv, sich als Produktionsleiter oder als Kameramann ausbilden zu lassen.»

Ivan Madeo ist noch zuversichtlicher: «Da habe ich Null Angst. Viele Schweizer Autor:innen und Techniker:innen sammeln derzeit Erfahrung im Ausland, wo das Serienschaffen früher angelaufen ist. Das ist wichtig für den Know-how-Transfer in die Schweiz. Und ich weiss von vielen Schweizer Produzent:innen, die Projekte und bereits ein Team beieinander haben und starten könnten, wenn das Go von Netflix oder Sky käme». Aufgrund der Erfahrung unserer Nachbarländer sei ferner zu vermuten, dass sich Unternehmen wie Netflix, Amazon Prime, Sky oder Disney+ schnell an die neue Situation anpassen und weitere Stellvertreter in die Schweiz schicken werden. 

Sie sind willkommen! 

 

Originaltext Deutsch

 

 

 

Im Tandem 

Falls das Gesetz angenommen wird, entstünde auch ein Gegengewicht zur SRG, die die hiesige Filmlandschaft stark prägt – im Idealfall auch ein kreatives Wettrennen. Besonders grosse Hoffnungen betreffen das Serienschaffen, das auch im Tandem mit der SRG entstehen könnte. 

Produzent Ivan Madeo zum Beispiel ist sich sicher, dass diese neue Konkurrenz der Schweizer Filmlandschaft nur gut tut – «gerade in der Schweiz, wo es das bisher nicht gab.» Es könne sein, dass einige Filmschaffende eine Zeit lang mehr für Streamingdienste arbeiten als für SRG-Sender, aber das wäre ja kein Problem: «Das erweitert unsere Erfahrung. Und damit könnten auch Formate entstehen, die nicht unbedingt SRF-tauglich sind, aber gleichwohl ein Publikum finden: zum Beispiel mehr Teenie- und Twen-orientierte Serien oder Genre-Produktionen.» Die SRG habe als öffentlich-rechtlicher Anbieter einerseits mehr Auflagen und andererseits ein anderes Publikum als Schweizer Privatfernsehsender wie 3+ oder Streaming-Plattformen wie Netflix oder Sky. Mehr Vielfalt sei ein Gewinn für alle. 

Sven Wälti jedenfalls fürchtet sich nicht vor neuen Mitspielern im Schweizer Markt: «Je mehr Serien hergestellt werden, desto besser werden diese. Eine gewisse Konkurrenz tut gut. Zudem entstehen neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.» 

Lesen Sie dazu ein Interview mit Sven Wälti (SRG)

 

 

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