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Editorial

 

Von der Cleverness digitaler Kultur

 

Die halbe Welt spielt Videogames, während die andere Hälfte mit Furcht, Verachtung oder Unverständnis (oder allem zugleich) zuschaut. Dabei beissen Videospiele nicht, führen nicht automatisch zur Verdummung und verderben die Jugend nicht. Im Gegenteil, sie können sehr lehrreich sein und bieten Möglichkeiten zur Sozialisation und Vernetzung über die Grenzen hinaus.

Die negativen Vorurteile gegenüber Videospielen zeugen von einer mangelnden Kenntnis der Vielfalt und des Umfangs dieses Kreativ­sektors, der nicht nur aus Renn- und Kriegsspielen besteht, sondern auch immersive, interaktive und poetische Werke hervorbringt: Missionen und Entdeckungsreisen, die Animationsfilmen und klassischen Abenteuerfilmen in nichts nachstehen.

Diese Kluft zwischen zwei Welten macht deutlich, wie wichtig digitale Kultur ist, und wie wichtig es ist, sie zu einer Gemeinschaftskultur zu machen. Die Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, US-Kongressabgeordnete und Leitfigur der Linken, hat dies erkannt: Selber Gamerin, nutzt sie die Online-Spieleplattform Twitch, um mit ihrer Wählerschaft zu kommunizieren. Zugegebenermassen ein cleverer Schachzug, der aber auch von einem sehr guten Verständnis des Umfelds zeugt, in dem dieser Teil der Wählerschaft sich bewegt. Die Politikerin setzte sich auch wiederholt dafür ein, dass ihre KollegInnen und die gesamte Classe Politique ihre «Tech Literacy» erweitern, um die Bevölkerung wirksam schützen und für ihr Wohl sorgen zu können. Derartige Kenntnisse sind auch nötig, um die verschiedenen öffentlichen und privaten Förderprogramme intelligent und kohärent weiterzuentwickeln.

Informatiktechnologie ist mittlerweile allgegenwärtig, vom vernetzten Kühlschrank bis zum Smartphone, und der Film bildet keine Ausnahme. Genauso wie man nicht wissen muss, wie eine Digitalkamera funktioniert, um sie zu bedienen, muss man nicht selbst programmieren können, um ein XR-Werk zu produzieren. Was man hingegen braucht, sind TechnikerInnen und InformatikerInnen, die es können. Anaïs Emery, die demnächst als künstlerische Leiterin ihre erste Ausgabe des GIFF eröffnet, vergleicht es damit, die Komposition eines Soundtracks mitzuverfolgen, ohne selbst Musik komponieren zu können. Diese neuen Berufe sind für ihr Vorankommen nicht auf den audiovisuellen Sektor angewiesen, doch interessiert, ihn kennen­zulernen.

Im Bereich der Auswertung haben Multiplex-Kinos, die auf E-Sport setzen, verstanden, dass sie damit ein sehr treues und engagiertes Publikum ansprechen. Es geht dabei aber nicht nur um Diversifizierung: Die Digitalisierung ist allgegenwärtig in unserem Alltag, deshalb dürfen wir sie aus unseren Erzählungen nicht ausschliessen. Die Serie «Black Mirror» ist erschreckend, aber zugleich beispielhaft, und es ist kein Zufall, dass die Produzenten der Filmadaptation «Bander­snatch» die Form des interaktiven Films gewählt haben. Neue Geschichten brauchen neue Erzähltechniken. Nun ist es an uns, die vielfältigen Möglichkeiten, die sich uns auftun, zu entdecken.

 

Pascaline Sordet

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