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Schöner Beruf, prekäres Durchkommen

Kathrin Halter
22. September 2021

Die neue, achtteilige SRF-Serie «Neumatt» mit Rachel Braunschweig und Roeland Wiesnekker (u.a.) läuft ab 26. September auf SRF1. © SRF/Pascal Mora

Schauspielerinnen und Schauspieler leben meist am Existenzminimum. Dies und vieles mehr hat der SSFV in ­einer Untersuchung zu ihrer Erwerbssituation in der Deutschschweiz herausgefunden. Vorgestellt wird die Studie ­demnächst am Zurich Film Festival – wir geben schon einen Einblick in die wichtigsten Ergebnisse. 

Es gibt im Schweizer Film ein Problem mit den Löhnen. Kurz nachdem der ARF/FDS am Filmfestival Locarno den zweiten Teil seiner Studie zur – meist schlecht­en – Bezahlung von Drehbuch und Regie vorgestellt und diskutiert hat, folgt die nächste Berufsgruppe. Diesmal betrifft es, wenig erstaunlich, die Schauspielerinnen und Schauspieler. Auch zu ihrer Erwerbssituation existiert jetzt eine Untersuchung, die diesmal der SSFV initiiert hat. Wie bei den Löhnen von Regie und Drehbuch sprechen viele Zahlen für sich. 

Das wohl wichtigste Fazit zuerst: Von wenigen erfolgreichen Ausnahmen abgesehen bedeutet die Arbeit als professionelle Schauspielerin, als professioneller Schauspieler in der Schweiz ein Leben am Existenzminimum: 58 Prozent der Umfrageteilnehmenden erzielte im Beruf nur gerade ein jährliches Einkommen bis zu 30'000 Franken. Ein gutes Viertel verdiente weniger als 10'000, nur 19 Prozent über 50'000 Franken. Zur «Fragmentierung der Arbeitsbereiche und Einkommensquellen» gehört auch, dass viele SchauspielerInnen weitere berufsfremde Jobs zum Überleben brauchen – die dann wiederum die im Schauspiel verlangte Flexibilität, sprich Verfügbarkeit, behindern. Ein Teufelskreis. 

 

Theater vs. Film 

Eine weitere Erkenntnis der Studie: nur 12 Prozent des durchschnittlichen Einkommens stammen aus der Mitwirkung bei Kinofilmen und Fernsehen; viel wichtiger sind mit 57 Prozent Engagements am Theater. Dieses Verhältnis überrascht nicht wirklich, wenn man bedenkt, wie bescheiden in der deutschsprachigen Schweiz der Markt für FilmschauspielerInnen ist, auch da im Vergleich zu Dokumentarfilmen vergleichsweise wenig Spielfilme entstehen. (Da an der Umfrage fast nur deutschschweizer SchauspielerInnen teilgenommen haben, gelten die Aussagen nur für die Deutschschweiz; die Situation in der Westschweiz oder im Tessin wird aber vermutlich kaum vorteilhafter sein). Immerhin ist bei SRF wie bei RTS die Produktion von Serien seit 2019 deutlich angestiegen. Auch werden in der Studie nur Engagements in der Schweiz berücksichtigt – Einkünfte in Nachbarländern hat die Umfrage leider nicht erhoben. Für die meisten SchauspielerInnen dürfte dies jedoch wenig ändern, zumal gerade Hauptrollen in grossen Fernseh-Produktionen in der Regel mit bekannten Namen besetzt werden. Für die mindestens 700 schweizweit registrierten SchauspielerInnen* gibt es also zu wenig Arbeit, lässt sich bilanzieren – auch wenn teilzeit-arbeitslose Schauspieler leider zu jeder Filmindustrie gehören. Alleine in Deutschland sind rund 22'000 SchauspielerInnen registriert. 

 

Die Frage der Tagesgagen 

Umso wichtiger angesichts der prekären Erwerbssituation ist eine Erhöhung der Tagesgagen, das sagt auch Ursula Häberlin, Co-Autorin der Untersuchung und stellvertretende Geschäftsleiterin des SSFV. Auch hierzu gibt es erstmals Zahlen: Mit 1'343 Franken lag der Gagendurchschnitt aller Altersgruppen unter der Empfehlung des SSFV für BerufseinsteigerInnen (1'400 Franken) sowie deutlich unter der Empfehlung für erfahrene SchauspielerInnen (1'800 Franken). 26 Prozent verdiente sogar weniger als Fr. 1'000 pro Drehtag. Dabei muss man bedenken, was mit einer «Tagesgage» alles abgegolten wird. Zu Recht weist der Verband darauf hin, dass der Begriff deshalb irreführend ist. Zum eigentlichen Drehtag kommt das mehrtägige Rollenstudium und Erarbeiten des Drehbuchs hinzu, Anproben und Maskenproben, Vorproben und weitere Vorbereitungsarbeiten. Sogar die Nachsynchronisation des Direkttons bis zu einem Tag ist in den Gagen oft inbegriffen. Zudem müssen pro Drehtag mehrere Sperrtage freigehalten werden, um auf Verschiebungen in der Produktion reagieren zu können. Laut Ursula Häberlin geht es bei dieser Klarstellung auch um eine Sensibilisierung der Branche. Viele SchauspielerInnen hätten den Eindruck, dass sich Produktion und Regie über den tatsächlichen Zeitaufwand der SchauspielerInnen oft nicht im Klaren sind. 

Nun fordert der Verband anstelle der bisherigen Gagen-Empfehlungen neu verbindliche Richtgagen mit mehreren Stufen – und damit ein analoges System zu den Richtlöhnen der FilmtechnikerInnen. Dieses soll dann mit den Produzentenverbänden ausgehandelt werden. 

 

Diskriminierung der Frauen

Ein besonders stossendes Ergebnis der Umfrage ist die Diskriminierung von Frauen. So verdienten Schauspielerinnen in Spielfilm- und Fernsehproduktionen 2018/2019 fast ein Viertel (23,2 Prozent) weniger als ihre männlichen Kollegen, bei durchschnittlichen Tagesgagen von 1'158 Franken gegenüber 1'508 Franken bei Männern. Sie erhalten auch doppelt so häufig Tiefstgagen wie Männer. Gründe dafür werden in der Untersuchung ebenfalls genannt: So war die Gagen-Verhandlungsbereitschaft gegenüber Frauen wesentlich tiefer als bei Männern (63 Prozent der Schauspielerinnen gaben an, dass keinerlei Verhandlungsbereitschaft bestand, bei Schauspielern waren es 37 Prozent); Frauen wurde sehr viel häufiger Halbtagesgagen angeboten und sie mussten sich durchschnittlich mehr Zeit pro Drehtag (Sperrzeiten) freihalten als Männer. Hinzu kommt, dass es insgesamt weniger Rollen für Frauen als für Männer zu geben scheint, vergleicht man die Anzahl Drehtage: Während Schauspielerinnen im Zeitraum von 2010 bis 2019 im Jahresdurchschnitt 47,9 Drehtage im Bereich Spielfilm arbeiten konnten, waren es bei den Frauen nur 30,1 Drehtage.

Das Schlimmste an der offensichtlichen Diskriminierung findet Ursula Häberlin, dass der Gender Pay Gap bei den Löhnen zwischen 2010 und 2019 einfach mitgewachsen ist: «Frauen haben einen Rückstand, den sie nicht aufholen konnten – da hat es offenbar überhaupt keine Verbesserung gegeben. Da sind auch die Förderer in der Pflicht, wenn nun nachgewiesen werden kann, dass bei Filmen mit einer massgeblichen Finanzierung durch die öffentliche Hand systematisch das Gleichstellungsgesetz verletzt wird.» 

Auch Ursula Häberlin ist sich bewusst, dass die erschreckend schlechte durchschnittliche Einkommenssituation von SchauspielerInnen (und anderer Berufsgruppen im Film) auch damit zusammenhängt, dass in der Schweiz zu viele zu schlecht finanzierte Filme entstehen – dass also die Gesamtbudgets steigen müssten, damit alle Mitarbeitenden angemessen entlöhnt werden können. Aber es könne nicht sein, dass mit Geldern der öffentlichen Hand Filme hergestellt werden, die Armut produzieren – mit schwerwiegenden Folgen auch für die Altersvorsorge. 

 

* Alleine auf der Plattform schauspieler.ch sind  687 SchauspielerInnen registriert. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

Die Untersuchung

Lanciert wurde die Umfrage des SSFV im Dezember 2019 und bezieht sich auf den Zeitraum von 2010/2011 bis 2018/2019. Die angegebenen Werte beziehen sich auf die jüngsten Daten von 2018/2019. Eingeladen wurden 125 Personen der SSFV-­Berufsgruppe Filmschauspiel sowie Hunderte weitere Kontakte aus dem Bereich Schauspiel. Teilgenommen haben 194 Personen, davon 192 aus der Deutschschweiz. Der SSFV wertete einen ersten Teil der Umfrage selber aus und beauftragte im Oktober 2020 das Wirtschaft- und Sozialforschungsinstitut M.I.S Trend mit der vollständigen Auswertung. 

Die gesamte Untersuchung findet sich unter www.ssfv.ch

Informationsveranstaltung am ZFF

«Kein Glamour in der Lohntüte. Action!  für faire Schauspielgagen»

 

Mit: Ursula Häberlin, SSFV

Roman Obrist, SSFV

Sven Wälti, SRG

Ivo Kummer, BAK

Moderation: Bettina Spoerri 

Sprache: Deutsch

 

NZZ Festival-Lounge

24. September, 14:00-15:15

Einlass nur mit Covid-Zertifikat

 

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