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Gleichheit: noch Luft nach oben

Das Komitee von SWAN
22. September 2021

Am diesjährigen SWAN-Frühstück in Locarno. © Martin Guggisberg

Die Ergebnisse der vom Bundesamt für Kultur vorgelegten Gender-Studie zeigen deutliche Verbesserungen in den letzten sechs Jahren. Dennoch sind weiterhin erhebliche Anstrengungen erforderlich, um Gleichstellung zu erlangen.

2014 wurden in Cannes die Ergebnisse der ersten europäischen Studie über den Anteil der Filme, die zwischen 2003 und 2012 von Frauen realisiert wurden, präsentiert: es sind durchschnittlich 16,1 Prozent. Angesichts dieses alarmierenden Befunds lancierten mehrere Organisationen einen «Aufruf zum Handeln». Die Vizepräsidentin der FERA (Féderation européenne des realisateurs de l’audiovisuel), die Regisseurin Gabriel Baur, kam mit der Idee auf den ARF/FDS zu, eine Erhebung der entsprechenden Daten auch für unser Land durchzuführen. Mit bekannten Folgen. Sieben Monate später stellten Cinésuisse, Focal und ARF/FDS das deprimierende Ergebnis ihrer Studie in Solothurn vor Schweizer Filmförderinstitutionen und einem weitgehend mit überraschten und aufgewühlten Frauen besetzten Saal vor.

Konsequenzen wurden rasch und in grosser Zahl gezogen: Vertreterinnen des ARF/FDS und von Focal riefen das Netzwerk SWAN – Swiss Women’s Audiovisual Network – ins Leben, um die Sichtbarkeit von Frauen zu erhöhen und die Verbindungen untereinander zu stärken. Die Arbeitsgruppe Gender von Cinésuisse wurde gebildet, um die Zahl der erfassten Daten zu erhöhen. Das Bundesamt für Kultur unternahm vor allem zwei grundlegende Schritte zur Korrektur von Ungleichheiten. Es wurde eine jährliche Erhebung von Daten über die Finanzierung von Schweizer Filmen auf nationaler und regionaler Ebene eingerichtet und die selektive Förderung mit zwei Gleichstellungsklauseln ausgestattet: Der Anteil der geförderten Frauenprojekte sollte dem Anteil der eingereichten Projekte entsprechen, und bei gleicher Qualität sollten Frauenprojekte begünstigt werden.

 

Die Bilanz nach sechs Jahren

Die neue BAK-Studie, die in Locarno am «Networking Breakfast» von SWAN vorgestellt wurde, zeigt, dass sich in den letzten sechs Jahren einiges verbessert hat. Mittlerweile spiegelt sich der Anteil der von Frauen eingereichten Projekte auch im Anteil der unterstützten Projekte wider. Mindestens ebenso wichtig: die gewaltige Diskrepanz zwischen den Fördermitteln des BAK für Frauen und für Männer (22 Prozent gegenüber 78 Prozent im Jahr 2015) wurde verkleinert. Die Daten zeigen auch, dass die Anzahl Frauen auf der Leinwand und im Team zunimmt, wenn eine Frau an der Produktion oder am Drehbuch beteiligt ist: weibliche Kreativkräfte stellen Frauen ein.

Doch einige der 2015 offenkundig geworden Ungleichheiten bestehen noch immer. Wie die «Gender Map» des BAK alljährlich zeigt, sind die Protagonisten des Schweizer Films nach wie vor überwiegend Männer über 40, vor allem in Dokumentarfilmen. Frauen über 40 bleiben so unsichtbar. Und auch wenn die Filmschulen seit Jahren paritätisch besetzt sind, geht der Anteil der Frauen im Filmberuf zurück und liegt derzeit bei einem Drittel. Die BAK-Studie versucht zu verstehen, warum im audiovisuellen Bereich ausgebildete Frauen verschwinden, als würden sie von einem schwarzen Loch verschluckt. Sind das die Spätfolgen einer geopferten Generation? Wird die Zukunft wirklich 50/50 bringen?

Was die Zukunft anbelangt, wirken die Zahlen in der Tat ermutigend: Es sieht so aus, als wäre beim Nachwuchs Parität erreicht (ausser im  Kamerabereich, nach wie vor eine Männerbastion, auch bei den Jungen). Pro-Short, der Verband, der den Kurzfilm vertritt, ist jene Berufsorganisation, deren Mitgliedschaft der Gleichstellung am nächsten kommt.

 

Es gibt noch zu tun

Leider wissen wir, dass die Realität diesen vielversprechenden Zahlen hinterherhinkt. Bei Festivals sind Regisseurinnen in den Bereichen Kurzfilm und Erstlingsfilme seit Jahren zur Hälfte vertreten, während sie in den prestigeträchtigeren Sektionen kaum erscheinen. In vielen anderen Bereichen sind junge Frauen präsent, in der Ausbildung und in den ersten Berufsjahren sogar mehrheitlich. Am Ende jedoch behalten die Männer die Zügel in der Hand. Die Gründe dafür sind vielfältig und übergreifend: Die Care-­Arbeit wird noch immer überwiegend von Frauen geleistet; das Buddy-­System (in einer Branche, die aus Selbständigen besteht) bleibt ebenso bestehen wie das Lohngefälle und Arbeitsbedingungen, die mit dem Familienleben unvereinbar sind, geschlechtsspezifische Rollenbilder.

Der BAK-Studie kommt das grosse Verdienst zu, qualitative und analytische Überlegungen jenseits blosser Statistik zu liefern. Ihre Lösungsvorschläge decken sich mit den Forderungen und Initiativen von SWAN: finanzielle Anreize für 50/50-Teams, Coaching für Frauen, zentrale Informationen auf einer Website (SWAN hat 2021 mit Unterstützung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann und des Migros-Kulturprozents  ein «Zentrum für Gleichstellung und Diversität in der Schweizer audiovisuellen Industrie» ins Leben gerufen). Die Studie zeigt, dass die Mehrheit der Befragten der Ansicht ist, dass Massnahmen zur Förderung der Gleichstellung erforderlich sind. Packen wir’s an!

 

▶  Originaltext: Französisch

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