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«Es muss eher unten korrigiert werden, nicht oben»

Kathrin Halter
22. September 2021

Die neue, achtteilige SRF-Serie «Neumatt» mit Julian Koechlin und Sophie Hutter (u.a.) läuft ab 26. September auf SRF1. Regie führten Sabine Boss und Pierre Monnard. © SRF/Pascal Mora

Sven Wälti, Leiter Film SRG, über Theaterlöhne und Schauspiel-Gagen im Film, über Einkommensscheren und den Gender-Gap – und eine neue Checkliste für mehr Diversität in Filmprojekten. 

 

Die Berufstätigkeit als SchauspielerIn bedeu­tet in der Schweiz in der Regel ein Leben am Existenzminimum. Überrascht Sie diese Erkenntnis?

Jein. Einerseits weiss man ja, dass es schwierig ist, von diesem Beruf zu leben. Gleichzeitig bin ich schon erschrocken, dass die Resultate so extrem ausfallen.  

 

Die Mitarbeit bei Kinofilmen und Fernsehen macht nur gerade 12 Prozent des durchschnittlichen Einkommens aus, viel wichtiger ist das Theater mit 57 Prozent. 

Das hat mich überrascht. Wenn über die Hälfte der Gagen aus dem Theaterbereich stammt und das Einkommen insgesamt immer noch so schlecht ist, heisst das ja auch, dass die Theater schlecht bezahlen – das ist auch eine Erkenntnis, die man nicht ausser Acht lassen sollte. 

 

Statt Gagen-Empfehlungen fordert der SSFV jetzt Richtgagen, wie es sie für technische Berufe bereits gibt. Ist die SRG als Förderer bereit, dies auch einzufordern?

Das muss dann mit den Produzenten ausgehandelt werden, das können wir nicht alleine entscheiden. Die Forderung stösst bei uns jedoch auf Verständnis; ich persönlich würde es gut finden, dass man von Empfehlungen weggeht hin zu Richtgagen. Das würde dann für die SRG Konsequenzen haben im Bereich der Serien, wo wir schon jetzt sehr genau hinsehen, dass die Löhne den Empfehlungen entsprechen und dass Frauen und Männer bei vergleichbaren Rollen das Gleiche verdienen. Bei den Kinofilmen braucht es ein Commitment des BAK, da würden wir uns aber selbstverständlich anschliessen. 

 

Also bräuchte es im Pacte de l’audiovisuel eine Klausel zur Zusammenarbeit mit SchauspielerInnen, wie es sie bereits für FilmtechnikerInnen gibt?

Eine solche Klausel könnte sicher aufgenommen werden. Bei der Technik funktionieren die Richtlöhne in der Regel ja gut, das zeigt sich in den Budgets. Was man bei den SchauspielerInnen hingegen nicht möchte, ist ein gleicher Lohn für alle. Hingegen könnte man ein Minimum festlegen, eben nicht nur als Empfehlung, sondern als Richtlohn.  

 

Sind Halbtagesgagen abzuschaffen?

Ja, diese dürfte es gar nicht geben, weil diese in den Budgets nicht festgehalten werden und offiziell also gar nicht existieren. Es sollte selbstverständlich sein, dass es diese abgeschafft werden. 

 

Nun gibt es bei Gagen eine Schere zwischen wenigen gut und vielen schlecht Verdienenden; das gehört halt einfach zum filmischen Star-System, könnte man einwenden. In der Schweiz speist sich die Filmförderung aus öffentlichen Geldern. Inwiefern ändert dies die Situation?

Ein Starsystem existiert in der Schweiz ja eigentlich nicht, weil die Filme dann gar nicht mehr finanzierbar wären. Im Unterschied zu den Technikern sollten jedoch nicht alle gleich viel verdienen, sonst gibt es dann SchauspielerInnen, die nur noch im Ausland  arbeiten wollen. Es muss also eher unten korrigiert werden, nicht oben. 

 

Liegt das Problem nicht viel mehr darin, dass es zu wenig Rollen in Spielfilm- und Serien-Projekten gibt? 

Das haben wir mit dem SSFV auch diskutiert: Das einzige, was korrigiert werden kann, ist, dass die Leute in den Projekten korrekt bezahlt werden. Aber damit ändert sich für viele arbeitslose Schauspieler nichts. Es wird weiterhin so sein, dass noch lange nicht alle von diesem Beruf leben können. 

 

Nun haben höhere Gagen einen Einfluss auf das Gesamtbudget. Die ARF-Studie hat gezeigt, dass es auch andere Bereiche gibt wie Drehbuch und Regie, wo zu viele von zu wenig leben. Wie entgeht man der Gefahr, dass man sich gegenseitig um die vorhandenen Gelder streitet?

Die SRG und das BAK als öffentliche Behörde haben eine gewisse Verantwortung, dass die öffentlichen Gelder so eingesetzt werden, dass die Mitarbeiter von Projekten korrekt bezahlt werden. Wenn nun überall mehr bezahlt werden soll, so kann die Konsequenz nur sein, dass weniger Filme entstehen – denn es gibt wohl kaum mehr Fördergelder aufgrund des Arguments, dass alle korrekt bezahlt werden sollten. Bei den Fernsehserien gehen wir davon aus, dass die Korrekturen, die wir machen müssten, nicht so stark ins Gewicht fallen, dass weniger Serien realisiert werden können, als wir vorhatten.  

 

Frauen verdienen pro Drehtag fast ein Viertel weniger als ihre Kollegen. Wie erklären Sie sich das? 

Mich hat das ebenfalls überrascht. Denn wir schauen bei uns darauf, dass es solche Unterschiede nicht mehr gibt, wenn vom Alter und der Erfahrung her die gleichen Voraussetzungen zutreffen. Eine mögliche Erklärung: Dass Frauen weniger hart verhandeln und eher bereit sind, das Angebotene zu akzeptieren. 

 

Die Verhandlungen könnte man ja beeinflussen oder steuern, um Diskriminierung zu verhindern. 

Ja, indem man zu Richtgagen gelangt – wo es nur noch Verhandlungsspielraum nach oben gibt, nicht mehr nach unten. Aber wie sollen Verhandlungen gesteuert werden? Auch wenn wir die Filme mit öffentlichen Geldern mitfinanzieren – die Produzenten tragen immer noch die Verantwortung für die Gesamtfinanzierung und das Risiko. In der Schweiz entstehen ja keine staatlichen Filme, wir fördern bewusst die Unabhängigkeit der Filmbranche. Sonst sind wir überreglementiert.

 

Es gib weniger Frauen- als Männerrollen. Das führt zur Frage, welche Drehbücher verfilmt werden. Will die SRG hier Einfluss zu nehmen? 

Parallel zu dieser Diskussion ist zudem geplant, dass wir eine Checkliste zum Thema Diversität erarbeiten. So sollen Produzenten künftig bei der Eingabe von Projekten Fragen beantworten, die ersichtlich machen, wie divers das Projekt ist. Bestimmte Fragen betreffen auch Rollen für Frauen. Bei der Checkliste geht es primär um Sensibilisierung. Ob sie einen wirklichen Einfluss haben wird, werden wir sehen. Das Ziel wäre jedenfalls, dass es für Frauen mehr Hauptrollen geben wird und die Ungleichbehandllung korrigiert werden kann. Es darf natürlich immer noch Filme geben, wo Männer im Mittelpunkt stehen. Etwas mehr Diversität jedoch würde sicher nicht schaden. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

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