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Der erste Wurf

Andreas Furler
22. September 2021

Marisa Meier – Produzentin und Autorin © Alice Vera Britschgi

Man stelle sich eine Welt, durchaus in Gegenwart, vor, in der ein allwissender Algorithmus darüber entscheidet, wer noch jugendlich und wer reif fürs Erwachsenenleben ist. Den Erwachsenen teilt der Algorithmus automatisch den perfekt passenden Job und die perfekt passsende Wohnung zu. Findige Jugendliche allerdings haben längst begriffen, wie sie den Algorithmus mit destruktivem Verhalten austricksen und so in einem Leben als verantwortungslose Langzeitjugendliche verharren können. 

 

Den Förderjackpot geknackt

Diese skurrile, doch gar nicht so abwegige Konstellation ausgedacht haben sich die Zürcher Drehbuchautorin und Produzentin Marisa Meier und ihr deutscher Co-Autor und Regisseur Dennis Stormer für ihren Spielfilmerstling «Youth Topia», der im deutschsprachigen Wettbewerb des Zurich Film Festivals uraufgeführt wird. Meier und Stormer haben beide die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg absolviert und dort 2014 bereits einen gemeinsamen Kurzfilm realisiert. Für ihr erstes Projekt nach der Filmschule haben sie gleich einen Förderjackpot geknackt: «Youth Topia» schaffte es als eines von drei jährlichen Projekten ins Programm «Fast Track» der Zürcher Filmstiftung. 80 Prozent des 400'000-Franken-Budgets finanzierte die Stiftung, die Restfinanzierung, so Marisa Meier, war entsprechend einfach.

Doch die 29jährige Jungproduzentin weiss schon von der Filmschule, dass das Produzieren nicht immer so problemlos verläuft. Nach dem Gymnasium und zwei Filmpraktika in Zürich wäre sie auch an der ZHdK und in Luzern zum Filmstudium zugelassen worden, entschied sich aber für die Schule in Ludwigsburg, die bekannt dafür ist, ihre Schüler ins kalte Wasser zu werfen: Volle Verantwortung für ihre Projekte ab dem ersten Tag und im zweiten Jahr bereits eine Koproduktion mit ARTE und dem SWR mit erheblichem Budget. Mittlerweile spezialisiert auf «International Producing», nahm sich Marisa Meier nach zwei Jahren eine Auszeit vom Schulbetrieb, absolvierte Praktika in Paris, Los Angeles und schliesslich im palästinensischen Ramallah, wo ihr bewusst wurde, dass Relevanz das entscheidende Kriterium für ihre künftigen Projekte sein sollte. Danach, die Kurse in Ludwigsburg wurden nun weniger, schloss sie sich dem Strom der Filmstudierenden an, die von Baden-Württemberg nach Berlin weiterzogen. Bis heute pendelt sie zwischen Berlin und Zürich. 

 

Wochenlange Gespräche am Tisch

Neben dem Produzieren lag – und liegt – Marisa Meier weiter das Schreiben am Herzen. Die Co-Autorschaft im Fall von «Youth Topia» sei übrigens absolut wörtlich zu verstehen. Das ganze Drehbuch entstand in mitprotokollierten stunden- und wochenlangen Gesprächen am Tisch. Und Ambitionen auf Regie? «Nein», sagt Marisa Meier, «ich fühle mich als schreibende Produzentin fern vom Set absolut wohl und bin keiner dieser Ferienlager-Freaks, die dieses ‹mit allem Hantieren› brauchen.» Wobei, schränkt sie gleich ein, das Gemeinschaftserlebnis bei der Produktion von «Youth Topia» schon einzigartig gewesen sei. Alle hätten gleich viel verdient auf diesem Set und jedes Departement viel Autonomie genossen. Dennis Stormer sei auch keiner dieser Regie-Tyrannen, die glauben, ständig den Tarif durchgeben zu müssen. So habe man auf dem Set von «Youth Topia» voll und ganz dem Spirit dieses Films nachgelebt, der auch vom Gemeinschaftsgefühl der Jugend erzählt. 

Wie nun aber weiter, wo die Weltpremiere des Films bevorsteht und weitere Vermarktungsschritte folgen sollten? Marisa Meier war schon mit etlichen Verleihern im Gespräch und hat die üblichen Absage-Argumente gehört: Mutig und innovativ sei der Film, doch man habe schon zu viel in der Pipeline, die Kinos seien chronisch verstopft, speziell nach dem Corona-Lockdown. Mitunter, sagt sie lachend, sei sie auch auf blankes Unverständnis für die Ästhetik des Films gestossen, der die Welt der Jugendlichen und der Erwachsenen mit unterschiedlichen Filmformaten spiegelt. Manchmal hätte sie Lust, «Youth Topia» einfach auf YouTube zu stellen, wo sich sein junges Zielpublikum tummelt.

Doch nun stehen erst einmal der Auftritt am ZFF und der weitere Festival-Circuit an. In Berlin hat unterdessen schon eine neue Stoffentwicklung mit einer Erstlingsregisseurin begonnen, in Zürich vertritt Marisa Meier bei der Firma tellfilm, mit der sie auch «Youth Topia» produziert hat, eine Kollegin im Mutterschaftsurlaub. «Marisa, sagt tellfilm-Co-Geschäftsführer Stefan Jäger, «versteht es, die Visionen von Drehbuch, Regie und Produktion zusammenzubringen. Dabei hat sie keine Schere im Kopf und steht über allem.» Neue Schreibideen sind auch schon in ihrem Hinterkopf. 

Alles ist wieder offen nach diesem ersten filmischen Wurf. Es hat alles erst angefangen.

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

Gleichheit: noch Luft nach oben

Das Komitee von SWAN
22 September 2021

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