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Falsche Castings, echte Fallen

Lionel Chiuch
17. Mai 2021

© Yves Noyau

Rollen, egal ob gut oder schlecht, sind Mangelware. Deshalb neigt man dazu, sich blindlings auf jede Gelegenheit zu stürzen – und kann dabei in die Falle tappen.

Emmanuel Mosers Wut ist am Telefon deutlich spürbar. Er empört sich über eine Methode, die er als «widerlich» bezeichnet. Sonst erhebt er seine Stimme eher auf der Strasse: Als Leiter der Strassentheatertruppe «Les Batteurs de Pavés», die er vor über zwanzig Jahren gründete, wendet sich der Regisseur wortstark ans Publikum. Hamlet, Le Cid, Cyrano de Bergerac... Viele Rollen hat er auf den Pflastern dieser Welt gespielt, um seine Kunst allen näherzubringen.

 

Falsche Anzeigen

Doch nun ist der Künstler aus La-Chaux-de-Fonds aufgebracht. Zu Beginn des Jahres hörte er von einem Casting seiner Truppe, das Ende 2020 in Neuenburg stattgefunden haben soll. Doch die Batteurs de Pavés haben seit mindestens vier Jahren kein Casting mehr organisiert. «Ich habe rein zufällig davon erfahren», so Moser. «Ein Freund hörte auf einer Zugfahrt, wie zwei junge Frauen über dieses Casting sprachen. Eine von ihnen meinte, es sei ihr dabei unwohl gewesen, und einer der Organisatoren habe versucht, sie zu betatschen.» Sein Freund zögert erst, Moser zu informieren, denn das Gehörte will so gar nicht zu ihm passen. Als der Regisseur schliesslich davon erfährt, beschliesst er, ein wenig nachzuforschen. Er verbreitet die Geschichte auf den sozialen Medien, sucht nach allfälligen Opfern und warnt die Branche. «Diese Typen haben ein Casting veranstaltet, das sich in erster Linie an Frauen richtet», erklärt er. «Dazu haben sie eine unserer Casting-Anzeigen verwendet, die einige Jahre zuvor erschienen war. Sogar die Adresse der Truppe wurde beibehalten, obwohl das Casting in Neuenburg stattfand, nah am Théâtre du Passage, um das Ganze noch glaubhafter zu machen.»

Die Methode lässt sich mit geringem Aufwand betreiben: Man wählt eine Truppe, die ein bisschen, aber nicht allzu bekannt ist, um kein Aufsehen zu erregen, kopiert eine ihrer früheren Anzeigen und mietet ein Hotelzimmer oder ein kleines Lokal, um die Kandidaten zu empfangen – wobei es sich meist um Kandidatinnen handelt. «Es ist ein ausgeklügeltes System», so Emmanuel Moser. «Ein Casting-Director hat mir erzählt, dass eine junge Frau beinahe vergewaltigt wurde.» Es handelt sich hier also keineswegs um einen einfachen Jux. Emmanuel Moser informierte dann auch unverzüglich die Polizei. «Ich habe Anzeige erstattet, doch es gibt keine Beweise», erklärt er. «Das einzige Verbrechen, das begangen wurde, ist Identitätsbetrug» Die Anzeige wird aufbewahrt für den Fall, dass eines der Opfer selber Anzeige erstattet. In den meisten Fällen ziehen es die Betroffenen aber vor, zu schweigen, denn sie schämen sich dafür, von Ruhm geträumt zu haben und dabei in eine Art Halbwelt geraten zu sein.

 

Vor Gericht

Betrügerische Castings sind beinahe so alt wie der Film selbst; genauso alt wie Versprechungen, die nur diejenigen binden, die an sie glauben. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war die Pariser Tageszeitung «Libération» voll von solchen Casting-Annoncen. Angehenden Schauspielerinnen und Schauspielern versprechen sie eine Karriere – so glaubten sie zumindest, als sie Zeit und Ort notierten, denn Karriere macht man notgedrungen in Paris. Eine der Agenturen, die – zuweilen gegen bare Münze – das Blaue vom Himmel versprach, war weitherum bekannt für ihre unorthodoxen Methoden. Ihr «Directeur», eine zwielichtige Gestalt mit schillerndem Pseudonym, empfing die Bewerberinnen und Bewerber im Keller eines Pariser Wohnhauses. Dort setzte er sie psychischen Übergriffen, Beleidigungen und anderen Schikanen aus und forderte die Frauen systematisch dazu auf, sich auszuziehen oder Sexszenen zu spielen. Wer sich seinen Launen widersetzte, war «nicht für diesen Beruf geschaffen». Mit der Zeit wusste man in der Branche Bescheid, doch es gab immer wieder ein paar Unbedarfte, die in seine Fänge gerieten. Erst als die Zeiten sich änderten, schloss diese traurige Figur ihre Agentur und wurde vor Gericht gestellt.

In der Schweiz sind solche Fälle viel seltener, doch in den letzten Jahren wurden, nebst dem hier erwähnten Fall, weitere falsche Castings bekannt. Mit ein paar einfachen Vorsichtsregeln lassen sich solche Fallen jedoch umgehen. «Ein Anruf genügt», so Emmanuel Moser. Im Internet oder per Telefon lässt sich in wenigen Sekunden überprüfen, ob eine Anzeige echt ist. Zudem sollte man bei Inseraten, die nicht über professionelle Kanäle laufen, vorsichtig sein. Kostenpflichtige Castings oder solche, die eine unverhältnismässig hohe Gage versprechen, sollte man grundsätzlich meiden. Vor allem aber sollte man in jedem Fall Anzeige erstatten. «Das dürfen wir nicht durchgehen lassen», bekräftigt Emmanuel Moser, der fest entschlossen ist, seine Nachforschungen zu Ende zu führen.

 

Dieser Artikel ist zuerst auf blog.comedien.ch erschienen. Comedien.ch ist die Plattform der professionellen Schauspielerinnen und Schauspieler der französischsprachigen Schweiz.

 

▶  Originaltext: Französisch

 

Vom Traum zum Alptraum

Falsche Castings sind die Schattenseite des Traums, berühmt zu werden. Meist werden dabei sexuelle oder finanzielle Absichten verfolgt. Vor zwei Jahren meldete die Vereinigung der Casting-Verantwortlichen in Frankreich, dass die Identität eines ihrer Mitglieder für ein Casting für den Film «Peter» missbraucht wurde. Die betrügerische Anzeige gab vor, einen 14-jährigen Schauspieler zu suchen, und versprach einen Nacktheits-Bonus.

Im Februar 2000 erschien eine gefälschte Anzeige, in der Männer und Frauen zwischen 23 und 60 Jahren für den Spielfilm «L’immense joie» von Stéphane Foenkinos gesucht wurden. Auch hier handelte es sich um eine Fälschung, doch ohne eigentlichen Schaden. Schlimmeres erlebte am Anfang ihrer Karriere die Schauspielerin Marina Foïs: Sie wurde kontaktiert, um in einem Film von Jean-Jacques ­Beinex zu spielen, und fand sich einem kräftigen Mann gegenüber, der ihr erklärte: «In einer Szene liegen Sie nur mit einem Bademantel bekleidet im Bett und masturbieren». Der Mann schlug ihr vor, die Szene zu proben. Die Schauspielerin weigerte sich und kontaktierte ihren Agenten, der ihr bestätigte, dass es sich um ein falsches Casting handelte. Sie erstattete Anzeige – wie fünfzehn andere Schauspielerinnen vor ihr.

Vor zwei Jahren schliesslich suchte eine Agentur via Arbeitsvermittlung «Statistinnen und Statisten für den Film Kaamelott von Alexandre Astier». Die Suchanzeige wurde «nach gründlicher Überprüfung» auch von der Website figurants.com übernommen. Astier, der in der berühmten französischen Serie die Hauptrolle des König Arthur spielt, warnte daraufhin umgehend über Twitter: «Bezahlt auf keinen Fall irgendwelche Leute, die Euch eine Rolle in der Serie versprechen. Es tut mir leid, dass es Dreckskerle gibt, die sich auf unsere Kosten bereichern wollen ... wir kümmern uns darum.»

 

Im digitalen Theaterraum

Kathrin Halter
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