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Editorial

Es ist komplex

 

Diversität bedeutet zunächst einmal die – sehr berechtigte – Forderung nach mehr Vielfalt, auch in der Schweizer Filmbranche. Dabei geht es nicht nur um eine angemessene, gerechtere Beteiligung von Frauen in allen Bereichen, sondern auch um ein grösseres kulturelles Spektrum, was die Herkunft, den kulturellen Background von Filmschaffenden betrifft. Es geht um Chancengleichheit.  

Der Ruf nach mehr Diversität wird allerdings manchmal mit identitätspolitischen Forderungen verknüpft. Identitätspolitik wiederum ist zu einem heiss umstrittenen Kampfbegriff mutiert. Kein Wunder: Die Auswüchse sind teils absurd, die Forderungen identitätspolitischer Kreise, es dürfe nur verkörpern, inszenieren oder sonstwie darstellen, wer exakt denselben ethnischen, geschlechtlichen und kulturellen Hintergrund vorweisen könne, stossen zu Recht auf Kritik. Ab­schreckende Beispiele lassen sich mittlerweile viele zitieren. Nicht immer stammen sie aus den USA, die kulturell meist vorausnehmen, was früher oder später nach Europa überschwappt. Jüngst hat jener Fall für Erstaunen gesorgt, wonach das Gedicht der afroamerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman (das diese bei der Inauguration von Joe Biden vortrug) offenbar nur von einer Person übersetzt werden darf, die Gormans Herkunft und Sozialisation möglichst nahe kommt: schwarz, weiblich, jung. Im Film wiederum führt eine konsequent praktizierte Identitätspolitik quasi zu einem Berufsverbot für nicht wenige Schauspieler. Deren Aufgabe ist es bekanntlich, in fremde Rollen zu schlüpfen. So wie Filmschaffende sich in fremde Welten eindenken können, mit Empathie, Recherche, Fantasie und beruflichem Können.

Dass sich die Diskussion auch ganz anders führen lässt, nämlich nahe an der Praxis, undogmatisch und offen, zeigt der Artikel meiner Kollegin. Pascaline Sordet hat mit drei Filmschaffenden gesprochen, die in Nyon neue Filme zeigen. Das Thema war Diversität in der Schweizer Filmbranche. Wie stellt sich das Thema aus Sicht von Dokumentarfilmschaffenden dar, die selber zu einer kulturellen Minorität zählen? 

Besonders interessant ist eine Beobachtung von Fisnik Maxville, Schweizer mit kosovarischen Wurzeln. Von Filmschaffenden mit Migrationshintergrund werde oft erwartet, dass sie sich (nur) mit jenen Themen befassen, die sie direkt betreffen: «Wenn man bei einer Kommission einen Film einreicht, ist die erste Reaktion immer: Wie gut kennt der Regisseur das Thema? Wie nahe steht es ihm? (...) Unsere Institutionen sind sehr zurückhaltend, wenn Filmschaffende versuchen, aus diesem Schema auszubrechen.» Er betrachte sich jedoch als freien Filmemacher und wolle sich nicht auf Themen beschränken, die solche Erwartungen bedienen, auch wenn er aufgrund seiner Herkunft oder von Erfahrungen dazu legitimiert sei. Auch die senegalesische Filmemacherin Rokhaya Marieme Balde, die an der ECAL ihren Master macht, möchte sich nicht ständig mit ihrer Identität befassen, auch weil sie das verletzlich mache, wie sie sagt. Mit anderen Worten: Auch kulturelle Erwartungen können beengend sein – wenn sie Menschen letztlich auf ihre Herkunft reduzieren. Zumal die Filmschaffenden vor allem eines möchten: unbehelligt arbeiten und respektiert werden. Das schliesst nicht aus, dass sich zum Beispiel Fisnik Maxville mehr Diversität auch in Führungsgremien wünscht («schweizerischer geht es nicht»). Nun, es ist komplex. Wenn Sie mehr über die Frage nachdenken wollen – in Nyon wird an einem Panel weiterdiskutiert.

 

Vermutlich haben Sie in der letzten Ausgabe von Cinébulletin den Offenen Protestbrief gesehen, den die Filmverbände ans BAK gerichtet haben. Nun folgt die Antwort, unterschrieben von BAK-Direktorin Isabelle Chassot persönlich. Wir hoffen, dass alle Parteien bald wieder direkt miteinander reden (falls sie dies nicht sowieso weiterhin getan haben). Dies hoffentlich auch in Cinébulletin, dazu sind wir schliesslich da.    

 

Kathrin Halter

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