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Was wir von Europa lernen können

Kathrin Halter
09. November 2020

Zum Filmhaus in Oslo mit dem norwegischen Filminstitut gehört auch ein Kino. © cinemateket

Wie sollen Filmgesuche begutachtet werden? Welche Alternativen gäbe es für die Schweiz? Eine wenig ­diskutierte Studie bietet Gelegenheit, die Schweizer Filmförderung beim Bund mit grösserem Blickwinkel zu betrachten – im Vergleich mit europäischen Ländern. Derweil wird die Idee eines «Centre national de l'audiovisuel» lanciert. 

Die Begutachtung von Filmprojekten durch Kommissionen des Bundes ist ein Dauerbrenner der Filmpolitik. Jede und jeder hat schon Absagen erhalten oder kennt Kolleginnen und Kollegen, die schon über (angeblich) inkompetente Kommissionsmitglieder geklagt haben, frustriert oder verletzt von Absagen waren, von unverständlichen Begründungen oder ihrem Tonfall. Die finden, dass zu viele Leute dreinreden oder es schlicht für unangebracht halten, dass sich Kollegen gegenseitig beurteilen. In der kleinen Film­szene kennen sich schliesslich alle, irgendwie. Dementsprechend umfangreich sind die Verbesserungsvorschläge, die die Sektion Film von den Verbänden, anlässlich der Vernehmlassung zu den neuen Filmförderkonzepten, erhalten hat (siehe Box Seite 8).

Auch medial geniesst das Schweizer Begutachtungssystem wenig Sympathie. Ende Juni zum Beispiel ist in der «Schweiz am Wochenende» ein Gastkommentar von Alex Bänninger erschienen, der die Arbeit der Kommissionsmitglieder beim BAK sehr kritisch taxiert. Bänninger, von 1970-1984 selber Chef der Sektion Film beim Bundesamt, hat 67 Ablehnungen von Gesuchen studiert. Am schärfsten kritisiert Bänninger die Strenge und die «Missachtung künstlerischer Freiheit» bei der Bewertung von Drehbüchern («Sie werden examiniert, als wären es in Granit gemeisselte Konzepte und nicht erst Skizzen») sowie Begründungen, die floskelhaft oberflächlich oder aber belehrend daherkommen. Das gibt zu denken.

Zumindest ein Kritikpunkt lässt sich allerdings widerlegen: Dass Filmschaffende aus Angst vor Abstrafung Unmut nur hinter vorgehaltener Hand äussern, da sich die Förderinstitutionen (Bänninger erwähnt neben dem Bund auch SRF und die Zürcher Filmstiftung) jede Kritik an der Förderpraxis verbitten würden. Das stimmt so nicht:  Schliesslich gibt es für die sehr demokratisch organisierte Branche alle vier Jahre Gelegenheit, die Kommissionsarbeit beim Bund zu überdenken und anlässlich der Vernehmlassung neuer Filmförderkonzepte Änderungsvorschläge einzubringen, die oft auch berücksichtigt werden. Wie gerade jetzt wieder.

 

Die Studie

Das ist ein guter Anlass, um auf eine Studie zurückzugreifen, die im März 2018 im Auftrag des ARF/FDS sowie der drei Filmproduzentenverbände erschien: Sie trägt den Titel «Einer oder viele, das ist die Frage» und stammt von Rachel Schmid, Drehbuch-Beraterin und Filmförder-Spezialistin und seit 2019 Focal-Direktorin. Auf sechzig Seiten beschreibt Schmid so verständlich wie gut lesbar diverse Begutachtungsmodelle in europäischen Ländern und vergleicht diese mit der Situation in der Schweiz. Unterschieden werden das Intendantenmodell, das Kommissionenmodell sowie Mischformen.

Von einem Kommissionssystem spricht man bekanntlich dann, wenn eine Gruppe begutachtet – dies im Gegensatz zum Intendantenmodell, wo (im Prinzip) eine Person für den Entscheid verantwortlich ist. Viel wichtiger ist laut Schmid allerdings die Förderphilosophie: «Beim Kommissionensystem bemüht sich die Filmförderstelle darum, die Mittelvergabe möglichst ohne Einflussnahme zu verwalten. Jeder Antrag wird gewissermassen als Einzelfall betrachtet (...). Der Antrag steht nur in Konkurrenz mit den Anträgen, welche zum gleichen Termin eingereicht werden. Die Filmförderungen mit Intendantensystemen hingegen sehen sich als aktive Gestalter der Filmindustrie, deren Aufgabe es ist, über die Förderung des Einzelwerkes hinaus das Filmangebot als Ganzes zu steuern und zu fördern.»  Mischformen kombinieren Kommissions- mit Indendantensystemen. So wenn, wie in skandinavischen Ländern, Projektverantwortliche im engen Austausch mit Antragstellenden Projekte begutachten, die Entscheidung aber von mehreren Personen gefällt wird.

Die Studie enthält auch nützliche Statistiken und Übersichtsdarstellungen. So erfährt man zum Beispiel, dass grosse Länder wie Frankreich beinahe ausschliesslich mit Kommissionen arbeiten, während dies in den nordischen Ländern grösstenteils mit dem Intendantenmodell geschieht. (Diese sind es bekanntlich auch, die für die Schweiz immer wieder als Vorbilder herangezogen werden.)

Interessant ist auch die Feststellung, dass in den letzten Jahren einige Länder vom Kommissionssystem zum Intendantensystem gewechselt haben: «Vermutlich gibt es kein Land, das je von einem Intendantensystem zu einem klassischen Kommissionensystem gewechselt hat. Niemand schien bisher Interesse zu haben, die professionelle Begutachtung für mehr Unbefangenheit aufzugeben.» Eine «professionelle» Filmförderung, in der ausgewiesene Fachleute die Projektbegutachtung übernehmen, ist personell jedoch aufwendig. Vor allem kleine Länder müssten das wenige Geld, das ihnen zu Verfügung steht, für die direkte Förderung der Filme nutzen». Schmid schliesst: «Sie entscheiden sich daher mehr aus einer Zwangslage heraus für das Kommissionssystem.»

Viele Vorteile der Begutachtung durch Intendanten liessen sich jedoch mit dem Kommissionenmodell kombinieren, so ein Fazit von Schmid: «Es spielt keine wesentliche Rolle, ob einer oder mehrere eine Entscheidung fällen. Wichtig hingegen ist, dass die richtigen Personen mit der Projektbegutachtung betreut werden. Fachleute, denen man in der Filmbranche vertraut und die ihr Engagement in den Dienst anderer stellen.»  Wichtig ist für die Schweiz auch die Frage, ob unser Land «eher in die Breite oder die Spitze der Projekte fördern soll». Die Diskussion über Veränderungen sollte aber nicht von Beginn weg durch finanzielle Bedenken einschränkt werden; es gebe keinen Grund anzunehmen, dass die Schweiz nicht auch wie viele andere europäische Länder die Politik überzeugen könnte, dass die Filmförderung mehr personelle Ressourcen braucht.

 

Empfehlungen

Abschliessend macht Schmid, «unabhängig vom bestehenden Begutachtungsmodell», folgende Empfehlungen, um die Begutachtung zu verbessern: Kommissions­mitglieder sollen geschult werden, ihre Fähigkeiten sollten evaluiert werden – und die Kommissionen ihre Arbeit selber bewerten (Professionalisierung). Die Vermittlung von Absagegründen sollte ein wichtiger Aspekt der Gesuchsbehandlung sein, auch damit die Weiterentwicklung der Projekte verbessert werden kann (Verbesserung der Kommunikation). Förderinstrumente sind neu so zu definieren, dass eher «Gleiches mit Gleichem» verglichen werden kann, also zum Beispiel marktorientierte Filme oder Arthausfilme. Es sollten Marktexperten,  etwa für die Einschätzung von Auswertungsmöglichkeiten, sowie ExpertInnen aus dem Ausland beigezogen werden. Zudem empfiehlt Schmid einen starken Ausbau der Projektentwicklung und, entsprechend dem dänischen Modell, ein sehr früher Einstieg in die Entwicklungsförderung. Wenig überraschend empfiehlt die Autorin auch eine Reduktion der Gesuche pro Sitzung und Kommission. Gelingen könne dies zum Beispiel durch eine Differenzierung der Förderinstrumente (wie in Schweden), durch eine Vorselektion (wie beim CNC) oder durch eine Doppelbesetzung der Kommissionen (Eurimages-Modell). Vier mögliche Modelle respektive Mischformen zwischen dem Kommissions- und dem Intendantenmodell beschliessen ihre Empfehlungen für die Schweiz(siehe Box Seite 7)

Die Studie von Schmid hat gewiss dazu beigetragen, dass sich in den Verbänden die Ansicht durchsetzte, dass es eine grössere Änderung braucht als kosmetische Korrekturen am bestehenden Kommissionsmodell. Die Vorschläge der Verbände im Vernehmlassungsverfahren anlässlich der Filmförderkonzepte greifen einige Punkte auf, die auch in der Studie thematisiert werden.

 

«Centre national de l’audiovisuel»

So beiläufig wie selbstverständlich wird in den Briefen ans BAK auch die Schaffung eines «Centre national de l’audiovisuel» erwähnt. Wie kommt das? Und was hat es damit auf sich?

Seit langem gibt es in der Branche den Wunsch, die Filmförderung aus der Bundesverwaltung auszugliedern und in einer unabhängigen Institution zu beheimaten, die – ähnlich der Pro Helvetia – vom Bund finanziert wird, jedoch unabhängig von der Bundesverwaltung arbeitet. Dabei könnte der Bund Organisation und Finanzierung der ausgelagerten Institution gesetzlich regeln; Filmpolitik und Filmförderung jedoch blieben getrennt. Vorteile wären unter anderem eine grössere Flexibilität bei der Förderung sowie die Möglichkeit, Schwerpunkte (wie den Kinderfilm) zu definieren.

Die Idee ist über 25 Jahre alt, bereits 1994 legte der Schweizer Verband für Spiel- und Dokumentarfilmproduktion (heute SFP) die «Vision: das Schweizerische Filminstitut» vor. Mindestens drei weitere Modelle respektive vier Anläufe für verwaltungsexterne Institutionen folgten. Der letzte Versuch stammt von März 2011, als Cinésuisse unter dem Titel «Auslagerung der Filmförderung» einen von Thomas Tribolet und Sven Wälti verfassten «Antrag und Bericht» bei Bundesrat Burkhalter, dem damaligen damaligen Leiter des EDI, eingab. Ein halbes Jahr später übernahm Bundesrat Alain Berset das Departement des Innern – und beschied dem Ansinnen 2012 am Filmfestival Locarno eine Absage. 

Nun also, knapp acht Jahre später, wird die Idee einer unabhängigen Institution, auch inspiriert und befördert durch die Studie von Rachel Schmid, erneut lanciert. Ohne BAK geht allerdings nichts, das haben schon frühere Versuche gezeigt. Auch deshalb will man, das betonen alle Gesprächspartner, die Diskussion in enger Absprache mit dem Bundesamt und seiner Leiterin Isabelle Chassot führen.

Bereits im August 2019, in der Vernehmlassungsantwort zur Kulturbotschaft 2021-2024, fordert Cinésuisse «eine grundlegende Analyse und Reflexion der Bundesfilmförderung» und die Mandatierung einer Arbeitsgruppe, «die sich mit der Erarbeitung zeitgemässer Förderstrukturen in einer optimalen Rechtsform befasst». Das Bedürfnis nach einer Reform und Neuaufstellung der Schweizer Filmförderung sei für alle Akteurinnen und Branchenverbände des Schweizer Filmschaffens ein zentrales und vordringliches Anliegen. 

 

Wie weiter

Geplant ist folgendes Vorgehen: Die Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der drei Produzentenverbände und des ARF/FDS, entwirft ein Modell (mit Varianten). Dieses wird anschliessend in den Verbänden und mit dem BAK diskutiert – mit dem Ziel, dass ein Vorschlag in die nächste Kulturbotschaft 2025-2029 aufgenommen wird. Die Arbeitsgruppe sollte eigentlich schon im Sommer gebildet werden, doch Corona hat alles verzögert. Nun dürfte es Ende Jahr werden. Eingebunden in den politischen Prozess ist auch die nationale, ausserparlamentarische Filmkommission EFIK, die den Bundesrat und die Behörden «in allen wichtigen Fragen der Filmkultur berät» und also eine wichtige Vermittlerrolle spielt. Wie aber kam eigentlich der Name «Centre national de l'audiovisuel» zustande? Ist das Französische als Charme­offensive an die Romandie zu begreifen? Thomas Tribolet lacht – nein, in einer spielerischen Sprachfindung ging es eher darum, mit dem Begriff Audiovision statt (Kino-)Film eine Offenheit bei der Auswertung anzudeuten.


▶  Originaltext: Deutsch

 

Fünf Zukunftsmodelle für die Schweiz (gemäss Studie)

Variante 1: Kommissionssystem mit personeller Aufstockung und ­Präsidium

Die Mitarbeiter der selektiven Filmförderung werden um Berufsfachleute ergänzt. Die Kommissionsmitglieder werden vor einer Mandatsvergabe geprüft und geschult. Das Rotationsprinzip der Kommissionen wird beibehalten, aber es wird ein fixes Präsidium eingeführt. Diese Person nimmt an allen Sitzungen teil, leitet die Diskussionen und bereitet die Sitzungen mit der Verwaltung vor.

 

Variante 2: Kommissionssystem mit Ausbau der Kommunikation

Zusätzlich zu den unter Variante 1 aufgeführten Änderungen wird die Kommunikation mit den Gesuchstellenden ausgebaut (Vermittlung der Absagegründe)

 

Variante 3: Kommissionssystem mit ProjektberaterInnen

Projektmanager könnten die Evaluierung der Projekte vornehmen und diese Evaluierung dann einer Auswahlkommission vorlegen.

 

Variante 4: Intendantensystem

Wechsel vom Kommissionssystem zum Intendantenmodell, bei dem ein(e) Verantwortliche(r), zusammen mit einer Gruppe von Beratern, entscheidet. Professionalisierung der Filmförderung.

 

Variante 5: Abgabe der künstlerischen Projekte in die Regionen

Die Schweizer Filmbranche stellt in erster Linie Filme für eine Sprachregion her. Die Begutachtung von Projekten wird den regionalen Filmförderungen überlassen. In den Regionen geförderte Projekte könnten in der umgekehrten Anwendung des Cinéforom-Prinzips durch einen semiautomatischen Beitrag ergänzend unterstützt werden. Die nationale Projektförderung konzentriert sich ganz auf die Förderung von marktorientierten Filmen, zudem betreut sie die minoritären Koproduktionen. Dafür werden fixe Kommissionen eingesetzt.

 

Die Vorschläge der Verbände

Der ARF/FDS und die drei Produzentenverbände verlangen im Brief an Filmchef Ivo Kummer den Verzicht auf das A/B-System, fixe Kommissionen, Verzicht auf Wechsel von der Kommission Spielfilm in die Kommission Dokfilm, Transparenz bei Konkurrenzprojekten und, sehr wichtig, eine Verbesserung der Kommunikation: «Mitglieder der Fachkommissionen sollen die Gesuchstellenden telefonisch kontaktieren und ihnen in einem kurzen Gespräch darlegen, welches die Gründe für die Ablehnung der Gesuche waren. Eine vertiefte Auseinandersetzung ist deshalb wichtig, weil damit ein Entscheid besser nachvollziehbar wird. Denkbar wäre auch, dass diese Aufgabe einer Person anvertraut wird, die speziell dafür delegiert wird. Das CNC in Frankreich und die Zürcher Filmstiftung kennen bereits vergleichbare Modelle, die Erfahrungen dieser Institutionen sind beizuziehen.»

Der SFP macht angesichts der Gesuchs-Flut zudem folgenden Vorschlag: «Wir stellen deshalb den Antrag, dass es bei der Beurteilung eine dritte Kategorie geben soll: ‹Das Gesuch wurde von der Kommission für gut befunden, muss aber leider abgelehnt werden, weil die finanziellen Mittel fehlen›».

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