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Editorial

Ein langer Winter

 

Acht Monate. Acht Monate schon dauert die Unsicherheit, die Besorgnis, die Unruhe für jede Kultureinrichtung, jede Künstlerin und jeden Künstler, deren Arbeit durch die Gesundheitskrise in Frage gestellt wird. Die zweite Welle überrollt uns mit Gewalt, und da stete Wiederholung jeder Welle eigen ist, erleben wir, was Schopenhauer im wohl deprimierendsten Satz der Philosophiegeschichte formuliert hat: «Das Leben schwingt also, gleich einem Pendel, hin und her, zwischen dem Schmerz und der Langeweile». Dem Schmerz, den Niedergang der Kulturszene mitanzusehen, und der Langeweile, sollte sie untergehen.

 

Entschuldigen Sie. Dies wird ein deprimierendes Editorial.

 

Es ist Anfang November, und ich habe den Eindruck, die gleiche Chronik wie Anfang April zu beschreiben, wie wenn die einzigen verfügbaren Instrumente kurzfristige Lösungen wären, Aspirin um das Fieber zu senken, ohne die Ursache zu behandeln, von einer Impfung ganz zu schweigen. Die Taskforce Culture spricht im Namen aller Verbände, wenn sie sagt: «Kurzfristig braucht es nun die rasche Auszahlung der gesprochenen Unterstützungsgelder, mittel- bis langfristig braucht es Perspektiven für den Kultursektor.» Und sie fragt sich: «Kommen die versprochenen Unterstützungsgelder genug schnell bei den Betroffenen an?» Experten gehen davon aus, dass wir noch bis Ende 2021 mit dem Virus leben müssen. Für die Kulturszene – und nicht nur für den Film – zeichnet sich also eine zweite Stunde Null ab.

Unter diesen Umständen müssen dringend langfristige Hilfen geschaffen werden, sowohl für die Festivals, die nicht mehr stattfinden können, als auch für die Kinos mit ihren exorbitanten Fixkosten. Kulturschaffende können nicht wie Institutionen Kurzarbeit beantragen. Freischaffende werden nach wie vor nur für sistierte Verträge entschädigt, als würden sie ihre ganze Arbeit drei Jahre im Voraus planen. Bei den Arbeitslosenkassen sind «Intermittents», die vergebens nach einer unbefristeten Anstellung suchen, auch nicht sehr gern gesehen. So ist es nicht verwunderlich, dass rundum eine gewisse Anspannung herrscht.

Niemand verlangt vom Bund oder von den Kantonen, die Zukunft vorherzusagen. Aber sie müssen sicherstellen, dass die finanzielle Unterstützung, von der das Überleben der Kulturszene abhängt, nicht wie die coronabedingten Verhaltensvorschriften stets an die Kurve der Neuinfektionen angepasst wird. Anne Papilloud, Geschäftsführerin des Syndicat Suisse Romand du Spectacle, fasst die Situation in Culture Enjeu wie folgt zusammen: «Was uns Angst macht sind nicht die nächsten Monate, sondern die kommenden Jahre.»

Anstatt endlos Schutzkonzepte anzupassen, könnte man mit dem nötigen politischen Mut all diese Zeit zum Schreiben, Vorbereiten, Suchen, Nachdenken, Erneuern, Reformieren und Erfinden nutzen. Dazu braucht es jedoch ein Mindestmass an Heiterkeit.

 

Pascaline Sordet

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