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Tanzen im virtuellen Raum

Max Borg
21. September 2020

Gilles Jobin, Choreograph und Regisseur (© Magali Dougado)

Um die sozialen Kontakte aufrechtzuerhalten, müssen Künstler und Publikum neue digitale Welten erkunden. So beschreibt Gilles Jobin auf der Website der Mostra von Venedig die Idee hinter seinem neuen Projekt «La Comédie virtuelle». Dieses wurde am italienischen Festival im Wettbewerb für Virtual Reality gezeigt, der dieses Jahr ausnahmsweise online stattfand. Das Projekt, das seit 2017 in Zusammenarbeit mit der Comédie de Genève entstand, erlaubt es den Nutzerinnen und Nutzern, dank immersiver Technologien mit den Kulissen und den Mitarbeitenden des realen Theaters zu interagieren.

Wie Gilles Jobin am Telefon ausführt, war der komplexeste Teil die Präsentation des Projekts an der Mostra Ende August und Anfang September: «Das ist sehr anspruchsvoll, denn wir haben einerseits die Tänzerinnen und Tänzer, die in Echtzeit auftreten, anderseits ein Publikum aus der ganzen Welt. All die Verbindungen herzustellen war die kniffligste Aufgabe.» In seiner Stimme schwingt Müdigkeit, aber auch Stolz und Begeisterung mit. Natacha Koutchoumov, Co-Leiterin der Comédie, teilt die Gefühle: «Ich habe gespürt, dass er ein neues Kapitel im Bereich Tanz und Bühnenkunst aufschlägt. Die darstellende Kunst bediente sich immer schon bei der Technologie, von der Bühnentechnik bis zum Video. Gilles Jobin ist ein Choreograph, der sich stets neu erfindet. Sein Stil ist schlicht in der Bewegung und reich in den Lösungen, die er findet.»

Die globale Krise hat sich auf Gilles Jobins Arbeit ausgewirkt und zugleich neue Möglichkeiten eröffnet: «Das Virus hat jegliche Bühnenauftritte blockiert, doch in der virtuellen Welt können wir weiterhin kreativ sein.» Die Erfahrung in Venedig fasziniert ihn wegen ihrer Neuartigkeit: «Geschäftstreffen finden zunehmend virtuell statt. Die Verbindungstechnik macht uns zwar zu schaffen, doch sie eröffnet auch neue Möglichkeiten. So können zum Beispiel all jene, die es sich kaum leisten könnten, persönlich nach Venedig zu kommen, trotzdem teilnehmen.»

 

Wim Wenders’ Einfluss

Gilles Jobin ist seit 1995 als Choreograph tätig. Tanz und Film waren immer schon eng miteinander verbunden, doch für ihn beginnt das Abenteuer erst mit der 3D-Technologie: «Zunächst war ich am Kino nur als Zuschauer interessiert. Dann sah ich Wim Wenders’ wunderschönen Dokumentarfilm ‹Pina› über Pina Bausch. Als ich die Tänzerinnen und Tänzer in 3D sah, fand ich das sehr interessant, denn im Film ist  man immer an die begrenzte Einstellung gebunden. Während der Arbeit an ‹Womb› (Anm. d. Red.: sein erstes 3D-Filmprojekt) entdeckte ich die Möglichkeiten der virtuellen Realität und war davon angetan.» Dies, weil die Gesetze des Films, wo nach Abschluss der Dreharbeiten nichts mehr verändert werden kann, hier nicht gelten. Die digitale und virtuelle Welt ist der darstellenden Kunst viel ähnlicher: «Man kann wie bei Live-Performances nachträglich Korrekturen vornehmen, das ist faszinierend. Zeitgenössischer Tanz eignet sich hervorragend für visuelle und technische Experimente, denn er ist eine abstrakte Kunst, die zwar einen Sinn produziert, nicht aber eine Erzählung.»

Virtual Reality findet man seit einigen Jahren in den Programmen verschiedener Festivals wie Sundance, Venedig und ausnahmsweise auch in Cannes. Dies überrascht Gilles Jobin nicht: «Filmkunst ist gleichbedeutend mit Innovation, und wir dürfen nicht vergessen, dass sie einer technischen Erfindung entstammt. Anfangs gingen die Leute einfach ins Kino, um bewegte Bilder zu sehen. Danach erschienen Künstler wie Georges Méliès, der von der Bühne kam und Möglichkeiten sah, im Film Dinge umzusetzen, die in der Realität nicht möglich sind. Natürlich wirft dies gewisse Fragen auf, denn der Film ist sehr narrativ, die virtuelle Realität hingegen nicht unbedingt. Für mich liegt sie zwischen der Bühnenkunst und dem Film.»

Gibt es bald Neuland zu erkunden? «Das tun wir gerade zusammen mit der Comédie: Wir bringen reale Menschen in einem virtuellen Raum zusammen. Wir können so Vorstellungen oder Konferenzen abhalten; wir könnten so etwas auch bei den Solothurner Filmtagen tun: eine Mischung aus Präsenz- und virtueller Veranstaltung, um die Kommunikation angenehmer zu gestalten.»

 

▶  Originaltext: Französisch

«Nachhaltige Produktion ist kein Luxus»

Michael Imboden, Herstellungsleiter
21 September 2020

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