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Die Zukunft des Kinos passiert jetzt!

Daniel Sponsel
23. Juli 2020

Plakate zum DOK.fest München@home (Bild: zvg)

Daniel Sponsel, künstlerischer Direktor des DOK.fest München, formuliert in einem Gastbeitrag neun Thesen zur Zukunft des Kinodokumentarfilms.

 

Das Kino als Ort für Filmkultur hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Die Massnahmen zum Lockdown in der Corona-­Krise haben einen Prozess, der schon längst im Gange ist, stark beschleunigt: Arthouse-, Dokumentarfilm- und Kurzfilmkultur, die zu reellen Tarifen online stattfindet. Verschiedene Filmkulturan­bieter und Filmfestivals* haben das aktuell erfolgreich und mit grosser Reichweite praktiziert. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Frage, über welche Kanäle wir unsere Laufbildmedien rezipieren, sondern um die Inhalte und die Form des Leitmediums Film schlechthin. Bleibt uns der abendfüllende narrative Film, ganz gleich ob fiktional oder nonfiktional, als gesellschaftlich vereinbartes ­Narrativ erhalten? Lassen sich im Netz die verschiedenen Formate und Wege zum Publikum zusammenbringen oder erleben wir einen «Clash of Cultures» im wahrsten Sinne des Wortes? Wer das Kino in jeder Hinsicht erhalten will, muss den Zugang zur Filmkultur über alle Wege gewähren. Neun Thesen skizzieren die neuen Chancen.

 

1. Am Ende der Nahrungskette?

Der Dokumentarfilm ist ein Genre mit grösserem Zielgruppenpotential, als ihm allgemein zugestanden wird. Er muss seine Zuschauerinnen und Zuschauer über das Kino hinaus dort abholen, wo sie ohnehin schon sind – im Netz. Das gilt für das Marketing, aber eben auch für die Präsentation der Filme selbst.

2. My Festival first?

Filmfestivals müssen ihr Selbstverständnis und ihren Auftrag überdenken und weiterführend definieren. Ihr Potential ist grösser und wird bisher nicht umfänglich genutzt. Die Premierenregelung muss international offener, und auch im Sinne der ökonomischen Erlöse der Filme, produktiver gedacht werden.

3. Ein Festival kann, was ein Festival kann

Filmfestivals können in näherer Zukunft noch mehr Verantwortung und Aktivitäten in der Auswertungskette von Dokumentarfilmen übernehmen, auch mit zusätzlichen Online-Angeboten. Reguläre Vorführgebühren für alle Filme sollten für die Präsentation im Kino vor Ort und die zusätzliche Online-Auswertung daher obligatorisch sein.

4. Money makes the world go round

Filmfestivals müssen reguläre Tickets verkaufen, um relevante Erlöse zu erzielen und damit reguläre Vorführgebühren für alle Filme zahlen zu können. Ganz gleich, ob die Filme im Kino vor Ort oder zusätzlich online ausgewertet werden.

5. Neuland im World Wide Web?

Das Geoblocking und die zeitliche Begrenzung sind für jede Art der Online-Auswertung die Existenzgarantie für weitere Player in der Auswertungskette – das gilt auch für die Filmfestivals.

6. Die im Dunkeln sieht man nicht

Die Filmförderungen sollten ihr Konzept für die Vergabe von Mitteln zur Distribution überarbeiten und erweitern. Dem Kinodokumentarfilm müssen deutlich mehr finanzielle Mittel für die Kommunikation und das Marketing zugesprochen werden. Für die reguläre Kinoauswertung und auch für die Auswertung auf Festivals.

7. Back to the future

Filmangebote im Kino und auf Online-Plattformen stehen nicht in unmittelbarer Konkurrenz. Ein gemeinsamer Auftritt erhöht die Aufmerksamkeit und somit Reichweite und die Möglichkeiten, mehr und auch ganz neues Publikum zu generieren.

8. Freie Fahrt für freie Bürger

Die Kinosperrfrist stammt aus der Zeit des linea­ren, dualen Marktes. Sie kann die Kinos nicht mehr schützen, sondern verwehrt den Filmen nun den Zugang zum Publikum. Die Kinosperrfrist ist in diesem Sinne für Dokumentarfilme kontraproduktiv und sollte aufgehoben werden und durch eine sinn­fällige Verknüpfung der Erlöse von Kino- und Online-Auswertung ersetzt werden.

9. Kino on demand

Die zeitgleiche Auswertung von Dokumentarfilmen im Kino und online bringt in der Summe mehr Zuschauerinnen und Zuschauer für jeden einzelnen Film. Die zusätzliche «digitale Leinwand» für alle Kinos ist der nächste zwingende Schritt zum Erhalt unserer Filmkultur.

*Mehr als 75.000 Zuschauerinnen und Zuschauer haben die 121 Filme des DOK.fest München@home und die Veranstaltungen von DOK.forum und DOK.education gesehen.


▶  Originaltext: Deutsch

Eine lange Version dieses Artikels finden Sie unter News : https://cinebulletin.ch/de_CH/news/die-zukunft-des-kinos-passiert-jetzt-1

 

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