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Die Pionierin

Kathrin Halter
25. Juni 2020

Theres Scherer, Filmproduzentin / ©zvg

«Jetzt längts!» Im Januar schon hat Theres Scherer den Entschluss gefasst, aufzuhören. Ende Jahr ist es nun endgültig soweit, die Produktionsfirma Carac Film in Bolligen bei Bern Geschichte. Dabei darf sich Theres Scherer zu Recht als Pionierin feiern lassen: als eine der ersten Schweizer Filmproduzentinnen mit Namen, als Kinogründerin, als Persönlichkeit. Die Regisseurin Sabine Boss sagt es so: «Theres Scherer ist eine Instanz. Wenn sie einen Raum betritt, so weiss man, dass sie da ist; ihr Lachen ist schon von weitem zu hören». Bei «Der Goalie bin ig» hat die Regisseurin Scherer als «extrem engagierte, warmherzige Produzentin erlebt, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausübt». 

Und nun, wie fühlt sich der Abschied an? «Gut und richtig!», erklärt uns die Produzentin beim Kaffee in ihrer dezidierten Art, die einen nie zweifeln lässt am Gesagten. Zum einen wird Scherer im nächsten Januar achtzig. Andererseits freut sie sich schon lange auf die Zeit danach: Mit Martin Aeschbacher, dem Firmen-Mitinhaber (seit 2017) und Lebenspartner, will sie weit verreisen, wenn es denn endlich wieder möglich ist, nach Südafrika, nach Montreal und nach Kaliningrad.

 

Texas, Madrid und die Kramgasse 26

Schon als Sechzehnjährige hat die Bernerin das Reisen entdeckt, das war 1957, als Scherer, nach der Handelsschule in Neuenburg, für ein halbes Jahr in die USA zog, dank einem Stipendium der Juliette Low Foundation. Nach drei Wochen New York konnte sie in North Carolina einen Theaterkurs besuchen, der von Henry Fonda geleitet wurde. «Grossartig!» ruft sie, nicht zum ersten Mal, da sei ihr eine Welt aufgegangen. In Texas, wo sie dann in drei verschiedenen Familien lebte, erwog sie ernsthaft ein fünfjähriges Studium in Oil-engineering, das sie dann verwarf, als ihr klar wurde, dass sie die einzige Frau unter etwa 4ʼ000 Studenten gewesen wäre. Nach einer eher unwilligen Rückkehr in die Schweiz zog sie 1960 wieder ins Ausland, diesmal nach Madrid, wo sie knapp zwei Jahre Geschichte und Philosophie studierte.

1966 heiratete sie Heinrich Scherer, 1969 kam die Tochter Henriette zur Welt. Die Familie lebte in jenem Haus in der Kramgasse 26, wo Theres Scherer 1970 zusammen mit Heinrich Scherer und dem Ehepaar Walker im Untergeschoss das «Kellerkino» gründete, das erste unabhängige Kino der Schweiz. Dazu muss man wissen, dass die Kino- und Verleihlandschaft der Schweiz damals strikt reglementiert war, mit einem Kartell von Verleihern und Kinobetreibern, das junge Schweizer Filmer stark benachteiligte und die Einfuhrkontingente für Filme monopolistisch verwaltete. Gegen solche Fesseln lehnte sich Theres Scherer mit ihren Mitstreitern auf – und zeigte als erstes gleich den Agitationsfilm «Krawall» von Jürg Hassler über die Jugendunruhen, was nicht nur ihre Familie nicht goutierte.

Die Liebe zum Film wurde bei Scherer übrigens in Neuenburg entfacht, als sie dort häufig ins Kino ging. Für ihr Kino, das sie bald alleine betrieb, holte sie schwarz Filmkopien über die Grenze, Filme von Fassbinder und Wim Wenders oder von Rosa von Praunheim; neben jungen Schweizer Autoren liefen auch Filme aus China. Im Herbst 2020 feiert das Kellerkino seinen fünfzigsten Geburtstag. Dass damals über die resolute Filmenthusiastin eine dicke Fiche angelegt wurde, erstaunt angesichts ihrer Aktio­nen und ihrer weltoffenen Interessen wenig. Entrüstet war sie dennoch, als sie von der Bespitzelung erfuhr.

 

Sie liebt es, zu erzählen

Zur Produzentin wurde Theres Scherer 1980; nun konnte sie die Arbeiten der Filmer, die sie schon vom Kinobetrieb her kannte, selber produzieren – unter ihnen Bernhard Giger, von dem sie zehn Filme produziert hat, Johannes Flütsch oder Daniel Schmid. Sie produzierte für Cactus Film (1980-1984), dann für Limbo Film (1984-1991), welche zur Firmengruppe von George Reinhart gehörte, dem Winterthurer Fotografen, Filmliebhaber und Mäzen aus reicher Familie. Zwar konnte Scherer bei Limbo Film unabhängig entscheiden, schätzte Reinhart sehr und konnte dank dem weltweiten Firmennetz auch viel reisen. Doch sie wollte selbstständig werden und gründete 1991 Carac Film. Über sechzig Filme hat Theres Scherer produziert oder koproduziert.

Um die Vielfältigkeit ihres Berufs zu illustrieren, erzählt sie zum Schluss noch zwei Geschichten. Die erste geht so: Als die Produzentin beim Casting für Marcel Gislers «Mario» (2018) eine Gruppe von jungen Männern betreut, notiert sie ihre Namen und Adressen. «Du hast aber einen saulangweiligen Job!», ruft ihr einer der jungen Männer zu. Worauf Scherer entgegenhält: «Aber ich habe einen Job!». Die etwas glamourösere Seite ihres Berufs erlebte sie – zweite Geschichte – an einer Versammlung des internationalen Produzentenverbandes in Cannes, als sich der damalige Präsident Dino de Laurentiis persönlich darum kümmerte, dass Scherer – damals Präsidentin des SFP und die einzige Frau weit und breit unter den versammelten Herren Verbandspräsidenten – auch gebührlich verwöhnt wurde, mit Chauffeur und allen Annehmlichkeiten.

Im übrigen wäre sie am liebsten Geschichtenerzählerin geworden, wie eine jener, die es auf nordafrikanischen Märkten gibt. Fügt sie noch an und lächelt verschmitzt.

 

▶  Originaltext: Deutsch

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