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Wie beim Filmkredit Geld verlorengeht

Pascaline Sordet
25. Juni 2020

Um sicherzustellen, dass das gesamte Budget ausgegeben wird, überbucht das Bundesamt für Kultur seine selektive Filmförderung – zu zaghaft, finden die Produzentinnen und Produzenten.

 

Um gleich damit zu beginnen – was bedeutet «überbuchen» eigentlich? Laurent Steiert, stellvertretender Leiter der Sektion Film beim BAK, erklärt es so: «Der Ausdruck stammt aus der Flug- und Reisebranche. Vor allem bei Fluggesellschaften ist diese Praxis gang und gäbe: Man verspricht mehr als man hat.» Nehmen wir beispielsweise an, ein Ausschuss der selektiven Filmförderung hat ein Budget von 1,6 Millionen Franken. Je nach Anzahl der gutgeheissenen Anträge kann das BAK 1,9 Millionen zusprechen, denn es geht davon aus, dass nicht alle Filme wirklich realisiert werden und will sicherstellen, dass der gesamte jährliche Kredit aufgebraucht wird.

Gemäss einer Schätzung des BAK werden 10 bis 25 Prozent der Projekte nach Erhalt der Absichtserklärung eingestellt. Um möglichst viele Projekte unterstützen zu können, rechnet es deshalb eine Marge mit ein. «Das ist immer eine schwierige Frage», räumt Ivo Kummer, Leiter der Sektion Film, ein. «Momentan überbuchen wir pro Sitzung um 12 bis 15 Prozent, in Ausnahmefällen bis zu 20 Prozent, das reicht. Die Summe der zugesprochenen Gelder für Filmproduktionen beträgt derzeit 21 Millionen, das ist mehr als ein Jahresbudget. Die Überbuchungen zu erhöhen wäre riskant. Es würde bedeuten, sich auf Spekulationen einzulassen, was zu Problemen führen kann: Wenn vier oder fünf Filmprojekte mit je eineinhalb Millionen Fördergeldern zugleich starten, hätten wir ein Liquiditätsproblem.»

Den Berufsverbänden IG, GARP, SFP und ARF/FDS geht dies zu wenig weit. «Das Bundesamt ist unserer Meinung nach bei den Überbuchungen viel zu vorsichtig», bekräftigt Jean-Marc Fröhle, Co-Präsident der IG. So verlangen die Verbände seit Beginn der Coronakrise und angesichts der damit verbundenen Verschiebungen und Annullierungen, dass die Überbuchungen in künftigen Sitzungen massiv erhöht werden.

 

Ein jährliches Budget

Das grösste Problem des BAK bei der Verwaltung der selektiven Filmförderung liegt im Grundsatz der Annuität, dem es untersteht. Das Bundesamt erhält seinen jährlichen Kredit am 1. Januar und muss ihn bis zum 31. Dezember aufbrauchen. Ist dann noch Geld übrig, so kann der Betrag nicht auf das nächste Jahr übertragen werden, sondern geht zurück in die Bundeskasse und ist somit für den Film verloren. Dieses System entspricht nicht der Realität der Filmproduktionen, die selten in so kurzer Zeit abgeschlossen werden.

Laurent Steiert: «Unsere Ausgaben richten sich nach den Projekten, die ausgeführt werden und die demnach die Gelder erhalten, welche ihnen in früheren Jahren zugesprochen wurden. Die Finanz­planung ist etwas abstrakt und erfordert eine gewisse Erfahrung. Überbucht man zu viel, so läuft man Gefahr, dass die Kassen Mitte Juli leer sind. Dies würde Projekte in der zweiten Jahreshälfte benachteiligen. Idealer­weise sollte das Geld Mitte November aufgebraucht sein.» Ist bereits versprochenes Geld nicht verfügbar, weil die Kassen leer sind, so kann nicht auf das Budget des Folgejahres zurückgegriffen werden; die Produktionsfirmen müssen in diesem Fall warten.

Wenn das BAK einen Liqui­ditätsmangel voraussieht, kann es als einzige Gegen­mass­nahme die erste Tranche, die ausbezahlt wird, von 70 auf 50 Prozent senken und den Restbetrag nach Absprache mit den Produktionsfirmen in Raten bezahlen.

 

Verlorenes Geld?

Leere Kassen sind eine Gefahr, zu volle aber auch: «Letztes Jahr haben wir 1,2 Millionen Franken verloren, weil der Kredit nicht auf das Folgejahr übertragen werden kann», bestätigt Jean-Marc Fröhle. ­«Das ist skandalös, das entspricht zwei Spiel­filmen oder drei Dokumentarfilmen! Das BAK schiebt die Schuld den Produktionsfirmen zu, doch es liegt in seiner Verantwortung, diese Mittel zu verwalten und dafür zu sorgen, dass sie ausgegeben werden und nicht zurück in die Bundeskasse fliessen.»

Ivo Kummer entgegnet, der Antrag des BAK auf Kreditübertragung sei vom Bund abgelehnt worden, differenziert dann jedoch: «Für ein einziges Projekt hat das Finanzdepartement eine Kreditübertragung bewilligt, doch die Produktion stellte das Projekt ein, und der Kredit war an diesen Film gebunden. 600ʼ000 Franken gingen so im Jahr 2019 verloren.» Dieser Fall zeigt auch, dass selbst wenn eine Kreditübertragung bewilligt wird, diese an einen bestimmten Film gebunden ist und somit weder für ein anderes Projekt verwendet noch dem aktuellen Budget zugeführt werden kann. «Diese Situation ist aussergewöhnlich», so Ivo Kummer, «in den vorangehenden zwei oder drei Jahren waren unsere Kassen im Oktober schon leer, was zu Liquiditätsproblemen bei den Produktionsfirmen führte.»

Aufgrund der aktuellen Gesundheits- und Wirtschaftslage verlangen die Verbände der Filmproduzenten, dass die Überbuchungen in den nächsten zwei Sitzungen erhöht werden. Zudem soll das BAK eine allgemeine Übertragung des diesjährigen Kredits auf das Folgejahr beantragen, «denn wegen der Pandemie hat sich alles verschoben, und die Gefahr ist gross, dass sich das Szenario Ende dieses Jahres wiederholt», so Jean-Marc Fröhle. Gemäss Laurent Steiert ist eine Kredit­übertragung nur in Ausnahmefällen und mit Genehmigung des Bundesrates möglich. «Eine Kreditübertragung kommt nur für beträchtliche Summen in Frage, andernfalls fliesst das Geld zurück in die Staatskassen. Das ist für die betroffenen Filmschaffenden unangenehm, doch wir können nicht viel dagegen tun, denn wir können es nicht riskieren, bereits im Juli leere Kassen zu haben. Dann würde man uns vorwerfen, wir hätten unser Budget nicht im Griff.» Und auf Bundesratsebene stellen ein paar Hunderttausend Franken für die Filmförderung keine beträchtliche Summe dar.

In Anbetracht dieser Ausgangs­lage hält das BAK eine Überbuchung von 115 Prozent für angemessen und ausreichend risikofreudig – so seine Antwort an die Verbände.

 

Ein Spezialfonds

«Wenn wir wie eine Privat­institution, zum Beispiel eine Stiftung, funktionieren würden, könnten wir anders planen und die zugesprochenen Mittel in einer separaten Kasse verwalten. Würde ein Projekt nicht durch­geführt, so könnten wir die ent­sprechenden Mittel wieder in die normale Kasse zurückführen», erklärt Laurent Steiert. Genauso funk­tio­niert die Zürcher Film­stiftung. Geschäftsführerin Julia Krättli bestätigt: «Wir sind eine privat­rechtliche Stiftung und somit nicht wie eine öffentliche Verwaltung an ein Budget gebunden. Theo­retisch können wir in einem Jahr mehr als geplant ausgeben und im Folgejahr weniger, oder umgekehrt. Sobald die Kommission einem Projekt Geld zugesprochen hat, blockieren wir die entsprechende Summe und garantieren so, dass sie jederzeit ausbezahlt werden kann, vorausgesetzt die Projektfinanzierung wird innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen.»

Bei Cinéforom ist die Situation ähnlich, ein Budgetübertrag ist möglich. Gemäss Ge­schäfts­führer Gérard Ruey waren je­doch harte Verhandlungen mit den kanto­nalen Stellen nötig, um eine gangbare buchhalterische Lösung zu finden: «Wir sind von den Beiträgen der Kantone abhängig, und diese werden im Allgemeinen auf Jahresbasis ausbezahlt. Schliesslich haben wir ein System gefunden, das vom internen Audit des Kantons Genf genehmigt wurde und uns erlaubt, nicht ausgegebene Mittel am Ende des Jahres in einen zweckgebundenen Fonds einzubringen, der ausschliesslich der Produktionsförderung dient. So können wir allfällige Überschüsse von einem Geschäfts­jahr auf das nächste übertragen.»

 

Eine Stiftung für Audiovision als mögliche Lösung

Auf dem Papier erscheint die Lösung einfach. Weshalb kann das BAK also nicht vom Annuitätsprinzip befreit werden? «Hier geht es um die Finanzpolitik des Bundes», sagt Laurent Steiert, «und wir sind bei weitem nicht die Einzigen, die sich einen Systemwechsel wünschen würden. Diese Problematik be­steht in allen Bereichen, wenn immer es um Anschaffungen, Projektmanagement oder Förderung geht. Im Rahmen der Diskussionen um das Filmgesetz 2001 wurde bereits über die Schaffung eines unabhängigen Fonds mit besonderer Rechtsgrundlage gesprochen, die es ermöglicht hätte, zugesprochene Gelder über Jahresfrist hinaus zu reservieren.» Eine schnelle Lösung ist also kaum zu erwarten.

Dennoch scheint eine ausgelagerte Verwaltung in Form eines Spezialfonds oder einer Institution der richtige Weg zu sein. Jean-Marc Fröhle spricht sich für die zweite Option aus: «Diese Pattsituationen, die jegliche Flexibilität in der Verwaltung der Fördergelder verhindern, sprechen nebst vielen anderen Argumenten für eine Auslagerung der Mittel in eine Stiftung für Audiovision, wie es die Filmbranche einstimmig verlangt. Doch das BAK weigert sich, diese Idee im Zuge der Revision des Filmgesetzes und der Fördermassnahmen mit Horizont 2024 aufzunehmen, ungeachtet der aktuellen Entwicklungen und ohne jegliche Erklärung.» Eine unabhängige Verwaltung hat wie jedes System Vor- und Nachteile, doch sie würde zumindest einen Budgetübertrag von einem Jahr auf das nächste ermöglichen und so verhindern, dass Hunderttausende Franken dem Film verlorengehen.

 

▶  Originaltext: Französisch

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