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Editorial

Freundliche Übernahme in Solothurn

 

Was Anita Hugi wohl sagen wird, im Rampenlicht vor neunhundert Zuschauern? Der Eröffnungsabend der Filmtage bot ihren Leitern schon immer eine Tribüne fürs Grundsätzliche. Man erinnert sich an zumindest eine Rede von Seraina Rohrer, die programmatisch wirkte; auch Ivo Kummer nutzte den Anlass regelmässig für Deklarationen mit Ausrufezeichen. Alain Berset, der gewandte Redner, wird sich die Gelegenheit sowieso nicht entgehen lassen. Man darf also gespannt sein, wie die neue Direktorin das Podium nutzen wird.

Wir haben Anita Hugi schon im Dezember getroffen und sind einer unkomplizierten, lebhaften Frau ohne Allüren begegnet, die Grundsatzfragen und kleinen Grabenkämpfen der Filmszene auffällig entspannt und optimistisch begegnet. Gemeint ist die letztjährige Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Filmtage, in der die Absage an einen Film ­(«Passion» von Christian Labhart) bekanntlich zu einer von dreissig Filmschaffenden unterschriebenen Petition an die Adresse der Filmtage führte. In der anschliessenden Diskussion kam die Frage auf, ob es keine Platzgarantie für etablierte Filmemacher brauche. Sie sei nicht dabei gewesen, sagt Anita Hugi – und widerspricht dann doch. «Ich finde es nicht gut, wenn die einen gegen die anderen ausgespielt werden.» Es gehe doch vielmehr «um Leidenschaft und Liebe zur Sache.»

Eigentlich ist es ja eine Selbstverständlichkeit, dass ein Festival aussuchen muss. Das ist bei den Filmtagen übrigens schon seit 1980 so, als die erste Programmkommission eingerichtet wurde, auch wenn damals – analoges Zeitalter – bedeutend weniger Filme zur Auswahl standen. Wer zum aktuellen Stand noch eine Statistik braucht: In der Kategorie lange Spiel- und Dokumentarfilme wurden 121 Titel eingereicht, 81 davon wurden selektioniert – das ergibt eine Quote von 67 Prozent. 

Und sonst? Anita Hugi möchte mehr Junge nach Solothurn locken und setzt diesbezüglich ein paar Akzente: Das neue Lokal Attisholz zählt dazu, das mit seinem Industrie-Look der gemütlichen Solothurner Altstadt ein bisschen städtische Coolness entgegensetzt. Hier werden, logischerweise, auch die Upcoming-Förderpreise vergeben, und hier trifft sich der Nachwuchs zum ersten Fest der Filmschulen.

Anita Hugi kommt bekanntlich vom Fernsehen, wo sie als «Sternstunde Kunst»-Redaktorin über 130 Schweizer Produktionen programmiert oder mitproduziert hat. Dass sich das Fernsehen deshalb noch stärker als bisher in Solothurn «ausbreitet» und zur «SRG-Abspielstation» mutiert, wie der Tages-Anzeiger mutmasst, wirkt allerdings ziemlich übertrieben: Die starke Präsenz der SRG ist zum einen dem diesjährigen «Fokus» geschuldet, der sich Fernsehserien widmet und das Thema natürlich auch in Diskussionsrunden aufbereitet (lesen Sie dazu unser Gespräch mit dem Amerikaner Jim McKay). Andererseits kommt in der Schweiz bekanntlich kaum ein Film ohne Unterstützung des Fernsehens in Form von Pacte-Geldern zustande. Da spiegeln die Filmtage schlicht die Förderrealität in diesem Land. Und die Teilnahme der SRG bei der Brancheninformation im Haus der Kunst findet sowieso seit vielen Jahren statt. 

Auffälliger im Programm ist die Präsenz von Dokumentarfilmen bei den Premieren mit über 60 Minuten Spiellänge: Unter insgesamt 16 Filmen finden sich nur gerade zwei Spielfilme, der Eröffnungsfilm «Moskau Einfach!» von Micha Lewinsky und «Jagdzeit» von Sabine Boss, hinzu kommen zwei Serien­folgen sowie eine Webserie. Bei aller Anerkennung der Schweiz als Dokumentarfilm-Land – ist da etwas aus dem Lot geraten? Oder fliesst gerade viel kreative Energie ins ­Serien-Schaffen? Damit befände sich die Schweiz jedenfalls in bester Gesellschaft. Auch über diese Frage sollte man debattieren – demnächst in Solothurn.

 

Kathrin Halter

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