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Wenn frühe Schwarzweiss-Filme wieder farbig werden

Kathrin Halter
27. September 2019

«All That Slides, Strikes, Rises and Falls» von Alexandra Navratil, 2015. © Alexandra Navratil.

Ein Filmprogramm an den Kurzfilmtagen Winterthur und eine Ausstellung im Fotomuseum widmen sich Farben im Film und in der Fotografie. Darüber wird auch an der Filmwissenschaft der Universität Zürich geforscht.

Die Damenroben der Mannequins sind in blassen, sepiagetönten Grün-, Braun- und Gelb­tönen gehalten, das pastellfarbene Hellblau in den Entwürfen des Designers wirkt ebenso dezent. «Making Fashion» ist eine britische Mode-Reportage von 1938, die einen Designer beim Entwurf, die Arbeit in den Ateliers, Schneiderinnen beim Anpassen und die Mannequins bei der Präsentation vorführt. Ein Industrie- und Werbefilm für fashion victims der Epoche – und für heutige Zuschauer, die sich für elegante Damenmode der Dreissigerjahre interessieren.

 

Farbfilme aus der Frühzeit des Kinos 

«Making Fashion» (Humphrey Jennings) ist aber auch farbtechnisch interessant, als sogenannter Dufaycolor-Film, ein Rasterverfahren, das im Rahmen der still photography entwickelt wurde, bevor es in den 1930er-Jahren auch im Film Anwendung fand. Mehr als 230 Farbfilmverfahren sind im Laufe der Filmgeschichte entstanden, von der Hand- und Schablonenkolorierung bis zu chemischen Verfahren, nicht wenige in enger Verflechtung mit der Fotografie.

«Making Fashion» läuft, zusammen mit weiteren Modefilmen aus den Zwanziger- und Dreissigerjahren, in einem Programm an den Internationalen Kurzfilmtagen Winter­thur. «Color Moods» versammelt ausserdem schöne Experimental- und Kunstfilme von den Zwanziger- bis Sechzigerjahren sowie elf «seltene Schweizer Filmschätze», die von Memoriav teils neu restauriert worden sind («Swiss Heritage»).

«Stimmungsvoll» in farblicher Hinsicht sind sie alle, wobei die abstrakten Kunstfilme mit ihren verspielten und zugleich streng durchkomponierten Farbexplosionen von der bildenden Kunst ihrer Zeit, von Wassily Kandinsky bis zu den Fauves, beeinflusst sind; hier kommt die Farbenästhetik gewiss am reinsten zum Ausdruck.

«Color Moods» ist in Zusammenarbeit mit Barbara Flückiger von der Universität Zürich entstanden. Die Professorin für Filmwissenschaft beschäftigt sich seit Jahren mit historischen Farbfilmverfahren und Farbästhetiken, insgesamt fünf Forschungsprojekte laufen derzeit unter ihrer Leitung. In einem integrativen Ansatz soll die Forschung zur Ästhetik historischer Filmfarben mit technischer Filmforschung verbunden werden. Um zudem ein grösseres Publikum ausserhalb des akademischen Zirkels anzusprechen sowie Verständnis und Wertschätzung für das Filmkulturerbe zu schaffen, ist neben dem Filmprogramm auch eine von Nadine Wietlisbach und Eva Hielscher kuratierte Ausstellung im Foto­museum Winterthur entstanden.

 

Filme erhalten ursprüngliche Farbe wieder

«Color Mania. Materialität Farbe in Fotografie und Film» zeigt unter anderem Filmstreifen und Originalabzüge, Farbfilm und handkolorierte Glasdias der Nordpolexpedition von Roald Amundsen von 1923, aber auch die Verbindung zu historischen Farbverfahren und Techniken im Schaffen zeitgenössischer Fotografinnen und Künstler. Die Ausstellung vermittelt so einen Eindruck von der alten Farbenpracht, macht historisches Filmmaterial als «bunte Kunstform» erlebbar. Und illustriert, wie sich Fotografie und Film gegenseitig beeinflusst haben.

Leicht geht vergessen, dass dank applizierten Farbverfahren wie Tonung, Virage oder Handkolorierung die meisten Filme vor 1930 farbig waren. «Im kollektiven Gedächtnis hat sich der frühe Film in Schwarzweiss festgesetzt», so Flückiger in einem Aufsatz für Filmbulletin. Die Vorstellung ist jedenfalls weit verbreitet, dass sich Farbfilme erst in den Fünfzigerjahren durchsetzen. Dieser Eindruck entstand auch deshalb, weil in Kinematheken und Programmkinos vor allem schwarzweisse Kopien älterer Filme zirkulieren. Die Farben waren nicht auf dem Schwarzweiss-Negativ, sondern wurden auf die Kopien aufgetragen, die aus hoch entflammbarem Nitrozellulose bestanden, weshalb man von den Negativen neue, sichere Kopien ziehen musste. Dabei ging die Farbe verloren. Durch die Digitalisierung entsteht nun die Chance, so Flückiger, dass die Filme ihre ursprüngliche Farbigkeit wiedererhalten, auch wenn viele Negative endgültig verloren sind.

 

Zum Beispiel Technicolor

Frühe Farbfilmverfahren wurzeln in der Farbfotografie des 19. Jahrhundert. Dank synthetischer Farbstoffe wurde aber nicht nur Fotografie und Film, sondern die gesamte Konsumkultur farbiger als je zuvor. Flückiger interessiert sich nicht nur dafür, wie Farbverfahren der Zeit genutzt wurden, sondern wie Filmfarben auf ästhetische Entwicklungen in Mode, Design und Kunst reagieren und ihrerseits neue Trends und Geschmacksvorstellungen schaffen, gerade im Hollywoodfilm. Schön kann man solche Wechselwirkungen am Beispiel Technicolor zeigen, einem Lieblingsthema von Flückiger, wo technische Bedingungen des Farbverfahrens bevorzugte Farbwerte und eine besondere Kameraarbeit, Beleuchtung, Ausstattung oder Setverfahren hervorgebracht haben. Die Farbästhetik historischer Filme kann man auch online, auf Flückigers Website «Timeline of Historical Film Colors» entdecken, einer Materialsammlung von über 20ʼ000 Filmstills von etwa 400 historischen Filmen bis zu den Neunzigerjahren, aus Filmarchiven aus aller Welt, mit thematischen Galerien und detaillierter technischer Beschreibung.

 

«More beautiful than ever»

Die Timeline ist jedoch mehr als eine Fundgrube für Cinéphile. Sie liefert auch Anschauungsmaterial für Flückigers Kritik an kommerziell ausgerichteten Digitalisierungspraktiken nach dem Motto «More beautiful than ever». Ein berühmtes Beispiel dafür ist «The Red Shoes» (1948) von Michael Powell und Emeric Pressburger. Der britische Ballettfilm wurde aufwendig restauriert, von Martin Scorseses Film Foundation, die in Zusammenarbeit mit Filmarchiven und Studios bereits über 850 Filme restaurieren half.

Doch obwohl die hochverdiente Institution hochkarätige Berater beigezogen hat, hat sich zuletzt ein «digitaler Look» durchgesetzt, der dem Technicolor-Look kaum gerecht werde, so Flückiger: Das Rot sei viel zu übersättigt, zu knallig, hell und brillant. Das Technicolor-Rot ist da vergleichsweise dunkel. Wer will, kann das selber in der Timeline nachprüfen, wo man von den berühmten roten Schuhen Stills verschiedener Kopien findet, vor und nach der digitalen Restauration. Die Unterschiede sind tatsächlich frappant. Das hängt auch damit zusammen, dass digitale Filmfarben auf drei reinen Primärfarben basieren, anders als im analogen Film­material, wo es Verschmutzungseffekte durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Farbstoffe gibt.

Überhaupt kritisiert die Fachfrau seit Jahren, dass Digitalisierungsprozesse zu wenig reflektiert werden: Filmscanner selbst von hochprofessionellen Labors seien eigentlich nicht für historische Filmmaterialien entwickelt worden ist, sondern für Negative ungefähr ab dem Jahr 2000. Für gewisse Farbspektren sind diese Scanner gewissermassen farbenblind. Auch bei der digitalen Projektion können bestimmte Farbinformationen nicht abgebildet werden; ein weiteres, ungelöstes Problem.

Allerdings gibt Flückiger zu, dass solche Fragen rund um «Verfälschung» und «Authentizität» nicht erst mit der Digitalisierung aufgekommen sind – diese gab es schon in der analogen Welt, wo Kopien bekanntlich manchmal in sehr schlechter Verfassung sind. Oft kann nur hypothetisch erahnt werden, zum Beispiel aufgrund von Positiven, die sich farblich voneinander unterscheiden, wie das Original ausgesehen haben könnte.

Doch ist solcher Perfektionismus auf der Suche nach möglichst originalgetreuer Rekonstruktion nicht fetischistisch? Barbara Flückiger steckt die Unterstellung mit einem Lachen weg. Für sie zählt momentan sowieso Anderes: Dass ein grösseres Publikum den frühen Farbfilm wiederentdeckt. Und ahnt, wie sehr es sich lohnt, weitere  Schätze zu heben und bewahren.

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

Internationale Kurzfilmtage Winterthur, «Color Moods», 5. – 10. November

www.kurzfilmtage.ch

 

Fotomuseum Winterthur, «Color Mania – Materialität Farbe in Fotografie und Film», Bis am 24. November     

www.fotomuseum.ch

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