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Editorial

Archiv-Politik

Die Rolle der Filmarchive geht weit über die Aufbewahrung, Sammlung und Sortierung von Filmen aus der Vergangenheit hinaus. Sie tragen aktiv zur Gestaltung der Kinogeschichte bei, indem sie auswählen, welche Filme in ihre Sammlungen aufgenommen werden und welche nicht. So sind sie nicht einfach Lagerhallen der Filmindustrie, sondern treffen politische Entscheidungen, die einen Einfluss auf die nationale Filmkultur haben. Die Entmaterialisierung lässt uns von einer Zukunft träumen, in der wir alle Filme der Welt digitalisieren und jederzeit und überall darauf zugreifen können. In Wahrheit wird sich die Selektion jedoch weiter verschärfen, denn Digitalisieren ist kostspielig.

Filmklassiker müssen auch in einer digitalen Welt zugänglich sein – doch welche? Nur ein Bruchteil der Filme ist in digitaler Form verfügbar, obwohl die Filmarchive und die Rechteinhaber alles daransetzen, um die Digitalisierung voranzutreiben. So wird die Digitalisierung der Filmarchive zu einem Selektionsprozess, der – manchmal ungewollt – bestimmt, welche Filme Vorrang haben und welche warten können. Es entsteht eine Art Hierarchie, wobei die angewandten Kriterien nicht immer die offensichtlichsten sind, wie die Resonanz bei der Kritik oder die Reputation der Filmemacher. Frédéric Maire, Direktor der Cinémathèque suisse und Präsident der FIAF, erklärte am 75. FIAF-Kongress in Lausanne, die Mission des Archivs bestehe darin, «gefährdete» Filme zu digitalisieren. Dazu müssen Entscheidungen getroffen werden, und die gefährdeten Filme sind nicht unbedingt die Lieblingsfilme der Filmschaffenden, oder die mit dem grössten Marktpotenzial. Es handelt sich also auch hier um politische Entscheidungen.

Neben den Filmen aus der Vergangenheit, die den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft haben, existiert die grosse Masse weiterhin nur auf Film, und die Kinos, die diese Klassiker zeigen wollen, sind auf diese Filmrollen angewiesen. Nicole Reinhard, Direktorin des Bildrausch Filmfestivals und des Stadtkino Basel, die wir in dieser Ausgabe porträtieren, bestätigt, wie schwierig es ist, an diese Filmkopien zu kommen – weil sie selten sind, weil oft nur noch ein Exemplar davon existiert oder weil , könnte man anfügen, die Rechte nicht geklärt sind und die Filme deshalb nicht gezeigt werden können. Auch hier findet eine Auslese statt, die nichts mit der Qualität der Werke, der Programmgestaltung oder den Vorlieben des Publikums zu tun hat.

Wie so oft bei Diskussionen zwischen Cinéphilen könnten mit Geld alle Probleme gelöst werden. Doch da die staatlichen Budgets nicht unerschöpflich sind und niemand wünscht, dass das Geld an anderer Stelle fehlt, bleiben Reibungsflächen bestehen. Über die finanziellen und technischen Schwierigkeiten hinaus gibt es auch Erfreuliches festzustellen: Es besteht durchaus eine Nachfrage für ältere Filme. Es ist eine Nische, und doch ein Markt.

Pascaline Sordet

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