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Sind die Sprachgrenzen im Kino dicht?

Catherine Ann Berger / Laurent Dutoit
12. Februar 2019

Die Box-Office-Zahlen von Schweizer Filmen sind oft ernüchternd; ausserhalb ihrer Sprachregion gelangen diese selten ins Kino. Was tun? Und wie dringend ist das Problem tatsächlich? Zwei unterschiedliche Meinungen dazu. 

Catherine Ann Berger (Direktorin Swiss Films):

Die französische Promotionsagentur Unifrance meldete Mitte Januar, dass die internationalen Kinoeintrittszahlen für französische Filme 2018 um 52% (!) weltweit eingebrochen sind, von 82,5 Millionen auf 40 Millionen Zuschauer. Das sind für Schweizer Verhältnisse immer noch nie erreichte Dimensionen, aber für die «Grande Nation du Cinéma» sind diese Zahlen ein Schock. Das Schweizer Filmschaffen konnte sich mit 3,4 Millionen Eintritten im Ausland auf den Vorjahreswerten sehr gut halten. Es erstaunt nicht, dass dabei erneut ein Familienfilm das beste Resultat erzielte und die Bilanz des ansonsten schwierigen Kinojahres tüchtig aufbesserte: «Die kleine Hexe» von Michael Schaerer (Zodiac Pictures) - eine minoritäre Koproduktion, aber mit Schweizer Regie und starker Schweizer Beteiligung - lief in über 20 Ländern und erzielte über 1'8 Millionen Eintritte.*

Durch die Konkurrenz der Streaming Plattformen verschärft sich die Lage an den Kinomärkten dramatisch. Die Kinobetreiber und VerleiherInnen gehen entsprechend weniger Risiken ein. Für Schweizer Filme bedeutet das tendenziell eine zusätzliche Segmentierung des europäischen Marktes. Während in Frankreich nach wie vor der künstlerisch anspruchsvolle Arthouse Film gefragt ist, dem Germinal Roaux mit seinem Zweitling «Fortuna» (Vega Production) beispielsweise sehr gut entsprach, so ist es in Deutschland der sozialpolitisch engagierte Dokumentarfilm wie «Eldorado» von Markus Imhoof (Thema Film) oder «Das Kongo Tribunal» von Milo Rau (Langfilm). In Italien wiederum sind es neben Familienfilmen fast ausschliesslich italienischsprachige Koproduktionen, die überhaupt in die Kinos gelangen, wie «Un nemico che ti vuole bene» von Denis Rabaglia (Turnus Film) oder «Lazzaro felice» von Alice Rohrwacher (Amka Films Productions). Die Grenzen zu den anderen europäischen Nachbarländern überschreiten diese Filme heute aber seltener. Sie bleiben in ihren sprachregionalen kulturellen Bezugsterritorien.

Daher gilt auch der Umkehrschluss: Wer sein Publikum auch in der Schweiz über die eigene Sprachregion hinaus erreicht, der wird auch international in mehreren Ländern Erfolge erzielen können. «Ma vie de Courgette» von Claude Barras (Rita Productions) und «Die göttliche Ordnung» von Petra Volpe (Zodiac Pictures) haben uns mit markanten Figuren in einem Animationsfilm und einem komödiantischem Drama gezeigt, wie das gelingen kann. Es zeichnet sich ab, dass der nächste Hit «#Female Pleasure» von Barbara Miller (Mons Veneris Films, Das Kollektiv für audiovisuelle Werke) werden könnte. Beeindruckende Aktivistinnen, ein Thema mit weltweiter Aktualität, der Dokumentarfilm ist in Deutschland und Österreich sehr erfolgreich angelaufen und startet nun in Frankreich.

Zu einem lebendigen einheimischen Filmschaffen gehören vier Elemente: Filme, die national im Kino punkten. Filme, die an internationalen Festivals auffallen und Meriten holen. Filme, die scheitern. Und Filme die sowohl an Festivals wie auch im Kino überzeugen. In den ersten zwei Kategorien haben wir in den letzten Jahren aufgeholt. Und wer etwas wagt, kann entsprechend auch scheitern. Was uns aber oftmals noch fehlt, sind die Werke der letzten Kategorie. Diese Filme würden in den Hauptwettbewerben der grossen Festivals wie Cannes, Berlin oder Venedig laufen und die Kinokassen füllen. Es gibt ermutigende Anzeichen, dass wir auf bestem Wege dahin sind.

*Vgl. die aktuellen internationalen Kennzahlen 2018 zu Schweizer Filmen und SWISS FILMS Jahresberichte der Vorjahren auf www.swissfilms.ch

▶  Originaltext: Deutsch

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Laurent Dutoit (Verleiher Agora Films, Betreiber der Kinos Scala in Genf):

In Bezug auf den Film ist die Schweiz dreigeteilt, doch dies gilt ebenso für die Musik, die Literatur und andere Bereiche. Obwohl wir in ein und demselben Land leben, wirkt die Sprachgrenze wie eine kulturelle Kluft. Stromlinienförmige Hollywood-Produktionen überwinden diese Barriere meist problemlos (so wie sie die Barrieren zwischen den meisten Ländern der Welt überwinden), doch Schweizer Filme tun sich damit sowohl im Landesinneren als auch im Ausland viel schwerer.

Wenn Filme wie «Ma vie de Courgette» und «Die göttliche Ordnung» sich beidseits der Alpen und des Röstigrabens durchsetzen konnten, so liegt dies daran, dass sie aufgrund ihrer Qualität und ihrer Filmsprache eine Bedeutung erlangten, die weit über die Region hinausreicht, in der sie gedreht wurden. So ist es auch kein Zufall, dass genau diese zwei Schweizer Filme in den letzten Jahren die grössten Erfolge im Ausland verbuchen konnten.

Ich verstehe die Frus­tration der Filmemacher und Produzenten, die in ihrer Sprachregion erfolgreich sind und sich die Zurückhaltung der anderen Sprachgruppen nicht immer erklären können. Doch mit einigen wenigen Ausnahmen (insbesondere im Bereich des Dokumentarfilms) ist es schwer vorstellbar, dass ein Deutschschweizer Film in der Westschweiz erfolgreich sein könnte, es sei denn er setzt sich auch in Frankreich, Belgien oder anderen Ländern des romanischen Sprachraums durch. Umgekehrt wird sich ein Westschweizer Film in der Deutschschweiz schwer tun, wenn er nicht auch in anderen europäischen Ländern erfolgreich ist. Denn selbst wenn wir eine gemeinsame Geschichte haben, so sind die Befindlichkeiten und die Kultur in den verschiedenen Landesteilen doch sehr unterschiedlich. Komödien bekommen diese kulturellen Barrieren im Allgemeinen am meisten zu spüren.

In einem Bereich jedoch zeigt sich leider in der ganzen Schweiz das gleiche Bild: Die Kinobesucherzahlen sind 2018 weiter gesunken und haben einen besorgniserregenden Stand erreicht. Die Branche muss sich dringend zusammenfinden, die Situation analysieren und gemeinsam Massnahmen erarbeiten, um die Besucherzahlen wieder in die Höhe zu treiben. Denn eine funktionierende Kino­szene ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg des Schweizer Films; er allein kann nicht die notwendige Dynamik erzeugen, um die Zuschauer wieder weg von ihren Fernsehern und Serien in die Kinosäle zu locken.

▶  Originaltext: Französisch

 

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