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Starke Nerven und Humor

Kathrin Halter
21. Dezember 2018

Giorgia De Coppi und Christoph Schaub bei den Dreharbeiten zu «Giulias Verschwinden» (2009). © Christoph Schaub

Der Prix d’honneur geht dieses Jahr an Giorgia De Coppi, Regieassistentin seit über 20 Jahren. Über eine der Besten ihres Fachs und die Besonderheiten ihres Berufs.

Gerade kommt Giorgia De Coppi aus dem Tessin zurück, von den Dreharbeiten zu «Love Me Tender», einem Spielfilm von Klaudia Rey­nicke (Amka Films). Da habe man sich zwischen den verschiedenen Departments in mindestens drei Sprachen verständigt: Die Regisseurin, gebürtige Peruanerin, ist in der Westschweiz aufgewachsen, der Kameramann war Spanier, die Ausstatterin Deutschschweizerin. Diese Mehrsprachigkeit bei der Arbeit, das gefällt Giorgia De Coppi, schliesslich ist sie selber zweisprachig als Tochter italienischer Emigranten in Baden aufgewachsen, spricht zudem Französisch und Englisch. Mit ihrer Familie lebt sie seit über zwanzig Jahren in Rom, während Dreharbeiten in der Schweiz wohnt sie meist in Zug. 

Interesse für alle kreativen Métiers

Giorgia De Coppi ist Regieassistentin aus Berufung, seit über zwanzig Jahren schon. Sie denkt überhaupt nicht daran, diesen vielseitigen und anspruchsvollen Beruf für einen anderen, scheinbar interessanteren aufzugeben. Wenn sie gefragt wird, weshalb sie nie selber ins Regiefach wechseln wollte, antwortet sie jeweils: Weil die Regieassistenz ein eigener Beruf ist, keine Stellvertretung für einen anderen: «Ich kann Spannendes mittragen, mich in Fantasien und mentalen Räumen anderer bewegen, ohne diesem Druck ausgesetzt zu sein, einen eigenen Film zu machen. Das gefällt mir extrem. Zudem kann ich mich in alle kreativen Métiers des Films wie Architektur oder Kostüm einbringen, die mich ebenso interessieren.»

Dass sie von den Solothurner Filmtagen mit dem Prix d’honneur ausgezeichnet wird, einem Preis, der traditionell Berufen hinter den Kulissen vorbehalten ist, hat sie dennoch überrascht. Auszeichnungen seien ja meist Mitarbeitern aus den kreativen Departments vorbehalten, so De Coppi. Trotzdem wirkt sie auf eine entspannte Art selbstbewusst, wie eine Frau, die schon weiss, was sie geleistet hat – auch vor dem Bildschirm in ihrer Römer Wohnung bei unserem Skype-Gespräch, wo sie so humorvoll wie bestimmt über ihre Arbeit spricht. 

Rund zwanzig Titel stehen auf ihrer Filmografie als RA, hinzu kommt die Mitarbeit als Aufnahme- oder Produktionsleiterin in weiteren fünfzehn Filmen. De Coppi hat mit bekannten Schweizer Regisseuren wie Fredi M. Murer, Stefan Haupt oder Christoph Schaub gearbeitet, mit Nachwuchsautoren wie Simon Jaquemet oder Francesco Rizzi wie in internationalen Koproduktionen («Youth» von Paolo Sorrentino). Die Mitarbeit bei «La Tregua» (1996) von Francesco Rosi, koproduziert von Marcel Hoehn von T&C-Film, bezeichnet sie als eine Lehre und als grosse Erfahrung, wo sie nicht nur den riesigen Apparat einer Gross­produktion kennenlernte, sondern als Aufnahmeleiterin viel über ihren künftigen Beruf erfuhr.

Regieassistentinnen und ‑assistenten sind bekanntlich für viele organisatorische Aufgaben vor und während der Dreharbeiten zuständig, wichtig ist auch ihre Vermittlerrolle zwischen der Regie, den Schauspielern und der Crew. Welche Eigenschaften sind in ihrem Beruf besonders gefordert? De Coppi: «Man braucht starke Nerven, muss Stress und Druck ertragen, zugleich Humor mitbringen, um Schwierigkeiten zu akzeptieren. Manchmal muss man auch schweigen und warten können, bis gewisse Durchläufe stattgefunden haben.»

Sie denkt inhaltlich mit

Christoph Schaub, der De Coppi aus der Mitarbeit bei «Jeune homme» (2005) und «Giulias Verschwinden» (2008) kennt, beschreibt sie als ruhige, überlegte und dabei sehr umgängliche Persönlichkeit, die auf dem Set oft ausgleichend gewirkt habe. Zugleich sei De Coppi stets an künstlerischen Prozessen interessiert, denke inhaltlich mit und schaue «über den Tellerrand ihrer eigentlichen Arbeit» hinaus, indem sie den Film stets als Ganzes im Auge behalte. Schaub hat ihr so sehr vertraut, dass De Coppi jeweils schon bei den Proben im Vorfeld der Dreharbeiten mit dabei war – was eher ungewöhnlich ist für ihren Beruf.

Gut erinnert er sich noch an die vier langen Arbeitstage, als die Restaurant-Szene in ­«Giulias Verschwinden» gedreht wurde, bei der sich Freunde anlässlich von Giulias Geburtstag am Tisch versammeln. De Coppi habe da sehr geholfen, indem sie Sunnyi ­Melles, die für ihre exaltierten Allüren bekannte Schauspielerin bei Laune hielt, manch kritische Situation auffing und gleichzeitig für Ausgleich und gute Stimmung im Ensemble und im Team sorgte.

De Coppi selber taxiert die Vermittlung, die aussöhnende Mediation als ganz zentralen Aspekt ihrer Arbeit : «Man muss sich ja ganz vielen Menschen anpassen. Das ist manchmal konfliktreich, da so verschiedene Charaktere und Erfahrungen zusammentreffen. Zu meiner Aufgabe gehört es, die Kanäle offenzuhalten und zu garantieren, dass die Kreativität nicht gestört wird. Also nicht nur der Regie den Rücken frei zu halten, sondern gleichzeitig allen anderen das Gefühl zu geben, dass sie frei sind in ihrem Schaffen.»

Regieassistenten sind wie «Zelig»

Auch Simon Jaquemet hat De Coppi schätzen gelernt, bei ihrer Mitarbeit in «Der Unschuldige». Am meisten fiel ihm ihre Ruhe auf. Er hat schon erlebt, wie Regieassistenten im Stress laut werden; sie sei in jeder Situation freundlich geblieben. Wie Schaub ist ihm ­De Coppis Interesse an inhaltlichen Fragen aufgefallen – und wie loyal sie sich immer gegenüber der Regie verhalten habe.

Wie schätzt De Coppi ihren Anteil bei der kreativen Arbeit ein? Dies hängt natürlich von der Beziehung zur Regie ab: «Es gibt Regisseure, die einen stark in ihre Überlegungen und ihre manchmal intimen Momente von Zweifel involvieren, und es gibt andere, die das viel weniger tun. Wir Regieassistenten sind diesbezüglich wie ‹Zelig›, wir passen uns extrem an. In diesem Beruf muss man Zugang zu sich selber haben und sich gleichzeitig stark zurücknehmen können. Da braucht es eben die Sensibilität zu merken, ob die eigene Meinung gerade gefragt ist oder nicht.»

Die Kreativität bei der RA habe wenig mit Einflussnahme zu tun. Vielmehr gehe es darum, die Intention – und manchmal Vision – der Regie zu verstehen und bei ihrer Umsetzung zu helfen. Wobei, fügt sie trocken an: «Manchmal ist es wichtiger daran zu erinnern, was heute noch auf dem Programm steht.»

Die Regieassistenz ist übrigens kein typischer Frauenberuf, im Gegenteil. Einfach sei es in der Filmwelt für Frauen ja nie gewesen, auch für Männer nicht, zum Beispiel während Dreharbeiten für drei oder vier Monate für niemanden mehr da zu sein ausser für das Projekt. Sie selber hat es mit vielen Zirkeleien und kurzfristigen Anpassungen geschafft – und natürlich auch durch Verzicht auf Projekte, bei denen sie gerne dabei gewesen wäre. So kam ihre Familie ab und zu mit oder musste in Kauf nehmen, dass De Coppi mal für längere Zeit abwesend war. Irgendwie hat man sich arrangiert.

Sie mag die Arbeit mit Streitlustigen

Männer hält sie übrigens für konfliktbereiter und schätzt das auch an ihnen. Sie mag die Arbeit mit Leuten, die gerne streiten, das sei ganz wichtig: «Kreation hat auch ganz viel mit dem Austragen von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten zu tun. Man muss Fehler machen und verwerfen können. Da nehmen sich Männer mehr Freiheiten.» 

Wenn sie noch einen Wunsch äussern könnte für das Produktionsland Schweiz, dann dies: Die kreativen Departments sollten noch wachsen und mehr Selbstbewusstsein entwickeln. Oft merke man noch, dass der Schweizer Film lange als Cinéma copain funktionierte und eine grosse Dokumentarfilm­tradition hat, es hierzulande aber nie Gross­produktionen gegeben hat. Doch nicht alle Ideen müssten von der Regie kommen. Kein Regisseur könne zum Beispiel über das Kostümfach soviel wissen, wie es eine Kostümbilderin tut. Jede kreative Abteilung ist eine Welt für sich – eine oft unterbewertete notabene.

▶  Originaltext: Deutsch

Prix d'honneur

Montag, 28. Januar 2019

17:45 Uhr | Landhaus

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