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Editorial

Die Klassiker von morgen

Es sind zwei meiner ersten Kinoerinnerungen überhaupt. In einem Luzerner Kino lief Rolf Lyssys «Schweizermacher», das war 1978, ich sehe noch die vielen Leute, die vor dem Haus Schlange standen. Es war ein Familienausflug, wochenlang noch machten wir Witze und freuten uns an der naiven Schlauheit von Emil, den belämmerten Polizeibeamten und ihrem Schweizerstolz. Ein bisschen schämte ich mich auch für unser Land. Waren wir wirklich so schrecklich provinziell?

Knapp ein Jahr später geschah etwas Ähnliches mit «Les petites fugues» (1979) von Yves Yersin, Lyssys Westschweizer Kollege, der am 15. November gestorben ist. Auch das war eine Geschichte, über die man noch lange redete und die man gerne weitererzählte. Das Bild von Pipe, dem Knecht, der mit dem Töffli aus der Kurve fliegt, bleibt sowieso unvergessen.

Filme, auf die sich das halbe Land einigen kann – Familien und Intellektuelle, Schüler und Senioren – sind auch in viel grösseren Ländern als der Schweiz selten. Hierzulande sind sie jedenfalls selten geworden. Vor zwei Jahren gelangen Petra Volpe («Die göttliche Ordnung») und Claude Barras («Ma vie de Courgette») schöne Publikumserfolge – und eben, so ist zu lesen, hat Michael Steiner mit «Wolkenbruchs Reise die Arme eine Schickse» die 200’000-Zuschauer-Marke geknackt.

Doch Erfolg und Renommee, Boxoffice-Zahlen und der Ruf bei der Kritik, unter Filmhistorikern und Cineasten sind verschiedene Dinge. Es gibt eine Reihe von Klassikern, die beim grossen Publikum relativ wenig Zuspruch fanden. Ob umgekehrt «Achtung, fertig, Charlie!» dereinst zum Kanon des Schweizer Films zählen wird, dürfte umstritten sein. Wobei: Es braucht nicht nur zeitlichen Abstand, um beurteilen zu können, welche Filme überdauern werden. Es gibt ganz verschiedene Kriterien, weshalb ein Film wichtig ist. Auch deshalb kann es Spass machen, Best- (und Worst-) ­Listen zu erstellen. Einen Schweizer Kanon aufzustellen, wobei man sich auf zehn, auf zwanzig, auf hundert Filme beschränken soll. Jeder darf das Spiel mitspielen und mitentscheiden, welche Filme dazugehören und welche nicht.

Eine solche Liste (vorerst ohne Einschränkung) wird gerade im Auftrag der Edition filmo erstellt: Ein Projekt, hinter dem die Solothurner Filmtage stehen und das auf verschiedenen VoD-Plattformen demnächst online geht. Erklärtes Ziel der Edition ist es, das Schweizer Filmerbe neuen Generationen zu vermitteln. Was das Projekt bezweckt und wer dahintersteht erfahren Sie auf Seite 7.

Passend dazu wird an den Solothurner Filmtagen auch eine Diskussion geführt, die fest zum Tenor über den Schweizer Spielfilm gehört: Die Klage, wonach dieser ein grundsätzliches Problem habe. Zu dröge, zu provinziell, zu harmlos eben. Der Verband Schweizerischer Filmjournalisten (SVFJ) greift den Evergreen auf, diesmal an einem Podium mit in- und ausländischen Filmkritikern.

Dabei sind gerade junge Filmer daran, neue Töne und Stilarten einzubringen; Leute wie Simon Jaquemet oder Lisa Brühlmann, die ein forciertes Autorenkino machen, das auf selbstverständliche Weise originell, europäisch und ja, so gar nicht provinziell wirkt. Es ist Pascal Blum, der Kulturredaktor des Tages-Anzeigers, der sich auf unserer Kommentarseite für solche Junge starkmacht – und dem von Pascal Gavillet (Tribune de Genève) widersprochen wird.

Machen Sie sich Ihr eigenes Bild, in Solothurn und anderswo.

Wir wünschen allen tolle Filmtage.

Kathrin Halter

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