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Sechs Grosse, ein Mittelfeld und viele Kleinstunternehmen

Pascaline Sordet
16. November 2018

Um als Unternehmen rentabel zu sein, müssen die Produktionsfirmen auf den Spielfilm setzen und eng mit dem Fernsehen zusammenarbeiten. Dies zeigt eine Studie von Fonction:Cinema.

Wie lebt es sich in der Westschweiz vom Film? Erhalten alle Produktionsfirmen, von denen man oft hört, es gebe zu viele, ihren Teil vom Kuchen? Lohnt sich die Filmproduktion in einem vollständig subventionierten Markt überhaupt? Diese Fragen versucht der Genfer Verein Fonction:Cinéma zu beantworten, indem er die Budgets aller Filme analysiert, die zwischen 2012 und 2017 dank Cinéforom öffentliche Gelder erhalten haben.

Nur sechs der befragten 116 Firmen erwiesen sich über die ganze Periode hinweg als rentabel, weil sie einen Umsatz über 1,3 Millionen Franken pro Jahr generierten (siehe Kasten). Da sich die Firmen über die Filmbudgets finanzieren, müssen sie mindestens einen Spielfilm produzieren, um diese Schwelle zu erreichen. Gemäss Bundesamt für Kultur betragen die durchschnittlichen Herstellungskosten für einen Langspielfilm zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Franken, gegenüber 530'000 Franken für einen Dokumentarfilm. In der zweiten Gruppe, der «Mittelklasse», sind 20 Produktionsfirmen vertreten, deren Marge eine bedingte Rentabilität ermöglicht, während die restlichen 90 Firmen schlicht unrentabel sind.


Zu viele Firmen, zu viele Filme?

Ist ein Wirtschaftsumfeld, in dem sechs Produktionsfirmen 45 % der Gelder und 90 weitere nur 19 % erhalten, gesund oder müssten die Kleinstunternehmen aufgeben? «Die drei Gruppen sollten nebeneinander bestehen, sie haben alle eine Daseinsberechtigung», sagt Pierre-Adrian Irlé, Produzent bei Jump Cut Production und Autor der Untersuchung. Manche Projekte sind machbar für eine Person, wenn sie gleichzeitig Autorin, Regisseurin und Produzentin ist. Die kleinen und unabhängigen Firmen tragen also viel zum Entstehen von Dokumentar- und Kurzfilmen bei, beides Formate mit oftmals bescheidenen Budgets.

Solche Filme entstünden in einem grösseren Unternehmen kaum, denn sie seien für eine Firma unrentabel, erklärt Pierre-Adrian Irlé. Wäre es nicht sinnvoller, solch fragile Filme nicht mehr zu subventionieren, heute, da man die Filmflut auf den Leinwänden beklagt? «Unsere Produktion hat beschlossen, sich Kultur zu leisten, und zwar mit Geldern, die für den Film bestimmt sind. Das heutige System finanziert Filme, denen die Auswahlkommissionen eine Daseinsberechtigung zusprechen. Das ist ein demokratisches System, das auf einer Abstimmung basiert. Auch wenn der Film kaum gesehen wird, hat ihn das System doch adoptiert. Übrigens sind nicht alle Filme für ein möglichst grosses Publikum gedacht. Einige erfüllen einen Ausbildungszweck: Sie bieten dem Nachwuchs die Gelegenheit, technisch und künstlerisch an Profil zu gewinnen», so Irlé – und später vielleicht Filme für ein grösseres Publikum zu produzieren.

Das heutige System ermöglichst es jungen Filmschaffenden und atypischen und fragilen Projekten, zu existieren; eine politische Entscheidung, die durch künstlerischen Erfolg gerechtfertigt wird. Mit nur 19 % der öffentlichen Gelder werden die Kleinstunternehmen ebenso oft an A-Festivals eingeladen wie die grösseren Firmen. Das ist auch eine Art von «Rentabilität», betont der Bericht von Fonction:Cinéma: «Die nicht rentablen Gesellschaften, die sich in einem völlig anderen Umfeld entwickeln als die Spitzenreiter, behaupten sich erstaunlich gut in Anbetracht der Fragilität der Firmen und der tiefen Filmbudgets».


Konzentration auf wenige Unternehmen

Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Spielfilmproduktion mit der Rentabilität der Firmen positiv korreliert. Sie ist teurer und generiert rechnerisch mehr Einnahmen. Der Dokumentarfilm, weltweit anerkannt und kulturelles Zugpferd des Schweizer Films, wird häufig in der zweiten und dritten Gruppe produziert und ist somit, lapidar formuliert, kein wirtschaftlich einträglicher Geschäftsbereich für ein Unternehmen. Für Fonction:Cinéma handelt es sich um ein strukturelles Problem: «Die Gesellschaften, die allgemein wenig und nur selten einen Spielfilm produzieren, befinden sich chronisch in Schwierigkeiten.» Der Verband wünscht sich eine Erhöhung der Mittel für den Dokumentarfilm, insbesondere beim Fernsehen, das heute 1'265'000 Franken investiert.

Die von der Branche angestrebte Professionalisierung orientiert sich demnach am Spielfilm. Die Politik der RTS, die mittelfristig mindestens zwei Serien pro Jahr produzieren möchte, hat zu einer Konzentration auf wenige Unternehmen geführt. Das Rennen macht Point Prod mit fast 25 Millionen Umsatz in sechs Jahren, wovon 70 % auf das Konto der Fernsehspielfilme gehen: «Port d’attache», «A livre ouvert», «Anomalia» und «Quartier des banques», deren zweite Staffel in Vorbereitung ist. Diese Politik hat auch Produzenten motiviert, die mit diesem Format weniger vertraut sind, wie Intermezzo, die den Dreh für «Bulle» vorbereitet, oder die Gesellschaft von Pierre-Adrian Irlé, Jump Cut, die «Station Horizon» produziert hat.

«Als diese Politik initiiert wurde, gab es nur wenige Produktionsfirmen, die genügend solide verankert waren, um Projekte dieser Grösse zu produzieren. Doch der Markt hat sich angepasst, und die Gesellschaften haben sich weiterentwickelt». Für ihn ist klar, dass die Zahl der Firmen, die Serien produzieren, zunehmen wird. Es ist durchaus vorstellbar, dass es in der Romandie in einigen Jahren ein Dutzend davon gibt, die in der Lage sein werden, Serien zu produzieren oder dies schon mindestens einmal getan haben. ­Pierre-Adrian Irlé ist überzeugt, dass sich der Konzentrationseffekt abschwächen und der Erfahrungsvorsprung abnehmen wird: «Es wird immer grössere Gesellschaften geben, die mehr Projekte entwickeln, mehr Koproduktionen eingehen und sich stärker auf den Spielfilm konzentrieren, doch dass die Spitzenreiterin viermal mehr Umsatz macht als die Zweitplatzierte, das wird der Vergangenheit angehören.»


Die Mittelklasse hat nicht profitiert 

Die Gründung von Cinéforom im Jahr 2011 führte zur Bündelung der verschiedenen Westschweizer Fonds und verfolgte das Ziel, das audiovisuelle Unternehmertum zu konsolidieren. Die Untersuchung von Fonction:Cinéma zeigt: Das Ziel ist erreicht, doch die Mittelklasse hat davon praktisch nicht profitiert. Leiden diese Unternehmen unter der Situation? Möchten sie ihren Umsatz steigern und dafür die damit einhergehenden Zwänge und Verantwortlichkeiten hinnehmen? Pierre-Adrian Irlé weist darauf hin, dass alle diese Unternehmen Angestellte haben und somit als ein solches funktionieren, und dies teilweise seit über zehn Jahren. «Sie wollen zwar nicht zwingend grösser werden, wünschen sich aber auf jeden Fall eine bessere finanzielle Basis, damit sie arbeiten können, ohne das Messer am Hals zu haben.»

Für Fonction:Cinéma ist klar, dass die Untersuchung objektiv auf die fragile Situation der Westschweizer Produktionsfirmen aufmerksam macht: «Wir sind uns bewusst, dass nur eine Erhöhung der Mittel, insbesondere durch einen substanziellen Beitrag der Internetprovider an die unabhängige Produktion in der Schweiz, wirklich etwas verändern könnte.»

Fliesst kein zusätzliches Geld, besteht immer noch die Hoffnung, dass das Fernsehen mehr Magazine und Struktursendungen in Auftrag gibt, die ein regelmässiges Produzieren erlauben würden. Pierre-Adrian Irlé sagt, dass er als Produzent grosse Lust dazu hätte, selbst wenn er dann mit anderen Berufstypen und anderen Formen arbeiten müsste: «Auch dort geht es um Narration, und viele Produzenten würden viel lieber eine Struktursendung statt Programm-Filme produzieren». Die SRG hat  diese Idee am Tag nach der No-­Billag-Abstimmung geäussert.


▶  Originaltext: Französisch

Was heisst «rentabel»?

Der Westschweizer Markt finanziert jedes Jahr durchschnittlich 74 Produktionen mit 32 Millionen Franken, von denen mehr als die Hälfte von der RTS und von Cinéforom stammt. Die Untersuchung hat ergeben, dass eine Gesellschaft – um theoretisch rentabel zu sein – mindestens 1,3 Millionen Franken Umsatz, also eine Gewinnmarge von 200'000 Franken, generieren sollte, um damit eine Vollzeitstelle für einen Produzenten, eine Halbtagsstelle für einen Assistenten sowie Büro und Spesen bezahlen zu können. Die analysierten Zahlen berücksichtigen allerdings weder die Doppelfunktion Produzent-Regisseur noch die Einnahmen aus anderen Tätigkeiten wie Auftrags- und Werbefilmen. Vermitteln sie dennoch ein realistisches Bild der wirtschaftlichen Verhältnisse? Für Pierre-Adrian Irlé spiegeln die verfügbaren Zahlen weitgehend die Realität, da es keine Filmwirtschaft gebe, die auf Privatinvestitionen basiert.

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