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Wie Europa um die Netflix-Steuer kämpft

Kathrin Halter
25. Juni 2018

Die italienische Netflix-Serie «Suburra»

Die EU geht gerade neue Wege, um Streaming-Giganten wie Netflix zu Abgaben zu zwingen – und Quoten im Angebot durchzusetzen.

Nicht nur dank seinem Filmangebot ist ­Netflix rund um die Uhr verfügbar. Dauerpräsent ist der Streamingdienst auch als eingängiger Slogan und Metapher für den Strukturwandel, der die Filmindustrie gerade weltweit um­pflügt: Als Feindbild und als hochgelobtes Studio, das kreativen Talenten weitgehend freie Bahn gewährt. Als Talentscout und als Bedrohung für kleinere Film­nationen. Als Firma, die mit der Wahl ihres Sitzes unfair Steuern umgeht. Oder als US-Gigant, der in Cannes nicht mehr zum Wettbewerb zugelassen wird – und das Festival deshalb in den Augen vieler als weltfremd dastehen lässt. Sogar eine Netflix-Steuer und die Netflix-Quote sind nach dem Konzern benannt, dabei würden diese nicht nur Netflix, sondern auch andere internationale Streaming-Dienste treffen.


Die 30-Prozent-Quote

Dazu gibt es jetzt, von der Öffentlichkeit wenig beachtet, ein neues EU-Gesetz und einen Gerichtsentscheid, die weitreichende Folgen haben könnten. Und die auch die Schweizer Filmpolitik und das neue Gesetz über elektronische Medien beeinflussen könnten.

So hat sich kürzlich die EU-Kommission mit dem EU-Parlament und dem Rat auf eine neue Richtlinie für «audiovisuelle Mediendienste» (AVMSD) geeinigt; bis im nächsten Frühling soll vom Ministerrat und dem Parlament noch formell zugestimmt werden. Demnach müssen Anbieter von Video-on-­Demand-Diensten künftig mindestens 30 Prozent (!) ihres Katalogs mit europäischen Inhalten bestücken. Das ist beachtlich, vor zwei Jahren war noch von 20 Prozent die Rede.

Mit dieser sogenannten Netflix-Quote soll europäisches Kulturschaffen gefördert und die Vielfalt gesichert werden. Ausserdem sollen Abrufdienste wie schon heute Fernsehsender oder Kinos verpflichtet werden können, Abgaben an die jeweilige nationale Filmförderung zu zahlen. Wie aber sehen diesbezüglich Praxis und Gesetzgebung in unseren Nachbarländern aus?

Frankreich kämpft bekanntlich seit langem für die «Exception culturelle», die Über­­­­­­zeugung also, dass Kulturgüter keine gewöhnlichen Waren sind. Gestützt wird die Überzeugung durch Quoten und Förderung; beim Film durch Abgaben an das Centre ­national de cinéma et de l'image animée (CNC). Seit 1993 gibt es dazu auch ein Gesetz. So müssen Abrufdienste in Frankreich 15 bis 20 Prozent französische Filme in ihrem Angebot vorweisen. Für die Förderung europäischer Werke sind rund 15 Prozent des Netto­umsatzes vorgesehen und davon mindestens 12 Prozent für die Entwicklung von Filmen in französischer ­Sprache. Die Abgabepflicht – gemäss Steuergesetz 2 Prozent des Umsatzes für VoD-Plattformen – gilt für ausländische Anbieter noch nicht, ist aber vorgesehen.


Mit einer Klage gescheitert

Weiter geht Deutschland, das innerhalb von Europa diesbezüglich eine Vorreiterrolle spielt. Dort sind VoD-Anbieter (gemäss Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien) einerseits verpflichtet, europäische Werke anzubieten. Zudem werden die Anbieter – so steht es im Filmförderungsgesetz – bei Jahresnettoumsätzen über 500ʼ000 Euro zu einer Abgabe an die Filmförderungsanstalt FFA verpflichtet; diese schwankt zwischen 1,8 und 2,5 Prozent. Diese Abgabepflicht gilt nun eben auch für Anbieter, die außerhalb der Landesgrenzen ansässig sind, sobald sie in Deutschland mit einem Angebot Umsätze erzielen (und am Unternehmenssitz keine solche Abgabe leisten müssen). Bei einem Jahres­umsatz bis zu 20 Millionen Euro beträgt die Abgabe 1,8 Prozent, bei über 20 Millionen Euro 2,5 Prozent.

Diese Regelung ist soeben vom Europäischen Gerichtshof bestätigt worden. Gemäss «Spiegel online» wehrt sich Netflix nämlich seit Jahren, so wie andere Unternehmen für die deutsche Filmförderung Abgaben zu entrichten. Das US-Unternehmen ist jetzt jedoch mit einer Klage vor dem Europäische Gerichtshof gescheitert. Damit bestätigen die Richter die seit 2014 bestehende Regelung, wonach auch außerhalb der Landesgrenzen ansässige Videodienst-Anbieter Abgaben leisten müssen. Bislang weigerten sich auch andere Firmen wie Microsoft und Apple, in die deutsche Filmförderung einzuzahlen. Netflix kann die Anordnung vor deutschen Gerichten jedoch noch anfechten. Zudem müsste die Firma etwas tun, was sie bislang tunlichst vermieden hat: ihre Umsatzzahlen bekanntgeben (siehe dazu auch den Gastkommentar).


Europäische Originalserien

Während sich Netflix also gegen Abgaben wehrt, scheint die neue Quote dem Konzern weit weniger anzuhaben. Er geht – wie andere Streamingdienste auch – sowieso in die Offensive, um noch mehr Zuschauer zu gewinnen: Mit europäischen Netflix-Serien, allesamt speziell für den lokalen Markt produzierte Koproduktionen, durchwegs in ­Originalsprache, mit heimischen Schauplätzen, Darstellern und Autoren. Dafür stehen Netflix-Serien wie das römische «Suburra» (über einen Banden­krieg in Rom), «Marseille» mit Gérard Dépardieu oder die erste deutsche Originalserie «Dark». Bis nächstes Jahr sollen zudem über hundert weitere Projekte vor allem aus Europa, aber auch aus dem Nahen Osten und Afrika aufgeschaltet werden. Produktionen wie «Luna Nera» (Italien) oder «Mortel» (Frankreich), «The English Game» (England), «Die Welle» (Deutschland) und die erste niederländische Original-Serie, Titel noch unbekannt. Seit 2017 haben sich die Investitionen und Eigenproduktionen, an denen über 35ʼ000 Mitarbeiter beteiligt sind, fast verdoppelt, lässt Netflix auf seiner Medienseite verlautbaren. Die kleine Schweiz bleibt da vorerst aussen vor.

▶ Originaltext: Deutsch

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