MENU Schliessen

Latexpuppen und blaues Silikon

Aude Haenni
25. Juni 2018

Mit der Weltpremiere von «Le 5e Cavalier» wird am 6. Juli das NIFFF eröffnet. Eine Visite in der Genfer Werkstatt dbFx Workshop, die diese Webserie produziert hat.

Die grossen Kriege im Weltall und anatomische Atlanten, daneben Spirou und Alix, Jules Verne und François Maspero: Büchergestelle voller Bücher, versteht sich, erstaunlicherweise aber auch Globen, Silikonmasken… Weiter hinten, an der Wand befestigt, die Pistole von Robocop, sie zielt auf eine riesige Figur aus Stargate. Das Reich von dbFx Workshopin einer Genfer Lagerhalle offenbart sich als echtes Kuriositätenkabinett. Ganz wie man es erwartet hat in einer Werkstatt, die sich auf Spezialeffekte und audiovisuelle Produktion spezialisiert hat. An diesem Montag im Mai stapeln sich Wasserflaschen neben Entwurfsskizzen, Zeichnungen und anderen Kritzeleien. Es ist der Endspurt der Gewinner des «Fantastic Web Contest» von 2017 – im Juli soll die Webserie «Le 5e Cavalier» als Weltpremiere das NIFFF eröffnen. «Derzeit wird geliefert, alles setzt sich zusammen, ein angenehmer Stress… Wenn bloss nicht die Festplatte ihren Geist aufgibt!» witzelt Regisseur J.D. Schneider vor einem Riesenmonitor, auf dem viele Farbskalen zu sehen sind.


Eine Stilübung

Anfang Juli 2017 stand die Equipe, J.D. Schneider sowie die beiden dvFx-Gründer ­Kennocha Baud und Julien Dumont. Eingereicht hat sie ein Projekt, das laut Scheider «skizzenhaft, aber mit Herz und Passion entwickelt» wurde. «Wir waren fast sicher, nicht ausgewählt zu werden, denn unser Vorschlag orientierte sich, ohne jede Parodie, am Fantasy-Genre» erklärt Kennocha Baud, die Produzentin und künstlerische Leiterin, mit einem Seitenblick auf «Hellvetia», die verrückte Webserie, die 2015 bei der ersten Ausschreibung des Wettbewerbs gewonnen hatte. Drehbuch, Mythologie, Schreiben, Storyboard, Dekor, Requisiten, Gesichtsmasken, Drehen, Montage folgten Schlag auf Schlag. «Ein Jahr Zeit zur Realisation von zehn Folgen von sieben Minuten, so lang wie ein Spielfilm, das ist viel...»

Dies umso mehr, als die Tausendsassas den Ehrgeiz hatten, das ganze Projekt selber herzustellen. Ihre Stärke liegt in der Vielfalt ihrer Disziplinen. Seit zehn Jahren hat das Duo von dbFx unterschiedlichste Aufträge angenommen, Restaurationen für Museen, Produktionen von Clips, Animationen, Entwicklung von Miniaturmodellen, hat Requisiten für Spielfilme geschaffen, Masken (zum Beispiel für HBO) hergestellt und Spezialeffekte aller Art entwickelt.

Die Webserie ist mit 400ʼ000 Franken produziert worden, von denen dbFx selber 200ʼ000 investiert hat. «Wir haben immer ausserhalb der ausgetretenen Pfade gearbeitet, ohne Förderung», bemerkt Julien Dumont. «Doch bei der Distribution wird es schwieriger. Wir haben viel in das Projekt investiert, aber es hat sich gelohnt, wenn man an die Festivaleröffnung denkt und den idealen Rahmen, den man uns da bietet.» Das Drehbuch wurde gecoacht von Joanne Giger, einer Drehbuchautorin und -beraterin aus Los Angeles und Paris. Gedreht wurde eine Woche im Studio 4 der RTS sowie im Keller des gleichen Gebäudes. Regelmässig kamen Rückmeldungen von Patrick Suhner von der RTS-Redaktion und von Anaïs Emery, der Leiterin des NIFFF. Unterstützung kam von allen Seiten: «Die Direktorin des Krematoriums, das Genfer Museum, der Polizeichef… alle haben sind auf unsere Anfragen eingegangen», sagt Julien Dumont und zeigt auf den Sticker der Genfer Ordnungshüter an einer Uniform. «Überall wartet man auf Schweizer Serien, die Ungewohntes zeigen; so gehört man dazu», fügt er an mit einem Augenzwinkern.


Holzsärge aus Sagex

In der Postproduktion folgt die letzte, unverzichtbare Phase, um die besondere Stimmung des Fantastischen zu schaffen. «Als wir unsere letzte Trailerversion gepostet haben, schrieben uns Amerikaner, um welches neue Netflix-Projekt es hier gehe! Wir legen grossen Wert aufs Bild, suchen einen besonderen Look, ein bestimmtes Licht, das dieses Genre charakterisiert.» In einem Winkel des Studios entdecken wir ein Exempel: drei speziell für die Webserie hergestellte Holzsärge, die näher besehen aus Sagex und anderem zweifelhaftem Material gemacht sind. Daneben ein Wesen, halb Schaf, halb Alien, das Lamm mit sieben Hörnern, die Spukgestalt dieser Serie. Man stellt sich vor, wie es, begleitet von Musik, aus Nebelschwaden auftaucht. Bedrohlich, besonders wenn seine sieben Augen gleichzeitig aufleuchten. Das Wesen ist eine elek­tronische Animation, eine robotergetriebene Latexpuppe, Stolz des dbFx Workshop, denn in der Schweiz kann niemand sonst so etwas herstellen. «Drei Wochen haben wir daran gearbeitet», sagt Julien Dumont, und dass fast zehn Leute zwei Monate an der Ausstattung und den Requisiten für ‹Le 5e Cavalier laboriert haben – in den Untergeschossen des Ateliers, wo jetzt noch Spuren der Arbeit und blaue Silikonreste zu finden sind.

Auch wenn die Hauptarbeit hinter ihnen liegt, so ist J.D. Schneider immer noch mit der Montage beschäftigt. Zum Beispiel jener Szene mit der nackten, blutbefleckten Frau, die im Studio gedreht wurde, dann aber ins Genfer Pâquis-Bad verlegt wird. Von einer anderen Figur verrät er: «Er war begeistert, dabei zu sein, sich in die Haut des Papsts zu versetzen und seinen Text lateinisch zu brüllen», so der Regisseur über den Schauspieler Robert Davi («Profiler», «Licence to Kill»).

Robert Davi, Didier Graffet, dessen Storyboard-Zeichnungen an der Wand hängen – hier endet das Name Dropping, doch es zeigt den Geist des Unternehmens. «‹Le 5e Cavalier› ist durchaus eine Wette auf die Zukunft», meint Julien Dumont, «wir möchten gut gemachte Filme schaffen können, Teams zusammenbringen… Von Anfang an wollten wir mit dem Projekt nicht den Romands gefallen, sondern es sollte sich international exportieren lassen.» Die Equipe meint schmunzelnd, sie hoffe, dass Cronenberg, der diesjährige Jurypräsident, am Festival anzutreffen ist.

Bis dahin aber sind die Nächte noch kurz. Täglich schickt J.D. Schneider seine neuen Schnittversionen Allan Mantilleri, der den Tonschnitt betreut, «und der schimpft mich jedesmal, es seien wieder Einstellungen verändert worden!» Und im Studio Hocus Pocus in Lyon sitzt Jérémy Sainte-Marie als VFX Supervisor von dbFx Workshop. Kennocha Baud wiederum, wenig gesprächig über diese Endphase des Projekts, nennt sich Schnittberaterin. Sie weiss, dass der Teufel in den Details steckt, und lässt noch einige Nachaufnahmen drehen. Zum Beispiel mit dem gerade aus Paris angekommenen Franck Galiègue, der mässig begeistert ist, ein weiteres Mal – Achtung: Spoiler! – im Film zu sterben. Die Produktionszeit für das ambitionierte Projekt läuft ab, und dieser Tod wird, an diesem Montag im Mai, die letzte Klappe sein.

▶ Originaltext: Französisch


Die Bandenchefin

Nina Scheu
25 Juni 2018

Traue keiner Statistik

Andreas Furler, Gründer und Betreiber des Filmportals cinefile.ch
21 Juni 2018

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife