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Zwischen Wirtschaftsstimulation und Kultursubvention

Pascaline Sordet
06. Juni 2016

Die Filmstandortförderung ist das jüngste Instrument des BAK. Wenige Wochen vor dessen Einführung gibt es noch einige Fragen zur Funktionsweise.

Von Pascaline Sordet

Drei Millionen im Jahr 2016 und dann jährlich sechs Millionen bis 2020: Diesen zusätzlichen Betrag gewährt der Bund dem Film im Rahmen der neuen Kulturbotschaft. Doch da keine Aufstockung der bestehenden Systeme vorgesehen ist, wird ab 1. Juli ein neues Förderinstrument eingeführt. Das Problem: Wie kann das Bundesamt für Kultur dem Parlament ein Förderinstrument schmackhaft machen, dessen Bedingungen gleichzeitig von der gesamten Branche akzeptiert werden sollten? Ein echter Balanceakt. 

Die Filmstandortförderung FiSS ist das Ergebnis arbeitsintensiver Monate. Ivo Kummer, Leiter der Sektion Film, macht sich auf Kritik gefasst, noch bevor das Projekt praktisch umgesetzt wird: «Man darf nicht vergessen, dass es sich um Zusatzgelder handelt, die nicht auf Kosten eines anderen Förder­instruments gehen. Es sind insgesamt 27 Millionen mehr für die kommenden Jahre. Der politische Wille war da, mit diesem Geld neue Filme zu generieren und nicht nur die Finanzierung der selektiven und erfolgsabhängigen Filmförderung zu ergänzen.» Im Klartext: neue Filmprojekte und Dreharbeiten in die Schweiz zu holen und die Postproduktion in unserem Land zu fördern. Gérard Ruey, Geschäftsleiter von Cinéforom, hat in der Arbeitsgruppe Filmförderung mitgewirkt und weist auf den politischen Realismus hin, der gefordert war: «Ohne neues Instrument erwirkt man beim Parlament kein zusätzliches Geld.» 

Mehr Einfluss der Produzenten 
«Ich habe stets darauf hingewiesen, dass das Instrument für Koproduktionen mit dem Ausland gedacht ist, nicht für ausschliesslich schweizerische Filme», sagt Ivo Kummer. In Anbetracht der Widerstände integrierte Bern sie schliesslich doch ins neue System, obwohl ursprünglich die Unterstützung von Koproduktionen im Vordergrund stand – egal, ob mit Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligungen. Gérard Ruey weist darauf hin, dass die ausschliesslich schweizerischen Filme, die ab einem minimalen Produktionsbudget von der FiSS profitieren könnten, mehrheitlich aus der Deutschschweiz kommen, sich vorwiegend mit Identitätsfragen befassen und keine Finanzierung im Ausland suchen. Dadurch isolieren sie sich etwas und verhindern eine breite Distribution.» Daniel Howald, Mitglied des ARF/FDS-Vorstands, sieht es anders: «Das Hauptargument in den Gesprächen mit Cinésuisse war der Wunsch nach einer besseren Finanzierung der Filme, nicht nach Einführung eines Instruments für Koproduktionen. Sechs Millionen allein für die Koproduktionen sind sowieso zu viel.» 

Die FiSS dürfte den Schweizer Produzenten bei Koproduktionen mehr finanzielles Gewicht und folglich auch mehr Einfluss verleihen. Ein Vorteil für die Techniker und die Filmbetriebe: «Die Produzenten verfügen über ein Argument, um in der Schweiz zu drehen oder Schweizer anzustellen, weil das Geld an diese Bedingung geknüpft ist», erklärt Mat­­­thias Bürcher. 

An einer Veranstaltung von Fonction: Cinéma am 25. April in Genf einigt man sich im gefüllten Saal anhand konkreter Beispiele – des Spielfilms «Sils Maria» und des Dokumentarfilms «Free to Run» –  über zwei Dinge: Dass bei Koproduktionen mit Mehrheitsbeteiligung das Geld willkommen ist, bei minoritären Koproduktionen jedoch weniger, weil im Verhältnis zu den zugesprochenen Beträgen die daran geknüpften Bedingungen zu restriktiv sind .

Zulassungsbedingungen 
Um an das Geld der neuen, so genannten Standortförderung zu kommen, ist ein Herstellungsbudget von mindestens 2,5 Millionen für Spielfilme und 500’000 Franken für Dokumentarfilme erforderlich. Von diesem Betrag müssen 400’000 respektive 200’000 Franken der Ausgaben in der Schweiz anfallen. Ausserdem sind bei Schweizer Filmen 80 Prozent der Beträge in der Schweiz auszugeben. Ivo Kummer fragt sich, weshalb es nicht sogar ­100 Prozent sind. Die Bestimmung, 100 Prozent der Beträge in der Schweiz ausgeben zu müssen, wird auch vom Verband Schweizerischer Filmtechnischer Betriebe (FTB/ASITIS) gefordert. Doch es wurde ein Kompromiss gefunden, damit der Situation in der Romandie – wo die Schauspielerinnen und Schauspieler vielfach aus Frankreich oder Belgien geholt werden müssen – Rechnung getragen wird. Dies soll auch verhindern, dass die künstlerischen Entscheidungen unter Druck geraten. Die Techniker können mit den Bestimmungen zum Spielfilm leben, doch dass beim Dokumentarfilm nur 60 Prozent der Ausgaben in der Schweiz erfolgen müssen, leuchtet ihnen nicht ein. Caterina Mona, Kamerafrau und Mitglied des SSFV, sagt dazu: «Die Postproduktion wird nicht weniger als heute ins Ausland verlegt werden, zum Schaden der technischen Betriebe, für die bereits sehr schwierige Verhältnisse herrschen.» 

Wie wurden diese Schwellenwerte berechnet? «Wir haben sämtliche verfügbaren Schlussabrechnungen der letzten vier Jahre in den Bereichen Spielfilm und Dokumentarfilm miteinander verglichen und geschaut, was Sinn macht», sagt Ivo Kummer. «Das ist eine wichtige Frage, die über die FiSS hinausreicht», betont Matthias Bürcher. «Soll man mehr Filme mit weniger Mitteln fördern oder umgekehrt?» Wären die Zulassungsschwellen niedriger angesetzt, bräuchte es mehr Geld, um alle Gesuche zu bewilligen. Nach Schätzungen des BAK wären bei einer Schwelle von zwei Millionen Franken acht statt sechs Millionen Franken nötig gewesen zur Finanzierung dieses Förderinstruments. Gérard Ruey schätzt, dass das Instrument erst ab 10 Millionen Franken pro Jahr wirklich konkurrenzfähig wäre.

Zu hohe Schwellen? 

Für einen Spielfilm, der ganz  in der Westschweiz oder gar im Tessin gemacht wird, ist das Minimalbudget sehr hoch. Francine Lusser, Produzentin bei Tipi'mages Productions, findet daran ungerecht, dass die Gelder somit nur für Filme verfügbar sind, die lediglich einen kleinen Teil ihres Budgets in der Schweiz ausgeben. Läge die Schwelle tiefer, könnten auch ausschliesslich schweizerische Filme die Förderhilfe beanspruchen: «Sechs Millionen zusätzlich ist super, aber ich bedaure, dass ich nicht in deren Genuss komme, obwohl ich meine budgetierten 1,6 Millionen Franken vollumfänglich in der Schweiz ausgebe.» Dieser Vorbehalt gilt nicht nur für Westschweizer und Tessiner Filme: «Wir Deutschschweizer teilen diese Meinung», sagt Daniel Howald. Der ARF/FDS hätte sich eine Schwelle von 1,5 Millionen für die Spielfilme gewünscht, was auch dem Autorenfilm nützen würde.» 

Die meisten Verbände hätten sich für eine tiefere Schwelle ausgesprochen, sagt Gérard Ruey. Er präzisiert, dass es abgesehen vom Gesamtbudget «für die minoritären Koproduktionen schwierig sein wird, die massgebende Ausgabeschwelle zu erreichen.» Nach seinen Berechnungen würde ein Film, beispielsweise der von ihm produzierte «Sils Maria», gerade knapp den anrechenbaren Betrag erreichen, wo doch das System selbstregelnd sein könnte: «Je weniger Ausgaben, desto geringer die Unterstützung.» 

Ivo Kummer hat eine Antwort auf solche Einwände: «Für mich ist es wichtig, dass das neue System funktioniert, deshalb bin ich eher auf der konservativen Seite.» Er plädiert für strenge Zulassungsbedingungen, die man im Lauf der Zeit anpassen kann. «Ein kleines Eingangstor kann man vergrössern, umgekehrt ist das komplizierter. Erweist sich die Mindestschwelle nach zwei bis drei Jahren als zu hoch, kann man sie neu aushandeln.» Die Kommentare an der Versammlung in Genf gingen ebenfalls in diese Richtung, mit dem Wunsch, die Funktionsweise des Förderinstru­ments nach den ersten Auszahlungen nochmals zu überdenken.

Internationaler Vergleich
«Die Schweiz ist das letzte Land, das diese Art von Finanzierungsinstrument einführt», sagt Matthias Bürcher. In der Ausarbeitungsphase wurden die Mechanismen in Deutschland und in Österreich geprüft. «Doch ein copy & paste bietet sich nicht an. Wir suchen Lösungen, die auf die Schweiz zugeschnitten sind», versichert Ivo Kummer, der immer darauf bedacht ist, den Besonderheiten der Schweiz Rechnung zu tragen. Francine Lusser dagegen ist sehr skeptisch und weist darauf hin, dass die FiSS «nur wenigen nützen wird, weil die Deutschschweizer Produktionsfirmen finanziell auf stärkeren Beinen stehen. Doch die nationalen Förderinstrumente sollten für alle zugänglich sein.» 

Es hätten auch andere, rein wirtschaftliche Instrumente eingeführt werden können, um mehr Produktionen in die Schweiz zu holen. Der Geschäftsleiter von Cinéforom berichtet über die Versuche, das Geld nicht aus dem Kulturtopf, sondern aus dem Wirtschaftstopf zu nehmen. «Das hat nicht funktioniert.» Theo­retisch sind die Vorteile gut erkennbar, die sich daraus für das Wirtschaftssekretariat, die Tourismusindustrie oder für Präsenz Schweiz ergeben hätten. Das Resultat ist nun ein Hybrid, ein Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Stimulierung und Kultursubvention. Nach Ansicht von Daniel Howald war die Diskussion alles in allem wenig transparent: «Wir spürten eine grosse Unsicherheit in Bezug auf die Funktionsweise des Instruments.» 

Die Standortförderung wird nicht aufgrund künstlerischer Kriterien gewährt. Das beunruhigt ihn, «weil sie in erster Linie die Produzenten und Projekte mit einem gewissen Grad an Swissness, die teuersten und die sichtbarsten Filme bevorzugt». Er hätte es vorgezogen, die Gelder zur Stärkung der selektiven Förderung einzusetzen. 

Als die vollständigen Zulassungsbedingungen vorgestellt werden, kommentiert jemand im Saal leicht ironisch, dass es schwierig sein werde, sechs Millionen Franken auszugeben. Doch bevor man die tatsächliche Wirksamkeit des Instruments beurteilen kann, muss es in die Praxis umgesetzt werden. Nun ist die Planung beendet und Ivo Kummer sagt zusammenfassend, es sei eine «sehr motivierende Erfahrung gewesen, dieses System mit der Branche auszuarbeiten und es auf politischer Ebene zu verteidigen, damit der Bundesrat es unterstützt und in diese Richtung weitergeht. Nun brauchen wir Resultate.»

Die Hoffnung der Filmtechniker
Wenn ein Film die Budgetschwelle erreicht und fünf Drehtage und 75 Prozent der Finanzierung in der Schweiz gesichert sind, kann ein Gesuch gestellt werden. Das ist eine starke Einschränkung, die aber nicht bedeutet, dass man Berge und Schafe filmen muss. Ein Atomschutzbunker, ein Flughafen, eine Wohnung oder ein Studio reichen vollends. Die ersten Nutzniesser der FiSS sollten eigentlich die Technikerinnen und Techniker sein, wenn man sich die Verwendung des Geldes vor Augen hält. Die geografische Einschränkung bewirkt Arbeit für alle Berufszweige sowie zusätzliche Hotelübernachtungen und eine dem Tourismus dienende Sichtbarkeit der Schweiz. 

Das Geld ist auch für die Postproduktionsbetriebe gedacht. Finanziert werden hier 40 und nicht 20 Prozent der anrechenbaren Kosten. Ein Beispiel: Pro 100 Franken, die unter den Budgetposten zwei bis sechs in der Schweiz ausgegeben werden, erhält die Produktion 20 Franken. Dieselbe Investition in die Postproduktion wird mit 40 Franken abgegolten. Damit werden die Auswirkungen des starken Frankens auf die Audiovisionsbetriebe in der Schweiz kompensiert, insbesondere heute, da ein Film problemlos irgendwo auf der Welt bearbeitet werden kann. «Ich hoffe, dass die Branche dazu angeregt wird, für das Editing nicht mehr nach Berlin, Paris oder Montreal auszuweichen», hofft Ivo Kummer. «Das ist schon lange ein Thema unter den Filmtechnikern», sagt Caterina Mona, Mitglied des Syndikats Film und Video. Sie hofft, dass mehr Dreharbeiten in der Schweiz stattfinden, statt sie wie jetzt ins Ausland zu verlagern, wie dies beispielsweise bei «Sils Maria» und «Chrieg» geschehen ist.

Ein wenig attraktives Förderinstrument? 
In Anerkennung all dieser Bemühungen beurteilt Gérard Ruey das Instrument dennoch als «wenig attraktiv» und befürchtet einen Aufbläheffekt: «Es besteht das Risiko, dass man ein Herstellungsbudget von 2,3 Millionen Franken auf 2,6 Millionen aufbläht, nur um die FiSS zu erhalten.» Ein Schwachpunkt, den auch der Produzent Jean-Marc Frohle von Point Prod’ bei der Präsentation des Instruments hervorhebt: «Die Offerten könnten nach oben angepasst werden.» Umso mehr, als die Anpassungen nach der Ausgabenkontrolle immer nach unten erfolgen, nie nach oben. 

Das von Fonction:Cinéma zitierte Fallbeispiel zeigt, dass «Sils Maria» die für eine FiSS erforderlichen Bedingungen erfüllt hätte. Das spreche für das Instrument, sagt Ivo Kummer. Er bedauert, dass  bei einem Film mit Schweizer Stoff die Dreharbeiten fast vollständig anderswo stattfanden. «Das ist in der Tat ein eklatantes Beispiel», doppelt Matthias Bürcher nach: «Der Film steht für die Schweiz, er wurde aber im Tirol produziert, das ein mit der FiSS vergleichbares Förderinstrument kennt und es offensiv anwendet, um Koproduktionen in die Region zu holen.» Hier treten die Schwierigkeiten klar zu Tage: Der Betrag, den die FiSS dem Film theoretisch hätte zuweisen können, scheint klein, verglichen mit dem, was das Tirol bietet. Für Matthias Bürcher nimmt die Angelegenheit fast eine ethische, ja symbolische Dimension an: «Eine Auslagerung der Dreharbeiten aus finanziellen Gründen kann einen Film auch zerreissen.»

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