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Treffpunkt: Sophie Bourdon

Adrien Kuenzy
07. April 2023

© Nikita Thévoz, Visions du Réel

Die neue Verantwortliche von Visions du Réel-Industry möchte den spontanen Austausch unter Fachleuten wie vor der Pandemie wieder ermöglichen und die Kreativität fördern. Ein Gespräch mit einer Vielbeschäftigten, die den Menschen immer in den Mittelpunkt stellt.

Wie fühlen Sie sich in Bezug auf Ihre erste Ausgabe von VdR-Industry?

Ich freue mich darauf, denn für mich hat Visions du Réel einen besonderen Charakter. Natürlich geht man hin, um Geschäfte zu machen, doch auch um die Kreativität anzuregen. An  Festivals und Märkten mit einer überschaubaren Grösse wie bei uns ist das möglich. Ich denke, bei Visions du Réel will man sich treffen und austauschen. Durch die Pandemie wurde alles zu sehr strukturiert und formatiert, ohne dass ein  wirklicher Austausch möglich war. In unseren Workshops stellt sich für alle Filmschaffenden die gleiche grundlegende Frage : Wieso machst du das alles? Ich möchte einfach Räume schaffen und Horizonte erweitern, wenn möglich auf organische Weise.

 

Sie organisieren zahlreiche Treffen, darunter auch individuelle, insbesondere im Rahmen des VdR-Pitching. Ist es einfach, gezielt die richtigen Leute zusammenzuführen?

Da gibt es kein Patentrezept, denn jeder Film ist ein Prototyp. Darin liegt genau die Magie. Seitens der Industrie versuchen wir, durch gründliche Vorarbeit ein durchdachtes und sinnvolles «Matchmaking» zu betreiben. Es kann Jahre dauern, die richtigen Beziehungen zu knüpfen, dafür hält eine Zusammenarbeit oft lange. Das finde ich sehr wichtig, insbesondere bei unabhängigen Filmproduktionen, bei denen die Filmschaffenden in kleinen Gruppen mehr wagen.

 

Was bringt dieses Networking konkret?

Es ebnet den Weg für Partnerschaften mittels konkreter Verträge zwischen den Projektverantwortlichen und den verschiedenen Akteuren und Akteurinnen des internationalen Marktes. Unser VdR-«Work in Progress» ist ein gutes Beispiel dafür: Dort können potenzielle Partner und Partnerinnen sich Filmsequenzen ansehen, um sich ein konkretes Bild des künstlerischen Ansatzes zu machen. Manchmal fehlen für die Fertigstellung noch spezifische  technische Dienstleister oder auch Koproduktionspartner. In diesem Stadium können auch Vertriebsagenten oder Programmverantwortliche von Festivals an den Treffen teilnehmen. Wir wählen stets nur wenige Projekte aus, um tatsächlich etwas bewirken zu können.

 

Eine Neuheit ist der «Talent Day», der im Zeichen der Nachwuchstalente steht. Wie ergänzt dieser Tag das «Opening Scenes Lab»?

Ziel des «Talent Day» ist es, die jungen Filmschaffenden, die an den Labs teilnehmen, gezielter mit den anwesenden Fachleuten zusammenzubringen. Käufer und Käuferinnen wenden sich als Erstes dem zu, was sie klar einordnen können, das ist normal. Wir haben jedoch rund vierzig vielversprechende Nachwuchstalente aus aller Welt, die an unseren Workshops teilnehmen. Sie sollen die Fachleute in einem entspannteren Rahmen kennenlernen können, der den Austausch fördert.

 

Im Rahmen des Programms «Switzerland Meets...» treffen dieses Jahr Schweizer Filmschaffende auf Berufskollegen und -kolleginnen aus den Benelux-Staaten. Was für Chancen bieten solche Begegnungen?

Ich denke, dass wir Koproduktionen oft aus einer sehr technischen Perspektive betrachten, und es gibt gewisse Automatismen, durch die sich die Produzenten und Produzentinnen eingeschränkt fühlen können. Ziel dieser Begegnungen ist es, Grenzen zu verschieben und neue Ideen zu fördern, auch in Bezug auf die Finanzierung und den Vertrieb. Fachleute in diesem Bereich sind oft sehr kompetent in technischen Fragen, doch sie vertrauen zu wenig auf ihre Kreativität, obwohl sie wahre Wunder bewirken kann.

 

Das VdR-«Development Lab», das Filmschaffende aus Afrika, Asien, Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Osteuropa durch ein Mentoringprogramm unterstützen soll, wird nach einer eher unspektakulären ersten Ausgabe auch dieses Jahr wieder durchgeführt. Was erhoffen Sie sich davon?

In der Schweiz haben wir ein öffentliches Finanzierungssystem, doch das ist nicht überall so. Das «Development Lab» soll Filmschaffenden anderer Kontinente die Gelegenheit geben, sich mit den Besonderheiten des internationalen Marktes vertraut zu machen,  ihnen den Zugang dazu erleichtern und entsprechend die Erfolgschancen ihres Projekts erhöhen. Wir begleiten sie neun Monate lang, online und im Rahmen eines fünftägigen Workshops vor Ort. Man hört oft, die Filmbranche sei inklusiv und alle erhielten ihre Chance, doch das stimmt nicht. Wir möchten eine Plattform bieten, die den Austausch fördert und Projekten in der Entwicklungsphase neue Impulse zu geben vermag. Durch gezielte Informationen soll ein besseres Verständnis entstehen, wie Käufer und Käuferinnen sowie Entscheidungsträger und -trägerinnen auf dem internationalen Markt ein Projekt betrachten. Schlussendlich muss das Projekt überzeugen, und wir möchten den Künstlern und Künstlerinnen helfen, gewisse Hürden zu überwinden, ohne dabei ihre Aussage zu verfälschen.

 

Worauf muss man achten, um die Essenz eines Projekts nicht zu verfälschen?

Respekt ist grundsätzlich das Wichtigste, auf allen Ebenen. Die Filmschaffenden haben ihre persönliche Vorstellung von ihrem Land, die von unserer westlichen Sichtweise abweichen kann. Wir sind immer so respektvoll wie möglich, doch da wir die Fallstricke der internationalen Szene kennen, weisen wir auf gewisse kritische Punkte hin, insbesondere in Bezug auf aktuelle politische Konflikte.

 

Wie haben Sie die fünf Projekte ausgewählt? Gibt es bestimmte Kriterien?

Wir wählen in erster Linie Projekte aus, die  über einen einzigartigen künstlerischen Ansatz und eine starke Aussage, in sozialer oder politischer Hinsicht, verfügen. Dieses Jahr möchte die libanesische Filmemacherin Corine Shawi den Hybridfilm «Just Like a Dream» entwickeln, mit technisch sehr komplexen Animationssequenzen. Alle Projekte sind Erstlingswerke oder Projekte, mit denen der Regisseur oder die Regisseurin Neues wagt.

 

Dieses Lab wird von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA unterstützt, die wiederum Teil des EDA ist. Hat sie ein Mitspracherecht?

Nein, wir sind absolut frei. Die Behörde gibt uns die Mittel, um die Infrastruktur für eine individuelle Begleitung während eines Jahres zu schaffen. Wir möchten zur kollektiven Vernetzung in diesen Regionen beitragen, oft in Zusammenarbeit mit den Aussenstellen der DEZA, und den Austausch unter den Regionen fördern. Mittel- und langfristig hoffen wir, so zur Stärkung der unabhängigen Filmszene in diesen Ländern beizutragen.

Biografie

1964 Geburt auf den Champs-Élysées «Glamourös, nicht wahr?! Ich hatte es eilig, zur Welt zu kommen!»

1970 Erstes prägendes Kinoerlebnis mit «Es war einmal» (1946)

1984 Unfall, Ende der sportlichen Laufbahn und Entdeckung der Filme von Jean Rouch

1987 Studienabschluss in anglo-amerikanische Studien und Filmwissenschaften an der Universität Paris X und der CSUF (USA)

1988 Zusammenarbeit mit dem Team des Splendid, Debüt als Produzentin («Une Époque Formidable»)

1991 Tätigkeit im internationalen Vertrieb bei Flach Film/Mercure Distribution (Agnès Varda, Maurice Pialat, Manoel de Oliveira)

1994 Einstieg bei MK2. Zusammenarbeit mit Claude Chabrol, Krzystof Kieslowski, Abbas Kiarostami, Mohsen Makhmalbaf, Michael Haneke.

2000 Ernennung zur Leiterin des Verbands ACE in Paris. Einsatz für die Begleitung von Projekten in Enwicklung auf der ganzen Welt und Gründung des internationalen Netzwerks von ACE Producers.

2011 Umzug in die Schweiz. Beginn der Zusammenarbeit mit FOCAL und dem Locarno Film Festival.

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