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Sisyphus im Overall


19. Mai 2016

Es gibt Künstler, die schon fast vergessen sind, bevor die Nachricht ihres überraschenden Todes die Medien erreicht. Mit der Meldung, dass sie eben noch unter uns waren, erwacht ihr Werk und wird als Wiederentdeckung gefeiert.

Der Filmemacher Klaus Lutz verstarb am 9. September 2009 kurz vor seiner Abreise ans Toronto Film Festival, wo zwei Tage später seine abenteuerliche Weltraum-Odyssee «Titan» vorgeführt werden sollte. Die NZZ gab den Tod des Künstlers mit einer Agenturmeldung bekannt. Seither wurde und wird Klaus Lutz’ Werk rezipiert als Schatz eines Individualisten, der sauf erreur nie im Kunstmarkt angekommen war.
Ein Zeichen der Fügung: Klaus Lutz’ künstlerisches Schaffen ist von den frühen Druckgrafiken an mit dem vielleicht bekanntesten wiederentdeckten Schweizer, dem Literaten Robert Walser, verbunden. 1973 entwirft er auf der Basis von dessen Erzählung «Das Ende der Welt» ein Bilderbuch mit kleinformatigen Kaltnadelradierungen. Später wird er in «Caveman Lecture» (2002) erneut auf den Dichter referieren: in einer intensiven visuellen Auseinandersetzung mit dem Text «Der Höhlenmensch».
Wie Walser, der seine Dichtkunst in kryptischen Mikrogrammen zu Papier brachte, entwickelt Klaus Lutz seine eigene Kunstsprache, die sich im Lauf der 1980er Jahre immer häufiger als Stummfilm artikuliert. Oft sehen wir darin einen Sisyphus im weissen Overall, der mit seltsamen Utensilien hantiert. So etwa einer Farbe spendenden Sexpuppe, die im gleichnamigen Filmexperi­ment den Satz Helvetia und Wilhelm Tell auf einen schwarzen Hintergrund notiert. Ist es die Selbstironie des Pädagogen Lutz, wenn dabei nachträglich ein Schreibfehler korrigiert wird? Oder die düstere Vision eines Landes, das seit dem Tellschuss selbst den Narren zum Perfektionismus drängt? Zwei Jahre später, 1992, zieht Klaus Lutz mit einem Atelierstipendium von Zürich nach New York. Bis zu seinem Tod wird Manhatten seine Wahlheimat bleiben.

Eine Insel in New York
In New York mietet der Künstler eine 16 m2 kleine Atelierwohnung – oder besser gesagt: ein Wohnatelier. Denn wie in Frank Matters Dokumentarfilm «The Beauty of My Island. Shooting Klaus Lutz» (1999) zu sehen ist, lagern hier im Kühlschrank Glühbirnen und im Küchenschaft 16mm-Filmrollen. Von einem Künstler und Menschen in seiner «totalen Reziprozität» berichtet die Journalistin Daniele Muscionico. Von einem «Protagonisten seiner selbst» die Kuratorin Claudia Jolles. Doch wie könnte einer dabei nicht wahnsinnig und seine Kunst nicht selbstreferenziell werden?
Die Antwort liegt in der strikten Trennung von Inhalt und Form – die lässt sich selbst dann verteidigen, wenn Leben und Kunst eins geworden sind. Klaus Lutz exerziert das Prinzip in seinen Filmen unermüdlich durch. Seine Figuren sind ein mit Übergewand bekleideter Performer (er selbst) sowie Strichmännchen, die in Rollen schlüpfen. Wir bestaunen sie als Ballonfahrer, Titanen, Astronauten, wir sehen sie durch kosmische Landschaften taumeln. Da wird ein Männchen von einer Hand erdrückt und dadurch verfünffacht. Es sind einsame, umtriebige Gestalten, die eine Sisyphus-Arbeit verrichten. Doch der Walsersche «Bearbeitungswille des Nihil» (Jürg Laederach) lässt sie demütig und geduldig weitermachen. Denn sie wissen: nie darf ein Zeichen werden, was es meint. Und so lange sie werkeln und Dinge herumschieben, so lange sie marschieren, sind sie sicher vor Irrsinn und Pathos.

Velofahrten mit der Kamera
Zwölf Stummfilm-Experimente zwischen fünf und 29 Minuten realisiert Klaus Lutz im New Yorker Exil. Die Titel «Acrobatics» (1996), «Meteor Lecture» (1998) oder «Titan» (2008) zeugen von der Faszination des Künstlers fürs Allumfassende. Aber es ist auch eine Achtsamkeit den unbedeutenden Dingen gegenüber zu erkennen: «Between the Blocks» (1997), «The Beauty of My Island» (1999), «Wanderlust» (2001). Frank Matters Making-Of zeigt, wie Klaus Lutz eine 16mm-Kamera auf sein Fahrrad montiert und damit durch die Nachbarschaft fährt. Ein Alltags- und Realbezug ist auch im Werk des Künstlers sichtbar.
Zeitlebens arbeitete Klaus Lutz mit analogen Techniken wie der Filmcollage. Nicht aus Anachronismus, sondern aus artistischem Prinzip, denn nur so konnte er seine mehrdimensionalen Bildräume öffnen. Vorgeführt hat er seine Filme meist im Rahmen einer Performance, wobei diese – eine Referenz auf seine emsigen weissen Männchen? – im Loop auf Ballon-Installationen projiziert wurden.

Seit der Künstler 2009 unerwartet starb, kümmert sich der «Verein für die Erhaltung des Werks von Klaus Lutz» um dessen Nachlass. Dazu zählt auch ein letzter, unvollendeter Film mit dem Titel «Viva Achille». Dem Verein ist es zu verdanken, dass sein Oeuvre heute neu – und für viele zum ersten Mal überhaupt – besichtigt werden kann. Es hat sein Gutes, dass die Jagd nach jungen Talenten gelegentlich durch eine Wiederentdeckung unterbrochen wird.

Das Festival «Bildrausch» zeigte am 28. Mai Arbeiten von Klaus Lutz (www.bildrausch-basel.ch)

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