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Wenn alles stillsteht

Kathrin Halter
14. Mai 2020

Felix Tissi auf dem Set seines neuen Spielfilms «Aller Tage Abend», dessen Dreharbeiten Mitte März abgebrochen werden mussten. Bild: Peacock Film

Wegen des Lockdowns sind viele Dreharbeiten unterbrochen oder verschoben worden. Das bedeutet Mehrkosten, aber nicht nur. Eine Produzentin und ein Regisseur erzählen.

Wir freuen uns schon darauf, wenn das öffentliche Leben am 11. Mai wieder auflebt, wenn Schulen, Restaurants und Geschäfte öffnen. Da Versammlungen von über fünf Personen aber weiterhin nicht erlaubt sind, bleiben Dreharbeiten in den meisten Fällen illusorisch – ausser für Dokumentarfilme aus der Schweiz mit kleiner Crew und andere Kleinformationen. Für Filmprojekte, die im März abgebrochen oder verschoben werden mussten, gilt weiterhin: Corona Times. Abwarten, umdisponieren. Und den Schaden begrenzen, den unterbrochene Dreharbeiten verursacht haben.

So ergeht es gerade der Produzentin Elena Pedrazzoli von Peacock Film mit «Aller Tage Abend». Von den Dreharbeiten zum Spielfilm von Felix Tissi fehlen noch 15 von insgesamt 27 Drehtagen, am 15. März war nach zwölf Drehtagen Schluss. Das war jener Tag, an dem dreissig Statisten für eine Innenszene (mit vielen Rauchern) aufgeboten waren; kurz zuvor wurden Versammlungen von mehr als 50 Leuten verboten.

Und nun? «Aller Tage Abend», «eine wunderliche Mär über das Alter und seine Bewohner», wie Drehbuchautor und Regisseur Felix Tissi sein Projekt umschreibt, ist ein Ensemblefilm mit vorwiegend älteren Darstellern und Locations vorwiegend in Bern und Umgebung. Die Szenerie sei relativ aufwändig, so Elena Pedrazzoli, da das Dekor die Figuren mit definiere; da wurde nach den Vorstellungen des Autors ein eigenes kleines Universum kreiert, eine Art zeitloses Ambiente mit Tapeten, Wandtelefon (keine Handys!), einem ganz eigenen Look.

Nun musste die während Wochen vorbereitete Ausstattung eingelagert und das Licht zurückgebaut werden, teils vor Ort, teils in Zürich; dafür haben etwa zehn Leute fünf Tage gearbeitet. Die Produktionsbasis wurde abgebrochen, nur das Basislager der Ausstattung wird bis auf weiteres beibehalten. Mehrkosten entstanden auch durch bereits bezahlte Mieten, wobei die Vermieter unterschiedlich kulant waren: Hotels zum Beispiel haben nichts verrechnet, Wohnungsvermieter sehr wohl.

Probleme beim Umdisponieren bereitet die zukünftige Verfügbarkeit von Locations: Das alte Haus zum Beispiel, in dem hauptsächlich gedreht wurde, steht im Herbst wahrscheinlich nicht mehr zur Verfügung, genauso wie das Basislager, wofür die Miete bis Ende April bereits bezahlt ist. 

Wie für andere Produzentinnen hängt für Pedrazzoli nun vieles davon ab, ab wann es wieder losgehen kann. Da Tissis Film im Winter spielt, können die Dreharbeiten erst Mitte November weiterlaufen. Das ist immerhin ein Anhaltspunkt. Auf keinen Fall will man aber die Innenszenen vorziehen, da der ganze Aufbau sonst zweimal gemacht werden müsste.

Sorgen bereitet Pedrazzoli die Verfügbarkeit von älteren Darstellern, die zur Risikogruppe zählen sowie von Crew-Mitgliedern, weil mit einem Stau von Dreharbeiten gerechnet werden muss, je länger der Lockdown dauert.

 

Hilfe im Dschungel der Covid-Massnahmen

Und wie ist bisher die Suche nach Entschädigungen verlaufen? Insgesamt fand es die Produzentin in den letzten Wochen kompliziert, sich im Gewirr der verschiedenen Verordnungen und Töpfe zurechtzufinden. Als Co-Präsidentin von GARP und als Mitglied einer Taskforce von Produzenten hört sie das auch von vielen anderen Kolleginnen und Kollegen. Immerhin sei die Situation inzwischen klarer, seit Gesuche für einen Beitrag an die Mehrkosten bei den Kulturämtern der Kantone eingeben werden können.

Für nicht budgetierte Zusatzkosten von rund 80ʼ000 bis 100ʼ000 Franken (bei einem Gesamtbudget von 1,7 Millionen Franken) wird die Produzentin bei der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich einen Antrag stellen.

Während die Firma Peacock für ihre Festangestellten Antrag für Kurzarbeit gestellt hat, ist die Situation für Techniker und andere Mitarbeiter mit befristetem Vertrag komplizierter. Zum einen hält man sich an die  Vereinbarung, die die Produzentenverbände mit dem ssfv ausgehandelt haben. Demnach werden die Verträge (wegen «höherer Gewalt») sistiert, bis die Arbeit wiederaufgenommen wird. Das bedeutet umgekehrt, dass die Mitarbeiter ein Recht auf eine Wiederanstellung besitzen, wenn es weitergeht.  Unklar ist hingegen manchmal, ob Mitarbeiter mit befristeten Verträgen stempeln können oder Kurzarbeit beantragen müssen. Die Arbeitslosenkassen hätten teilweise dazu gedrängt, dass anstelle von Arbeitslosigkeit Kurzarbeit beantragt wird. (Eine Einsprache gegen eine derartige Verfügung wurde gutgeheissen, so dass die TechnikerInnen nun doch von den Arbeitslosenkassen akzeptiert werden sollten.) Hinzu kommen kantonale Unterschiede in der Behandlung.

 

Der Fall «Schwarze Spinne»

Weniger kompliziert als ein Unterbruch von Dreharbeiten ist die Verschiebung. Die Maschinerie einer Filmproduktion ist noch nicht angelaufen, die Verpflichtungen sind noch überschaubar. Trotzdem kann es auch da schnell ins Geld gehen – vor allem bei hohen Produktionsbudets.

Regisseur Markus Fischer und Produzentin Judith Lichtneckert (Snakefilm) erleben das gerade mit «Die schwarze Spinne». Drehbeginn des historischen Films war geplant auf den 18. Mai. Da diese Schweizer Produktion mit einem Budget von rund 4,5 Millionen vor allem in Ungarn gedreht werden soll, wartet man nun sehnlichst auf die Öffnung der Grenzen. Die Zeit drängt, denn das Setting auf einem Studiogelände bei Budapest steht nur begrenzt zur Verfügung.

Weshalb aber soll der Schweizer Stoff überhaupt in Ungarn verfilmt werden und nicht im Emmental? Das war zunächst so geplant, da die Filmförderung des Kantons Bern (anders als BAK, Filmstiftung oder SRG) das Gotthelf-Projekt aber ablehnte, war es finanziell nicht möglich, im Emmental ein mittelalterliches Bauerndorf im Stil des 13. Jahrhundert zu bauen; ein solches Studio­dorf, einst für eine englische Netflix-Serie gebaut, fand man schliesslich in Budapest. Snakefilm arbeitet mit der Lakoon-Filmgroup zusammen – eine Service-Produktion, die auch einen Teil des Filmteams stellt. Hauptdarsteller und künstlerische Crew stammen jedoch aus der Schweiz.

 

Warten auf die Öffnung der Grenzen

Inzwischen sind die Verträge sistiert worden; von der Firma wurde Antrag für Kurzarbeit gestellt. Vom Bund hat man einen rückzahlbaren Covid-19-Kredit zur Überbrückung erhalten, ausserdem wird ein Antrag auf Nachfinanzierung gestellt. Mehrkosten entstehen durch geleistete Anzahlungen, Reservationskosten für Studios, Kosten der Vorproduktion in Ungarn sowie für bereits geleistete Arbeitsstunden von Crewmitgliedern. Mittlerweile sieht es sogar danach aus, als ob in Ungarn noch ein Studiowechsel mit weiteren Umbauten nötig wird, was die Mehrkosten auf bis zu (aktuell geschätzte) 450ʼ000 Euro erhöht. Zumindest hatte Snakefilm Glück im Unglück, da man von Corona noch während der Vorbereitungen überrascht wurde.

Falls die Dreharbeiten in diesem Jahr nicht mehr möglich sind, müsste um ein Jahr auf Frühsommer 2021 verschoben werden. Das wäre ein Worst-Case-Szenario, weil dann wegen Sperrterminen von Crewmitgliedern und Schauspielern vermutlich umbesetzt werden müsste.

«Wir sind alle in einem grossen Ratespiel», so Markus Fischer. Der Film ist ausfinanziert, alle sind bereit und möchten loslegen – die bange Frage ist bloss: wann.

 

▶  Originaltext: Deutsch

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