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Schweizer Filme im Studio

Teresa Vena
07. April 2023

Setbau von «Die Nachbarn von oben» © Peter Demmer

Kinofilme werden in der Schweiz nur selten im Studio gedreht, und es steht auch keine solche Infrastruktur zur Verfügung. Was sagt die Erfahrung der Autoren und Autorinnen, die es dennoch versucht haben?

Seit seinem Kinostart Anfang Februar hat Sabine Boss’ Film «Die Nachbarn von oben» – eine Neuinterpretation der spanischen romantischen Komödie von Regisseur Cesc Gay – die 50’000-Besucher-Marke erreicht. Was den Anschein erweckt, in einer einzigen Altbauwohnung gedreht worden zu sein, ist im Studio entstanden.

Dafür suchte die Produktionsfirma Ascot Elite nach einer leerstehenden Halle, die man in Samstagern (Kanton Zürich) zur Zwischennutzung dann auch fand. «Ein Fernsehstudio wäre zu klein gewesen», erklärt Sabine Boss. Fortwährend benutzbare, professionell ausgestattete Filmstudios stehen in der Schweiz nicht zur Verfügung. In der besagten 3’200 Quadratmeter grossen Halle hatte man genügend Abstand von allen Seiten der Bauten, um das Set optimal auszuleuchten. Das Set selbst war 250 Quadratmeter gross, mit einem Umlauf von jeweils sieben Metern.

Auch die Raumhöhe der Halle war entsprechend wichtig, berichtet Kameramann Pietro Zürcher, da das Set auf einem 120 cm-hohen Podest gebaut wurde, um die Illusion einer Wohnung im Stockwerk zu ermöglichen, und zum anderen wiederum, um die optimalen Konditionen fürs Licht herzustellen. «Um einen schnellen Ablauf während des Drehs zu gewährleisten, brauchte es Unmengen von Licht. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, war ein möglichst effizienter Einsatz der Scheinwerfer mit dem Anspruch einer schönen Bildgestaltung eine knifflige Sache», erinnert sich Oberbeleuchter Peter Demmer. 

 

 

«Der grosse Vorteil des Studio-Drehs war es, das Licht zu kontrollieren. Gerade bei einem Film, der lediglich an zwei Tagen und hauptsächlich in zwei Wohnungen spielt, war dies von Vorteil», sagt Ramon Zürcher, der zusammen mit seinem Bruder Silvan «Das Mädchen und die Spinne» fast komplett in einer Studiosituation herstellte. Der Aufbau eines Studios ermöglicht es, sich auch andere optimale Bedingungen zu schaffen. «Um immer eine gute Perspektive zu bekommen, haben wir den Bühnenbildner gebeten, viele Türen zwischen den Zimmern einzubauen, mehr als man in einer echten Wohnung finden würde. Die Einrichtung kann bis ins kleinste Detail gewählt werden. Die Gegenstände, die Farben der Wände, die Tapeten, die Lampen an den Wänden – in einer realen Wohnung muss man oft das nehmen, was man vorfindet, zumindest teilweise», erzählt Pietro Zürcher von der Arbeit bei «Die Nachbarn von oben».

Der Ton ist in einer Halle allerdings eine Herausforderung. «In der kleinen aufgebauten Gefängniszelle sollte es nicht klingen wie in einer grossen Halle. So mussten bei uns viele Molton-Bahnen gehängt werden, die den Hall schlucken», schildert Regisseur Johannes Hartmann seine Erfahrung bei «Mad Heidi».

Für ihn war dies aber ein kleiner Nachteil im Vergleich zu den Vorteilen des Studiodrehs. «Es ist natürlich viel entspannter, im Studio zu drehen, weil man nicht von dieser extremen Logistik abgelenkt wird», sagt er. Es lasse sich alles viel besser kontrollieren, meint auch Ramon Zürcher, der gemeinsam mit seinem Bruder Silvan «Das Mädchen und die Spinne» fast komplett in einer Studiosituation herstellte. «Zudem konnte mühsame Lärmbelastung minimiert werden, was an Originalschauplätzen oft drehverzögernde Konsequenzen hat.»

 

Vorteile des Studios

Das Gleiche gilt für die Nutzung zusätzlicher Räume. Aline Schmid, Produzentin bei Beauvoir und der Zürcher-Brüder, lobt in der ehemaligen Gurtenbrauerei in Bern-Wabern die Möglichkeit, Räume für Kostüm, Maske, Verpflegung oder den allgemeinen Aufenthalt zur Verfügung zu haben. Das erlaube eine grössere Konzentration und damit eine grössere Effizienz. Die Drehtage verkürzten sich, davon ist auch Boss überzeugt. Dies ist natürlich nur der Fall, wenn es nicht zu Komplikationen wie bei der Produktion von «Cargo» kommt. Regisseur Ivan Engler berichtet, dass die Halle auf dem Sulzer-Areal in Winterthur, die er für seinen Science-Fiction-Film nutzte, nicht die erforderliche Bodenbelastung aufwies, was einer baulichen Anpassung bedurfte. Das hatte Auswirkungen auf das Gesamtbudget, der Film musste nachfinanziert werden, was die Produktion verzögerte. Auch war die logistische Situation nicht optimal, weil der Warenlift nachgerüstet und mehrere Dieselaggregate zum Heizen organisiert werden mussten.

 

Ein Filmstudio für die Schweiz

Hätte es sich also vielleicht doch gelohnt, in einem bestehenden Studio im Ausland zu drehen? Oder sollte die Schweiz sich gar eine eigene Infrastruktur leisten? Ohne Koproduktionspartner dränge sich eine Herstellung im Ausland nicht auf, ist der allgemeine Tenor. Hartmann meint: «Für «Mad Heidi» haben wir uns auch überlegt, ob wir in Bulgarien drehen wollen, weil es halt viel günstiger ist. Wir sind dann aber zum Schluss gekommen, dass wir in der Schweiz drehen müssen, weil wir hier eine Crew haben, die mit viel mehr Herzblut dabei ist.» Dazu kommt, dass Teile der zugesprochenen Fördersumme vielfach regional eingesetzt werden müssen, sodass bei «Das Mädchen und die Spinne» beispielsweise die besagte Halle zwangsläufig im Kanton Bern stehen musste. Die regionale Zersplitterung der Förderinstanzen würde es demgemäss auch schwierig machen, einen Standort für ein gesamtschweizerisch nutzbares Filmstudio zu wählen.

Wie sieht die ökologische Bilanz eines temporären Studios aus? Da es in der Schweiz weder Studios noch einen Fundus für Requisiten oder Kostüme gibt, ist es allgemeine Praxis, nach dem Dreh viel Material zu entsorgen. Bei «Die Nachbarn von oben» geht man von ungefähr 70% weggeworfenen Materials aus. Gewisse Bauelemente wie Fenster und Türen können wiederverwendet werden, andere nicht, auch weil sie beispielsweise mit spezieller Farbe behandelt und damit zu Sonderabfall wurden. Ein professionell ausgestattetes Filmstudio mit anpassbaren Modulen würde hier mit Sicherheit eine ausgewogenere Umweltbilanz bieten. Ein grundsätzlicher Vorteil des Drehs im Studio, ob temporär oder institutionalisiert, ist, dass sich CO2-Emissionen, die durch das Aufsuchen von Originalschauplätzen entstehen würden, vermeiden lassen.

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