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«Es ist stimulierend, sich Fragen zum Zielpublikum zu stellen»


30. Oktober 2015

Leur rapport avec la SSR SRG, les réalités du marché suisse et leurs envies ; les deux Genevois racontent l'aventure « Station Horizon » qui fera bientôt son apparition sur les télévisions suisses-alémaniques.

Die beiden Genfer Romain Graf und Pierre-Adrian Irlé über ihr Verhältnis zur SRG SSR, den Schweizermarkt, ihre Interessen und die Serie «Station Horizon», die bald auch auf SRF ausgestrahlt wird. 
 

Das Gespräch führte Winnie Covo
 

Die SRG ist Ihr wichtigster Kunde und die einzige Möglichkeit in der Schweiz, fürs öffentliche Fernsehen zu produzieren. Bereitet Ihnen das manchmal Schwierigkeiten?

Pierre-Adrian Irlé: Die Monopolstellung der SRG macht sie zu einem wichtigen Kunden für unsere unabhängige Firma, wodurch eine sehr starke Bindung entsteht. Man darf keine Firma aufbauen, Projekte aufgleisen und sich nachher beklagen, man habe nur einen einzigen Partner. Denn so sind die Spielregeln in unserem Land.
Zum einen liegt es an uns, ihre Nachfrage zu befriedigen und Vorschläge zu machen. Zum anderen muss die SRG ihre Sendegefässe für die unabhängige Produktion öffnen. Man kann wirtschaftlich effizient und konkurrenzfähig produzieren. Und man kann nebst der Fiktion und dem Dokumentarfilm noch weitere Gefässe bespielen.

Romain Graf: Die SRG hat in der Tat eine Monopolstellung und somit keine wirkliche Konkurrenz. In der Schweiz ist das Publikum beschränkt: Es zählt 8 Millionen, davon 2 Millionen in der Romandie. Die Privatsender wollen nicht auf diesen Markt. Er ist ihnen schlicht zu klein. Dessen sollte man sich bewusst sein, denn es besteht die Tendenz, die Qualität der Programme zu kritisieren und dabei zu vergessen, wie sie entstehen. Die SRG wird im Grossen und Ganzen von der Bevölkerung finanziert und hat den Auftrag, im Dienste aller zu stehen. Das ist ganz normal. Ich erwarte nicht, dass ein Service public nur eine dünne Bevölkerungsschicht zufriedenstellt, indem er die grösste Tranche des Budgets in Programme investiert, die nur wenige Zuschauer vor den Bildschirm locken.

Ein Programm für die RTS zu gestalten, bedeutet, die Nachfrage einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu befriedigen. Ist das nicht einschränkend, wenn man seine Projekte exportieren möchte?

RG: Man sollte schon beim Projektkonzept «lokal» denken. Das ist der beste Ansatz, um einen spezifischen Inhalt zu schaffen, der ein breites Publikum anspricht. Die Leute tauchen gern in eine Kultur, in ein Land ein. «Station Horizon» wurde vor einem lokalen Hintergrund konzipiert. Heute zeigt sich, dass die Serie exportiert werden könnte. Vielleicht nicht für eine Ausstrahlung zur Primetime. Doch das trifft auf die meisten Serien ausserhalb ihrer Landesgrenzen zu.

PAI: In den letzten zehn Jahren sind zahllose Fernsehkanäle entstanden, insbesondere auf TNT. Diese sind stark segmentiert. Einige spezialisieren sich auf internationale Serien und wählen die besten Produkte aus jedem Land. In der Schweiz haben wir eine Serie zur Primetime. Grundsätzlich können wir damit rechnen, damit auch in Frankreich, Deutschland und Österreich ein grosses Publikum zu erreichen. Denn sie stehen uns kulturell nahe. Natürlich wäre ein Verkauf in die USA an einen kleinen spezialisierten Pay-TV-Kanal ein sehr reizvolles Unterfangen!

Sie beide tragen drei Hüte: den des Autors, des Regisseurs und des Produzenten. Wie teilen Sie in Ihrer Produktionsfirma die Zeit auf zwischen eigenen Projekten und Vorschlägen Dritter?

RG: Das nennt man Organisation! Sechs Monate vor den Dreh­arbeiten für «Station Horizon» steckten wir mitten im Dreh für «Break Ups». Unsere Arbeit für «Station Horizon» rückte in den Hintergrund, während Léo Maillard, der dritte Autor, von Tag zu Tag weiterarbeitete. Pierre-Adrian kümmerte sich um den Anfang der Produktion «Station Horizon» und ich um die Dreharbeiten von «Break Ups». So teilten wir die Arbeit untereinander auf. Wir arbeiten also Hand in Hand. Die einzelnen Aufgaben sind nicht fix abgegrenzt. Wenn wir nicht selbst als Autoren auftreten, begleiten wir die Projekte, die wir produzieren, auch künstlerisch. So funktionieren wir – der Dialog ist für uns wichtig.

PAI: Wir sind Produzenten, die Erfahrungen als Autoren mitbringen. Wenn ich über «Station Horizon», «Break Ups», «All That Remains» und die Kurzfilme Buch führe, so hat Jump Cut in weniger als fünf Jahren fast zehn Stunden Spielfilm produziert. Bei den meisten Projekten wirkten wir auch redaktionell mit. Das legitimiert uns auch gegenüber den Autoren, deren Projekte wir produzieren.

Ziehen Sie automatisch den Produzentenhut an, wenn es um den kreativen Schaffensprozess geht? Denken Sie gleich an die Rahmenbedingungen?

PAI: Wir arbeiten gern mit Einschränkungen. Es ist extrem stimulierend, sich Fragen zur Produktion, zur Redaktion, zum Zielpublikum und so weiter zu stellen. Das ist auch grundlegend für die Suche nach unserem Publikum.

RG: Das Zielpublikum steht sowieso immer im Zentrum unserer Arbeit. Es hat in unseren Überlegungen Vorrang. Müssen wir etwas Verrücktes in unser Drehbuch einbauen, dann machen wir das. Für die Drehvorbereitungen optimieren wir unsere Ressourcen, damit unsere Vorstellungen bestmöglich umgesetzt werden können. Mit anderen Worten: Wir können zwei Hüte tragen, wenn nötig.

Wie begann das Abenteuer «Station Horizon»?

RG : Wir nahmen Anfang 2013 an einer Ausschreibung der SRG teil. Als Erstes analysierten wir die Sendungen, die auf RTS eine gute Resonanz haben wie beispielsweise «Passe-moi les jumelles» und «Bye Bye la Suisse». Wir merkten schnell, dass diese Sendungen im Wesentlichen mit Realitätsflucht («évasion») zu tun haben. Da wir wussten, dass wir unsere Serie in der Schweiz produzieren würden, machten wir uns Überlegungen zu «Eskapismus in der Schweiz» («L’évasion en Suisse»). Und so stiessen wir auf die Amerika-Fans, die Yann Gross fotografiert hat. Diese ganz gewöhnlichen Menschen, die von Amerika träumen. Wir schufen also diese Gemeinschaft von Personen, die den Geist der Route 66 leben, mit all ihren Codes. Allerdings in ihrer gewohnten Umgebung.

PAI: Das Projekt ergab sich nach einer detaillierten Analyse der Sendepläne. Was schauen sich die Leute wann an? Weshalb funktioniert das? Gibt es gemeinsame Nenner? Wir haben einen gefunden: Die Realitätsflucht in der Schweiz. Wir übernahmen dieses Konzept und entschieden uns, es in eine Fiktion einzubinden. Wir wachten nicht plötzlich nachts auf und beschlossen, eine Serie darüber zu machen! Vielmehr analysierten wir das Programmschema, um unser Fenster zu finden.

Wie viel Geld wurde in die Serie investiert?

PAI: Alles in allem ungefähr 650ʼ000 Franken pro Episode. Das ist normal. Eine TV-Spielfilmserie kostet in der Schweiz rund 13ʼ000 Franken pro Minute. In Frankreich liegt man bei Serien für die Primetime selten unter 800ʼ000 Euros pro Episode. Der Mittelwert für Europa nähert sich der Grenze von einer Million Euro pro Sendung. In der Schweiz verfügen wir über etwas mehr als die Hälfte. Das reicht, um gute Qualität zu produzieren. Die Kosten für eine Serie ergeben sich dadurch, dass wir pro Tag viele Minuten produzieren (6 bis 8 verwendete Minuten pro Tag !). Wir müssen uns also sehr schnell bewegen und ein grosses Team zur Seite haben, in dem jeder seine Aufgabe genauestens kennt.

Wie hoch waren die Einschaltquoten?

PAI: Wir erreichten durchschnittlich einen Marktanteil von über 25 Prozent. Am Anfang betrug die Quote beachtliche 34 Prozent, bei der letzten Episode waren es 28 Prozent. Insgesamt schalteten während der ganzen Serie durchschnittlich 150ʼ000 Zuschauer pro Woche ihr Fernsehgerät ein. Wir konnten uns also behaupten und sind stolz auf unser Publikum.

RG: Die Serie wurde um 20.10 Uhr auf RTS ausgestrahlt. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auf den französischen Sendern die Tagesschau. Die Episoden begannen somit zu einer guten Zeit, doch sobald die französische Tagesschau fertig war, hatten wir mit der zähen Konkurrenz der französischen Programme zu kämpfen.

Wie geht es nun weiter?

PAI: Es ist noch zu früh für eine Antwort. Wir wissen nur, dass es als Serie keine zweite Staffel geben wird. Zumindest nicht in nächster Zeit. Wir überlegen uns aber mit der RTS, in welcher Form wir unserem Publikum eine Fortsetzung bieten könnten. Für einen Entscheid sind noch weitere Gespräche nötig.

«Station Horizon» wird auch in der Deutschschweiz ausgestrahlt werden. Können Sie uns mehr dazu sagen?

PAI: Wir wissen, dass die Serie auf SRF gezeigt wird, doch wir kennen das Sendegefäss noch nicht. Im Moment wird die Serie synchronisiert.

Wie sind die Beziehungen zu Ihren Deutschschweizer Kolleginnen und Kollegen? Interessiert es Sie, wie sich die audiovisuelle Produktion dort entwickelt?

RG: Wir treffen die für die Fiktion Verantwortlichen immer wieder mal an Anlässen. Den Austausch mit Urs Fitze, Leiter der Abteilung Fiktion SRF, anlässlich des Festivals Série Séries in Fontainebleau schätzten wir sehr. Er erklärte uns, wie die Produktion beim SRF vor sich geht. Sie unterscheidet sich stark von jener der RTS in der Westschweiz. Übrigens wurde die Webserie «Break Ups» in beiden Sprachregionen gedreht. Das erlaubte uns, eng mit den Deutschschweizern von SRF und den unabhängigen Filmschaffenden zusammenzuarbeiten. Dabei entdeckten wir hervorragende Schauspieler und Schauspielerinnen.

Gibt es noch andere laufende Projekte?

RG: Jede Menge ! Ein Dokumentarfilm von uns wird demnächst auf RTS ausgestrahlt: «Le Printemps des Rennes». Und dann warten wir natürlich ab, ob «Station Horizon» eine neue Chance erhält.

PAI: Ausserdem sind wir im Begriff, mit unserem Partner Zodiak Fiction & Docs in Frankreich ein internationales Programm zur Förderung von Serien auf die Beine zu stellen. Es handelt sich um eine gemeinsame Initiative für die Finanzierung viel versprechender Pitches, unmittelbar bevor die Serien den Sendern vorgestellt werden. In diesem Rahmen entwickeln wir neue Projekte für eine internationale Koproduktion mit Partnern in Frankreich, Belgien und Kanada.

Die SSR SRG kündigt Sparmassnahmen an, das Budget wird ab 2016 um 40 Millionen Franken gekürzt. Sorgt Sie das im Hinblick auf die Fernsehproduktion? Der neue Pacte wird ja ab Anfang nächstes Jahr lanciert.

PAI: Natürlich. Man hat einen einzigen Kunden und der kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten. Das betrifft einen ganz direkt. Das Gegenteil wäre uns lieber: dass er mehr Geld hätte und wir nicht eine Serie weniger, sondern jedes Jahr eine Serie mehr machen könnten! Doch wir wissen ja, was wir tun. Wir haben dieses Metier gewählt im Wissen, dass wir in der Schweiz mit einem einzigen Partner würden arbeiten müssen. Doch ein bisschen erschüttert uns alle die Situation schon, intern und extern. Nun werden wir uns zusammentun, nach Lösungen suchen und weiterhin schöne Programme machen.

RG: Wir sind trotzdem zuversichtlich, weil wir es von Natur aus sind. Wenn wir uns neu erfinden müssen, werden wir das tun. Doch wir verfolgen die Entwicklung aufmerksam und konzentrieren uns weiterhindarauf, was wir am besten können: Geschichten erzählen und ihnen den Weg zu unserem Publikum ebnen.

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