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Die Erfahrungshungrige


07. Januar 2016

C’est sur les planches des grands théâtres allemands qu’Ursina Lardi a fait sa carrière. Elle est chez nous un peu moins connue. Les Journées de Soleure consacrent cette année une « Rencontre » à la comédienne grisonne.

Ursina Lardi hat auf den grossen deutschen Bühnen Karriere gemacht, bei uns kennt man die Schauspielerin weniger. ­­Nun richten die Filmtage der gebürtigen Bündnerin eine «Rencontre» aus.  

Von Kathrin Halter

Ursina Lardi ist viel unterwegs, nicht nur geographisch. Als wir miteinander telefonieren, ist die Schauspielerin gerade in Rennes, bei den Endproben für das neue Stück von Milo Rau («Mitleid, die Geschichte des Maschinengewehrs»). In der Woche zuvor gastierte sie mit «Ödipus der Tyrann» (nach Sophokles/Friedrich Hölderlin) in Paris; auch dies eine Produktion der Schaubühne Berlin, bei der sie seit 2012 zum Ensemble gehört. Und Mitte Dezember war sie dann mit «Karamasow» im Schauspielhaus Zürich zu Besuch, einer freien Produktion von Thorsten Lensing, mit dem sie nun schon zum dritten Mal zusammenarbeitet. 
Das Unterwegssein rührt zum einen daher, dass die Schaubühne mittlerweile einen schönen Teil ihrer Einnahmen über Gasttourneen einspielt. Es hat aber auch etwas mit der Schauspielerin selber zu tun, die sich nicht festlegen will: «Es ist mir sehr wichtig», sagt Ursina Lardi, «in verschiedensten Zusammenhängen zu arbeiten. Mir wird es sonst schnell langweilig. Es geht aber auch darum, Abhängigkeiten zu verhindern». 

«Mir wird es schnell langweilig» : Bei Lardi klingt das wie ein Schlüsselsatz, der Ausruf einer Erfahrungshungrigen, die Routine nicht ausstehen kann. Beim Gespräch fällt ihre Ungeduld auf, bei Fragen, die sie nicht interessieren oder die sie schon zu oft gehört hat. Sie spricht schnell, fordernd, bestimmt – denkt aber auch mal länger nach, wenn sie sich einer Sache nicht sicher ist. Dabei wirkt sie überhaus herzlich, ihr Lachen ist warm. 

Um «Abhängigkeiten zu vermeiden» und weil es ihr Freude macht, hat sie über zehn Jahre lang als freie Schauspielerin gearbeitet, mit Stückverträgen in Düsseldorf oder Frankfurt, bevor sie 2012 zum Ensemble der Schaubühne stiess. Deshalb spielt sie auch heute immer wieder in freien Produktionen mit; bei der Schaubühne hat sie einen Vertrag, der ihr diese Freiheit erlaubt. Und deshalb macht sie auch Filme, fürs Kino wie fürs Fernsehen; sogar in einer zeitgenössischen Oper hat Ursina Lardi schon mitgewirkt. «Ob Theater oder Film – inzwischen spielt das keine so grosse Rolle mehr. Ich habe die ganzen Jahre daran gearbeitet, dass beides nebeneinander möglich ist. Das Inspirierende ist ja, dass man verschiedene Dinge macht im Leben».

Von Chur nach Berlin

Geboren wurde Lardi 1970 im bündnerischen Samedan, aufgewachsen ist sie dreisprachig in Poschiavo, Samedan und Chur. Deutsch begann sie erst mit zehn richtig zu sprechen, nach Italienisch und Romanisch. Nach dem Lehrerseminar in Chur zog Lardi mit zweiundzwanzig nach Berlin und studierte dort Schauspiel an der Hochschule Ernst Busch. Dort lebt sie immer noch. 
Während sie in Deutschland inzwischen zu den angesehen­sten Bühnendarstellern ihrer Generation zählt, neben (Schaubühne-)Kollegen wie Nina Hoss oder Lars Eidinger, kennt man sie in der Schweiz viel weniger. Erst mit «Traumland» (2013) haben zumindest Theaterabstinente realisiert, was für eine tolle Schweizer Schauspielerin es da noch gibt. Zwar hat Lardi bereits drei Jahre vorher in einem Schweizer Erstling mitgewirkt, in Katalin Gödrös Familiendrama «Songs of Love and Hate» (2010) nämlich, doch für «Traumland» gab es dann den Schweizer Filmpreis als beste Darstellerin; das hat schon geholfen.
«Ursina Lardi führt das Korsett vor, in dem die Figuren feststecken – bis zur Atemnot. Nicht selten ist sie auch schrecklich komisch, darauf legt sie Wert», schrieb damals, wunderbar treffend, die Berliner Tageszeitung. Das Schreckliche und das Komische trifft auch in «Traumland» wieder aufeinander, wo Lardi eine Hochschwangere spielt, die eine Prostituierte auf dem Zürcher Strassenstrich in ein Gespräch verwickelt, um herauszufinden, was ihr Mann (Devid Striesow) hier genau sucht. Eher traurig und explosiv dann das Gefühlsgemisch in «Unter der Haut» von Claudia Lorenz, wo Lardis Figur um einen Ehemann kämpft, der sich nach vielen Jahren Zusammenleben als schwul outet. Zweimal hintereinander spielt sie die Betrogene, das ist natürlich Zufall, und als man Lardi auf die doch auffällige Häufung von Verlassenen, unglücklich Verheirateten (die Baronin in Michael Hanekes «Das weisse Band») oder einsam Trauernden in ihrer Filmographie anspricht, widerspricht sie natürlich: «Ich habe auch Mörderinnen, Ehebrecherinnen, liebevolle Lehrerinnen oder erfolgreiche Geschäftsfrauen gespielt. Es ist auch nicht die Hauptsache, was einem Menschen passiert. Sondern wie er damit umgeht. Dass man betrogen wird, ist ja eher der Normalfall. Interessant ist, was dann passiert.» 
Wie wählt sie denn die Rollen aus, welche interessieren sie besonders? «Es gibt keine schwierigen und leichten Rollen. Es gibt einfach gut oder schlecht geschriebene. Ich habe Lust auf Figuren, die mich irritieren, die überraschen, beunruhigen – und die Humor haben. Der Rest ist Spiel.» Einmal sagt sie auch: «Ich muss auch nicht alles verstehen. Plausibilität ist für mich eher un­interessant.»

Filmarbeit

Irritierend war gleich ihre erste Filmrolle, in Angela Schanelecs «Mein langsames Leben» von 2001, einem etwas strengen Film aus dem Umfeld der Berliner Schule, der mit minimalistischen Mitteln alltägliche Begegnungen aus einer Gruppe von Bekannten arrangiert und dabei gekonnt mit Auslassungen spielt. Lardi gibt hier eine junge Autorin, die etwas verloren und in sich gekehrt vor sich hinlebt und sich wie andere fragt, «wie Leben geht». Dabei sorgt sie mit einer unbändigen, schönen Tanzszene für einen verspielten Höhepunkt des Films. Mit ihrer grazilen Erscheinung und der Kurzhaarfrisur erinnert Lardi an die junge Jean Seberg; auch ihr genaues Spiel, ihre beiläufige, mühelose Präsenz ist da, die auch in späteren Filmen so auffällt.  
Der Bruder von Lardis Figur wird übrigens von Devid Striesow gespielt, mit dem die Schauspielerin noch so oft zusammenarbeiten wird, im Kino wie noch häufiger auf der Bühne. «Wir funktionieren sehr gut zusammen, mit ihm ist ein sehr lebendiges Spiel möglich, es funkt einfach. Das kommt nicht oft vor, ist ein Geschenk», sagt Lardi dazu. Auch in einigen Fernsehproduktionen hat sie mitgemacht, wie im – sehr sehenswerten – Familiendrama «Du bist dran» (2013) von Sylke Enders, an der Seite von Lars Eidinger. Extremere Rollen finden sich im Theater – und natürlich bei Michael Haneke, in «Das weisse Band» (2009). Es bleibt immer noch ihre stärkste Rolle, wie sie da in ein paar wenigen Auftritten jene vereinsamte Baronin vergegenwärtigt, die in lebensfeindlicher Umgebung, von Stumpfsinn und Brutalität abgestossen, nach Luft ringt. 
Auf die Unterschiede zwischen ihrer Theater- und Filmarbeit angesprochen, sagt Lardi: «Eine Qualität des Theaters besteht ja darin, dass man nicht so sehr an die eigene Erscheinung gebunden ist wie beim Film. Im Theater kann ich eine Vierzehnjährige spielen oder einen Mann – fast alles ist möglich. Beim Film bin ich viel mehr an mein Geschlecht oder an mein Alter gebunden.» 
Und was hält sie von der oft gehörten Klage, es fehle, besonders im Kino, an interessanten Hauptrollen für Frauen ab vierzig? Für Lardi wenigstens ist das Gegenteil der Fall: Sie habe in den letzten zehn Jahren sowohl mehr wie auch immer bessere Rollenangebote erhalten. «Deshalb kann ich in diesen Chor überhaupt nicht einstimmen.» Wer so vielem so oft widerspricht, kann sich gar nicht langweilen.

 

Filme mit Ursina Lardi an der Rencontre:
«Canzun Alpina» (2008), Sören Senn
«Das Fest» (2008), Doroteya Droumeva
«Das weisse Band» (2009), Michael Haneke
«Der Kameramörder» (2010), Adrian Pejo Robert
«Die Lügen der Sieger» (2015), Christoph Hochhäusler, Schweizer Premiere
«Du bist dran» (2013), Enders Sylke
«Lore» (2012), Cate Shortland
«Mein langsames Leben» (2001), Angela Schanelec 
«Sag mir nichts» (2016), Andreas Kleinert, Weltpremiere
«Songs of Love and Hate» (2010), Katalin Gödrös
«Traumland» (2013), Petra Volpe 
«Unter der Haut» (2015), Claudia Lorenz 

Carte blanche Ursina Lardi: 
«Mommy» (2014), Xavier Dolan

Gespräche:
Samstag, 23. Januar
16.45 – 17.45 Uhr | Kino Palace 
Revolver Live! 
Christoph Hochhäusler (Revolver) diskutiert mit der Regisseurin Angela Schanelec und den Schauspielern Ursina Lardi und Devid Striesow über ihre Zusammenarbeit.

Sonntag, 24. Januar, 17.30 – 18.30 Uhr | Kino Palace 
Baterlada Lia Rumantscha
Gespräch mit Ursina Lardi, Bruno Cathomas und Sören Senn
Mariano Tschuor (SRG) diskutiert mit den Schauspielern Ursina Lardi und Bruno Cathomas sowie Regisseur Sören Senn über ihre Karrieren, die im Bündnerland begannen und nach Berlin und Köln führten.

 

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