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Damit das Ticket zum Original erhältlich bleibt


15. Februar 2016

De plus en plus de films sont projetés en version doublée dans les salles suisses. La diversité linguistique en pâtit. L’Association Suisse du Cinéma d’Art (ASCA) veut désormais promouvoir les versions originales sous-titrées.

In Schweizer Kinos laufen immer mehr Synchronfassungen, die Sprachenvielfalt leidet. Nun will der Schweizer Studiofilm Verband (SSV) für Originalfassungen mit Untertiteln werben. Doch die Ansichten dazu gehen auseinander.

Von Kathrin Halter

Der Typ ist wütend und aufgekratzt, sein Akzent klingt so rauh wie er aussieht, nach britischer Unterschicht nämlich: «Don't you understand, it is in my culture to lose. Losing is the language I speak. I lost my job, I lost my wife, I lost my brains, I lost my teeth, and today ... (flucht) we lost two -– nil ... to Germany. Fucking Germany!!» Am Bild­rand verläuft derweil die Schriftzeile: «Nur auf Englisch tönt angepisst so richtig ange­pisst.» Dann, mit dem Logo von Independent Pictures: «Kinofilme – besser in Originalsprache.» 
Mit diesem und zwei weiteren Spots – einmal im Stil eines französischen Liebesfilms, einmal mit finnischer Lakonie – will der Schweizer Studiofilmverband für Originalfassungen im Kino werben. Dieser hat die Spots in Auftrag gegeben, gezeigt werden sie (voraussichtlich) ab Februar in Schweizer Studiokinos, auf Cineman sowie auf weiteren Kinoplattformen.

Original mit Untertiteln also. Natürlich ist damit die Aufforderung mitgemeint, die Synchronfassungen an der Kinokasse links liegen zu lassen. Diese werden nämlich immer beliebter, beim breiten Publikum wie bei den grossen Kinobetreibern: Laut Procinema sind zwischen 2003 und 2014 die Eintritte bei Originalversionen um rund 10 Prozent auf 45 Prozent gesunken, jene bei Synchronfassungen entsprechend auf 55 Prozent gestiegen (siehe dazu die Tabelle am Schluss). 
Allerdings stellt sich die Frage, was es mit dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage genau auf sich hat: Werden Synchronfassungen auch deshalb immer beliebter, weil Zuschauer oft gar nichts anderes mehr vorgesetzt bekommen? Weil es also, besonders in Landkinos, oft gar keine Alternative zur Synchronfassung mehr gibt? Oder sind Synchronfassungen einfach das, was die Mehrheit wünscht und somit ein Gebot für ein sowieso krisengeplagtes Geschäft, das sich zwangsläufig nach dem Markt richten muss? Deutschland, Österreich und die französische Provinz machen es vor, dort laufen hauptsächlich Synchronfassungen. 

Unbeliebt bei Jugendlichen

Naturgemäss fallen die Antworten so unterschiedlich aus wie die Leute, mit denen man spricht. Beat Käslin, Geschäftsführer der Zürcher Arthouse-­Kinos und Mitinitiator der Spots, gehört natürlich zu den Verfechtern der Originalversion. Den Ton zu verändern, sei ein massiver Eingriff in ein filmisches Werk, eine Verunstaltung eigentlich. Schliesslich werde den Schauspielern eines ihrer wichtigsten Ausdrucksmittel genommen, ihre Stimme und die Sprache nämlich; Schauspieler würden gewissermassen amputiert, zu Schablonen für eine meist seelenlose Synchronisation degradiert. Das Untertitellesen sei im übrigen eine Kulturtechnik wie Velo- oder Skifahren; wer es einmal kann, verlernt es nicht mehr, so Käslin. Und wer es nie lernt – wie viele Jugendliche – wird es zwangsläufig als anstrengend empfinden.
Tatsächlich hat bereits 2008 eine vom ARF in Auftrag gegebene Studie die extreme Unbeliebtheit von Untertiteln bei Jugendlichen in der Schweiz festgehalten: Danach geben 71,6 Prozent der Befragten der Synchronfassung den Vorzug. «In der Romandie und im Tessin sind es mit 74,3% und 74% etwas mehr als in der Deutschschweiz mit 69,8%. Nur knapp 10% der Befragten präferieren die Originalversion mit Untertitelung», heisst es da («Der Zugang Jugendlicher zur Filmkultur», Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften). 
Und das hat sich seither kaum verbessert, wie Sarah Genner von der Zürcher Hochschule bestätigt. Genner hat 2014 im Auftrag von «Kinokultur in der Schule» jene Fragebögen ausgewertet, die 318 Schüler und Lehrer aus 24 Gymnasial- und Sekundarschulklassen nach dem Besuch von (Deutschschweizer) Schulvorstellungen mit Schweizer Kinofilmen ausgefüllt haben. Fazit: Gefragt, was bei den Vorführungen «gestört» habe, wurden Untertitel fast am häufigsten genannt. 

In der Westschweiz dominiert die Synchronisation

Edi Stöckli wundert das wenig. Der Inhaber der Multiplexkinos Arena Cinemas bezeichnet sich zwar als einer, der es gerne echt hat. Aber er habe Verständnis entwickelt für die Teens und Twens. Stöckli hat selber eine Tochter und einen Sohn im Alter von 16 und 14 Jahren und findet, die Diskussion werde zu moralisch geführt. «Junge wollen sich amüsieren im Kino, Untertitel lesen ist für die meisten gleichbedeutend wie zur Schule zu gehen. Aber natürlich ist das individuell verschieden.» 
Zudem gehe bei der Diskussion gerne vergessen, dass es auch eine Kultur der Synchronstimmen gebe: Schliesslich würden Stars immer von denselben Sprechern gesprochen, für das Publikum klingt Johnny Depp dann eben nach David Nathan, Robert de Niro nach Christian Brückner und Dagmar Dempe nach Meryl Streep (auf Deutsch). Nicht nur das Mainstreampublikum ist mit diesen Stimmen vertraut.
In den 44 Sälen der Arena-Kinos von Zürich, Fribourg, Genf und Lugano laufen in den drei Wochen zwischen Ende Dezember und Mitte Januar 28 Filme, davon knapp die Hälfte, nämlich 13, in Originalversion – wobei dazu auch OV wie «Heidi» in der Deutschschweiz zählen.
Wenn zwei Versionen gespielt werden, bevorzugen laut Stöckli zwei Drittel bis drei Viertel der Zuschauer Synchronfassungen. Wobei es innerhalb der Sprachregionen deutliche Unterschiede gibt: In der Westschweiz und – noch extremer – im Tessin sind Synchronfassungen seit langem schon deutlich dominanter als in der Deutschschweiz, wo das Filmangebot insgesamt reichhaltiger ist. 

Studiofilme im Multiplex

Etwas anders sieht es bei grösseren Arthausfilmen aus, die vereinzelt auch in Multiplexkinos laufen. Das ist eine Entwicklung, die Beat Käslin zunehmend Sorgen bereitet. Denn bei publikums­trächtigen Studiofilmen, wo Verleiher und Kinobetreiber ein sogenanntes Crossover-Potential vermuten, werden vermehrt Synchron­kopien eingesetzt. Das habe massiv zugenommen. Damit verlerne ein potenzielles jüngeres Arthauspublikum, mit Synchronfassungen abgespiesen, das Untertitel-Lesen. Ausserdem bricht dadurch den traditionellen Studiokinos ein Teil des Publikums weg, ist Käslin überzeugt. 
Edi Stöckli hat darauf eine eher überraschende Antwort: Von grossen Arthausfilmen seien zwar auch im Multiplexkino die OV beliebter. «Oft spielen wir solche Filme auch deshalb nur in der Synchronversion, um den Studiokinos kein Publikum wegzunehmen. Ich bin nicht daran interessiert, dass es ihnen schlecht geht und hüte mich, sie mit einer aggressiven Arthaus-Politik zu bedrängen».
Eine Probe aufs Exempel: Tatsächlich läuft «The Danish Girl» in den Arena-Kinos in Zürich nur auf Deutsch (dasselbe gilt übrigens für den neuen Film von Tarantino), in Fribourg und Genf hingegen in der OV. «Irrational Man» oder «Joy» hingegen liefen auch in Zürich ebenfalls in OV. 
Nochmals eine andere Sicht hat Monika Weibel von Frenetic Films: Ge­fragt, welche Politik der auf grössere Arthausfilme spezialisierte Verleih in Sachen Synchronfassungen verfolge, meint sie: «Da spielen Verleiher keine grosse Rolle. Es sind die Kinos, die bestimmen, welche Version gespielt wird.» 
In der Regel würden hauptsächlich Originalversionen verlangt. Bei Frenetic gebe es nur vereinzelt Filme, in denen die Synchronkopien für die Zuschauerzahlen wichtig seien. «Samba» war so ein Beispiel, da sahen zirka 30 Prozent der (oder zirka 35ʼ000 von total 107ʼ000) Zuschauer in der Deutschschweiz die Synchronversion. Da Studiofilme insgesamt und besonders im letzten halben Jahr oft schlecht liefen, habe man aber sowieso andere Probleme.

Serien in Originalversion

Schwierige Zeiten also für Verfechter des Unverfälschten. Doch schaut man sich die Launen des Publikums an, zeigen sich auch Widersprüche: So laden viele Jugendliche ihre Lieblingsserien vom Netz, sobald diese zugänglich sind. Also meist auf Englisch und in jener Weltsprache, die Jugendslang und Popkultur durchtränkt. Offenbar geht Filmeschauen sogar ohne Untertitel, wenn das Bedürfnis gross genug ist.
Statistiken sind zudem auch verfänglich: Zu fast jeder Studie gibt es eine Gegenstudie – zum Beispiel jene von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene «Studie über die Verwendung von Untertiteln» von 2011, die besagt, dass untertitelte Filme einen wesentlichen Beitrag zum informellen Sprachenlernen und der Mehrsprachigkeit leisten. Und, hier kommt es, je jünger die Bevölkerung, umso ausgeprägter sei die Bevorzugung der Untertitelung. 

 

Vergleich Original- und Synchronversionen (ganze Schweiz)

2003                                         
Besucher Orignalversion         9'325'815     54.98%

Besucher Synchronversion     7'637'181     45.02%

Besucher total                       16'962'996   100.00%

2014                                        
Besucher Orignalversion         5'927'528     44.76%

Besucher Synchronversion     7'315'047     55.24%

Besucher total                       13'242'575   100.00%

Entwicklung zwischen 2003 und 2014         
Besucher Orignalversion         -18.58%

Besucher Synchronversion      22.69%

Diese Tabelle zeichnet allerdings bezüglich der Anzahl Eintritte in OV ein zu positives Bild, weil in den Zahlen auch die deutschsprachigen Filme in der Deutschweiz, die französischsprachigen in der Romandie sowie die italienischsprachigen im Tessin (ebenfalls OV) enthalten sind. 
Betrachtet man die drei Sprachregionen der Schweiz separat, und sieht man zudem von den OV in der eigenen Sprache (also von den französischsprachigen OV in der Romandie etc.) ab, ergibt sich folgendes Bild:

Besucher von OV in der Deutschschweiz
2003: 58,46 %

2014: 35,66 %

Besucher von OV in der Romandie
2003: 35,18%

2014: 33,82 %

Besucher von OV im Tessin
2003: 5,69 %

2014: 6,01 %

Allerdings ist auch diese Statistik mit Vorsicht zu geniessen, da einzelne Erfolge wie «Intouchables» (in französischer OV gezeigt) mit über einer halben Mio Eintritte in der Westschweiz die Statistik massiv beeinflussen, wie René Gerber von ProCinema sagt. 

 

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