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Die Nachfinanzierung darf nicht zukünftige Projekte verhindern

Pascaline Sordet
15. Mai 2020

Am meisten Probleme verursachen in den kommenden Monaten jene Filme, die noch nicht fertig realisiert sind. © Nik Shuliahin / Unsplash

Die sistierten Dreharbeiten müssen fortgesetzt werden, doch mit welchem Geld? Die Filmförderer geben erste Antworten auf diese Frage – dank des Instruments der Nachfinanzierung.

Nach der Schliessung der Kinos hörten die Dreh­arbeiten auf. Die Kameras wurden versorgt, die Schauspielerinnen und Schauspieler nach Hause geschickt, die Crews ins Land zurückgeholt, die Lichter gelöscht. Die Dreharbeiten für «Olga» von Elie Grappe (Produktion: Point Prod) haben mit jungen Turnerinnen und Turnern begonnen und sind dann am 13. März, nach 19 von 33 Drehtagen, abgebrochen worden. Auch die Crew von Paradigma Films, die in Luxemburg an «Une histoire provisoire» von Romed Wyder beteiligt war, hat ihre Koffer gepackt. Die Situation ist im ganzen Land ähnlich: Für «Atlas» von Niccolò Castelli fehlen zwei Drehtage in Marokko mit italienischen Schauspielern. Der Film kann nicht fertiggestellt werden.

In einem ersten Schritt einigten sich die Produzentenverbände und das ssfv über Arbeitslosigkeit, Vertragsstatus und Modalitäten für die Rückkehr zur Arbeit. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht möglich zu sagen, wann die Dreharbeiten wiederaufgenommen werden können, doch die Frage nach dem Wie stellte sich sehr schnell. Ein Filmbudget bewegt sich in einem klar definierten Rahmen, und ein Teil der bereits gebundenen Gelder ist nicht rückzahlbar.

 

Sofortmassnahmen

Der Bund reagierte rasch, um die finanziellen Schäden zu begrenzen. Zunächst mit gesamtwirtschaftlichen Massnahmen (Kurzarbeitszeitentschädigungen für Angestellte in befristeten Arbeitsverhältnissen, Entschädigungen bei Erwerbsausfällen für Selbstständige und Liquiditätshilfen für Unternehmen), dann mit einem von den Kantonen verwalteten 280-Millionen-Fonds für die Kultur. So konnten die Produktionsfirmen Entschädigungen in Höhe von 80 Prozent der Verluste fordern, die die Covid-19-Präventionsmassnahmen verursach­ten. Entsprechende Anträge waren bis 20. Mai einzureichen. In der Romandie hat man im Einvernehmen mit den Kantonen beschlossen, die Dossiers aus der Filmbranche Cinéforom vorzulegen, «damit Unterstützung und höchstmögliche Genauigkeit gewährleistet sind. Das beschleunigt die Verfahren, auch wenn die Anträge anschliessend von den Kantonen bearbeitet werden», sagt der Geschäftsleiter von Cinéforom, Gérard Ruey. Doch er ist vorsichtig und bezweifelt, dass das Geld vor September eintreffen wird.

Die Dreharbeiten für den Spielfilm «Olga» dürften frühestens dann fortgesetzt werden: «Unsere Schauspielerinnen und Schauspieler sind Athleten, die derzeit verstreut bei sich zu Hause leben», erklärt der Produzent Jean-Marc Fröhle. «Sie werden zuerst wieder eine Trainingsphase benötigen, und was uns betrifft, so möchten wir die letzten drei Wochen in einem Block drehen.» Doch bis dahin gibt es viele Unwägbarkeiten. Der Film ist nicht der einzige betroffene Bereich, und die Kantone werden sich sowohl mit kleinen unabhängigen Theater­truppen als auch mit Grossveranstaltern wie Opus One befassen müssen. «Wir stecken in einer unübersichtlichen Situation, ohne zu wissen, was überhaupt übernommen wird und ob die Entschädigungen tatsächlich 80 Prozent der Verluste decken werden», so Fröhle.

 

Die letzte Tranche

Nehmen wir an, dass im bestmöglichen Fall die 80 Prozent vollumfänglich entschädigt werden, dann bleiben noch 20 Prozent. Wenn alle Möglichkeiten, von den beschlossenen Massnahmen zu profitieren, ausgeschöpft sind, werden die Produktionsfirmen nicht einfach sich selbst überlassen sein. Im Wissen um die wirtschaftliche Fragilität eines Filmdrehs haben sich die Filmförderer, das BAK, die SRG und die Regionalfonds (Zürcher Filmstiftung, Cinéforom, Pro Cinéma Bern sowie die Filmförderung Basel-Stadt und Basel-Landschaft) zusammengeschlossen, um diese letzte Tranche im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Beteiligung zu kompensieren und somit die Wiederaufnahme der Arbeiten unter guten Voraussetzungen zu ermöglichen.

Das Bundesamt für Kultur präzisiert in seiner Mitteilung, dass – um den Filmkredit möglichst zu schonen – zuerst zwingend alle Bundes- und Kantonslösungen genutzt werden müssen, bevor die skizzierte Nachfinanzierung ins Spiel kommt. Weshalb? Weil derzeit geplant ist, die Gelder für die Nachfinanzierung dem aktuellen Budget zu entnehmen, was bedeutet, dass dieser Betrag im Herbst nicht mehr für die Finanzierung neuer Projekte zur Verfügung stehen wird.

 

Kredit auf die Zukunft

Genau diese Situation möchte die Filmbranche jedoch vermeiden. In ihrem Brief vom 30. März an das BAK nehmen die drei Produzentenverbände (SFP, GARP, IG) und der ARF/FDS schon sehr früh Stellung und begrüssen eine Nachfinanzierung bei zugesicherten Projekten, sind jedoch der Auffassung, dass diese nicht nur für die selektive Herstellungsförderung, sondern für sämtliche Projektphasen sowie für die Standortförderung FiSS möglich sein soll und fordern, dieses Geld nicht dem ordentlichen Filmkredit zu belasten: «Es muss sichergestellt werden, dass es zu keinen Umverteilungen von Mitteln des Filmkredits auf Kosten von einzelnen Sparten kommt. Wir gehen denn auch davon aus, dass dem nicht so ist, sondern dass der Filmkredit insgesamt erhöht wird». Bislang wurde diese Anliegen nicht erhört.

Was gross ist diese Belastung, wo doch die Branche dringend neue Projekte braucht, damit Filmschaffende weiter arbeiten können? «Wir haben unverzüglich einen Fragebogen an die Produzentinnen und Produzenten geschickt, um ihre Lage und ihre Mehrkosten zu erfassen, doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Gemäss den Schätzungen von Cinéforom betragen die Mehrkosten für sämtliche aufgeschobenen oder abgebrochenen Filme aus der Romandie maximal zwischen 700ʼ000 und 800ʼ000 Franken. Von diesen 800ʼ000 Franken sind 80 Prozent, also 640ʼ000 Franken, durch die Covid-19-Verordnung abgedeckt. Der Restbetrag von 160ʼ000 Franken käme für eine Nachfinanzierung in Frage. Aufgeteilt auf drei Partner entspricht dies einem Betrag von je 60ʼ000 Franken. Wir können ihn über unser Budget begleichen, zu Lasten eines Kurzfilms, aber nicht einer gesamten Session.» Jean-Marc Fröhle, der auch Kopräsident der IG ist, differenziert: «Wenn alles so abläuft, wie uns erklärt wurde, dann sind die Auswirkungen für Cinéforom tatsächlich nicht riesig, aber für das BAK könnte der Betrag rasch auf 300ʼ000 oder 400ʼ000 Franken ansteigen.» Das heisst ein Spielfilm weniger für die kommenden Jahre.

 

Ungewisse Zukunft

Bei unterbrochenen Dreharbeiten ist das Problem zwar dramatisch, aber relativ klar. Ein grösseres Problem werden in den kommenden Monaten jene Filme aufwerfen, die noch nicht begonnen wurden und daher als solche gar nicht existieren. Wenn sie nicht rasch realisiert werden, leidet die gesamte Herstellungskette darunter, befürchtet Gérard Ruey: «Der Verdienstausfall wird die technischen und die Postproduktionsfirmen sowie alle freiberuflichen Beteiligten treffen. Sie brauchen Darlehen, doch die Rückzahlung wird kompliziert sein.» Die Risiken sind konkret: Schliessung von Strukturen, Verlust von Kompetenzen und Talenten, Demontage eines bereits fragilen Berufsnetzes.

Gérard Ruey lobt den Zusammenhalt in der Branche, trotz aller Schwierigkeiten: «Ich finde, dass wir sehr proaktiv waren; es gab viele Kontakt zu anderen Finanzierern, und die Verbände leisten hervorragende Koordinationsarbeit. Die Filmbranche hat Eigenverantwortung gezeigt. Wie es weitergeht – und wie lange – kann niemand sagen.» Derselben Meinung ist auch Jean-Marc Fröhle, der in den kommenden Wochen «mehr Kampfgeist und weniger Konservatismus» auf Bundesebene fordert, damit die Politik dazu gebracht werden kann, die Nachfinanzierung nicht zu Lasten zukünftiger Projekte zu gewähren, die wir so dringend brauchen, um den Wiederaufschwung zu sichern.

 

▶  Originaltext: Französisch

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