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Belohnung oder Desaster


04. April 2016

In der letzten Ausgabe des Filmmagazins Frame werden fast 4000(!) Förderbeträge der letzten zehn Jahre von BAK, SRG und Zürcher Filmstiftung ausgewertet. In der Rangliste der meistgeförderten Regisseure werden die ersten Plätze – surprise surprise – ausschliesslich von älteren Filmschaffenden belegt. 

Der Befund scheint auf den ersten Blick keine grosse Überraschung zu sein, denn schliesslich sammelt man je mehr Förderbeträge, desto länger man im System mit dabei ist. Leider basiert diese Logik aber auf falschen Annahmen. Förderbeträge werden nämlich über die Zeit hinweg nicht konstant und gleichmässig auf alle Filmschaffenden verteilt. Wäre dies der Fall, so würde der Nachwuchs ebenfalls kontinuierlich unterstützt. Doch die grosse Mehrheit der Schweizer Nachwuchsfilmschaffenden macht im Schnitt bloss einen bis keinen von offiziellen Förderstellen unterstützten Spielfilm. Von einer Kontinuität für alle Filmschaffende kann also nicht die Rede sein und der Befund von Frame muss somit anders erklärt werden. 

Ein anderer Ansatz besagt, dass, unabhängig von Alter und Hintergrund der Filmschaffenden, nur die «besten» Projekte unterstützt werden. Das würde bedeuten, dass die «besten» Schweizer Filme von älteren Männern gemacht werden. Wie in Frame erwähnt, ist dies im Ausland nicht der Fall. Dort wären ziemlich sicher auch Namen wie Xavier Dolan oder Mia Hansen-Løve auf der Liste. Jüngere, weibliche und sexuell offenere Filmschaffende sind durchaus auch fähig, «beste» Filme zu machen – zumindest im Ausland. 

Die Erklärung, warum die ersten Plätze der Rangliste von älteren Filmschaffenden belegt werden, muss also irgendwo zwischen den beiden (falschen) Annahmen liegen. Klar wird aber, dass junge und vor allem weibliche Filmschaffende in diesem Land keine faire Chance erhalten, sich kontinuierlich zu entwickeln. Dieser Befund ist einmal mehr alarmierend. Auch die letztjährige Focal-Studie hat ja klar aufgezeigt, dass der Anteil von Urheberrechtsentschädigungen an Frauen im Film in den Jahren 2010-2014 bei gerade mal 23% lag. Noch trauriger war der leider selten beachtete Nachwuchsaspekt dieser Studie: Die Entschädigungen an Filmschaffende unter 40 (!) Jahren lag bei lächerlichen 12% (Frauen und Männer zusammen). 

Aber was tun? Nun, wir müssen endlich von der Idee wegkommen, dass die jungen und weiblichen Filmschaffenden nach den Regeln der (meist) männlichen Altmeister bewertet werden. Wir müssen die neuen Generationen dort abholen und fördern, wo sie bereits sind. 

Zum Glück bietet das aufkommende digitale Zeitalter eine perfekte Gelegenheit hierzu, denn jüngere Filmschaffende kennen sich besser mit modernen Technologien, Formaten und Narrativen aus. Diese Technik-affinen Menschen müssten sich aber auch in Entscheidungspositionen und Kommissionen wiederfinden, was im Moment leider zu wenig der Fall ist. Eine Öffnung in diese Richtung seitens der Förderpolitik gäbe dem Nachwuchs automatisch einen Vorteil. Doch dafür muss sich die Filmpolitik aktiver mit innovativen Techniken, neuen Narrativen und Vertriebsformen befassen. Sie muss es wagen, 10 bis 20 Jahre vorauszuschauen, statt sich hinter den Detailfragen der Gegenwart zu verstecken.  

In ihrem Bestseller «The Second Machine Age» sprechen die beiden Wirtschaftsprofessoren Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson vom renommierten MIT von einer «zweiten industriellen Revolution», die auf uns zukommt, ähnlich wie die technischen Erfindungen in der zweiten Hälfte des ­18. Jahrhunderts. Diese Revolution sei «eine Wende zum Guten – Überfluss anstatt Knappheit, Freiheit anstatt Einschränkung –, aber eine, die uns schwierige Herausforderungen beschert und uns schwierige Entscheidungen abverlangt.» Auch Filmschaffende, Filmpolitiker und Filmaktivisten in der kleinen Schweiz sollten sich diesen Herausforderungen stellen. Denn, so die Autoren des Buches weiter, «es wird eine Belohnung geben, oder aber ein Desaster, wie es die Menschheit noch nie gesehen hat.» Es liegt also an uns, welche Kulturförderung wir haben, ob wir handeln oder passiv zuwarten. Denn die Technologien werden kommen, ob wir es wollen oder nicht, in Form von persönlichen Drohnen, selbstfahrenden Autos, plenoptischen Kameras oder 3D-Druckern, um nur ein paar zu nennen, und sie könnten auch eine Chance für Filmschaffende sein. 

Mirko Bischofberger

SwissFictionMovement ist ein Verein, der sich für bessere Förderbedingungen von unkonventionell hergestellten Spielfilmen einsetzt

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