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Gegenbewegung des Handgemachten

Kathrin Halter
18. März 2018

Jürgen Haas, Leiter des Bachelor-Studiums Animation an der HSLU, über die Abwanderung von Kreativen aus Luzern, das neue Wir-Gefühl und die Digitalisierung in der Animation.

Wissen Sie, wo Ihre ehemaligen Studenten nach dem Bachelor oder Master in Animation arbeiten? Wie steht es um ihre berufliche Auslastung?
Ich kenne keine Ehemaligen, die keinen Job gefunden haben, auch wenn sie nicht alle- samt direkt in der Animation arbeiten. Vor einiger Zeit haben wir eine Umfrage gemacht, da sah es wirklich gut aus. Das hat auch damit zu tun, dass wir vor fünf Jahren den Fokus mehr auf die handwerkliche Ausbildung gerichtet haben. Der Druck, der durch unsere Absolventen auf die Branche ausgeübt wird, tut dieser gerade gut. Andererseits ist die Filmindustrie in der Schweiz immer noch sehr klein und ist durch die Masseneinwanderungsinitiative aus dem Europäischen Förderkontext gekickt worden.

Die HSLU bietet als einzige Hochschule in der Schweiz ein Animations-Studium an. Inwiefern profitiert ihr von dieser Position?
In der Animation profitieren wir natürlich von diesem Monopol. Gleichzeitig sehen wir uns im europäischen Wettbewerb und konkurrieren um die kreativsten Köpfe mit den anderen Hochschulen, die wie die ZHdK mit Game-Design oder Cast / Audiovisual Media verwandte Ausbildungen anbieten. Schwierig ist es leider immer noch, Westschweizer fürs Studium in Luzern zu gewinnen. Die Sprache wirkt da offenbar als Handicap – dabei bieten wir bei Bedarf den Unterricht in Englisch an und die meisten Dozierenden und Studierenden sprechen auch Französisch – das kriegen wir alles prima hin! (Lacht) Trotz- dem haben wir dieses Jahr 29 Studierende aus dem deutschsprachigen und nur eine aus dem französischsprachigen Raum, das ist schade, denn die Westschweizer Art tut unserer Studienrichtung extrem gut.

Was hat sich mit dem Umzug in die Viscosistadt verändert?
Wir wachsen an einem Standort zusammen, nach der zweiten Umzugsetappe 2019 sind dann alle Studienrichtungen und Werkstätten hier. So entwickelt sich ein Wir-Gefühl. Ein zentraler Standort ist auch wichtig, um der Abwanderung aus der Region Luzern entgegenzuwirken: Etwa 80 Prozent der Hochschulabgänger und somit auch entstehende Kreativfirmen ziehen weiter nach Zürich, Basel oder Bern.

Ihr hofft also, dass die Leute auch dank Viscosistadt vermehrt im Raum Luzern bleiben?
Das wäre ideal. Es fehlt aber noch an der Sensibilität von Politik und Wirtschaft. Im Vergleich zu anderen Regionen ist die Filmförderung in der Zentralschweiz schlicht erbärmlich. Dank der Albert-Koechlin-Stiftung hat sich die Situation zwar verbessert, doch muss hier noch viel mehr geschehen.

Zurück zum Animationsfilm. Trotz fortschreitender Digitalisierung entstehen etwa Zeichentrickfilme oft noch auf Papier. Was spricht für das Handwerk, für «analoges» Arbeiten?
Die grösste Herausforderung ist immer noch eine gute Idee und wie man diese erzählt und gestaltet. Das nimmt einem kein Computer ab. Der Mensch bleibt die treibende kreative Kraft; die Software über- nimmt dabei Teile in der Umsetzung. Es gibt zu jeder digitalen Welle eine Gegenbewegung des Handgemachten. Von den Möglichkeiten des Machbaren ist man irgendwann übersättigt. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist die Vernetzung von Hand und Gehirn seit Millionen Jahren angelegt. Das Bedürfnis der Kreativen, die Hände unmittelbar am Material zu benutzen, bleibt. Trotzdem arbeiten manche lieber am Computer, das ist individuell verschieden und ist weder besser noch schlechter.

Es ist auch nicht so, dass die Digitalisierung viele Animatoren überflüssig macht?
Die Angst hat sich jedenfalls nicht bestätigt.Als zum Beispiel um die Jahrtausendwendedas «Motion Capturing» entwickelt wurde,ein Verfahren, bei dem Körperbewegungeneingescannt und auf Figuren übertragen werden, da stellte man sich die Frage, was nunaus den Scharen von Animatoren werden soll.Die Frage ist schnell obsolet geworden, weil sichzeigte, dass diese in anspruchsvollen Bereichen immer noch viel bes- ser sind als die Maschinen. Auch wenn etwa für kommerzielle, billi- ger gemachte Kinder-Serien digitale Tools zum Einsatz kommen, mit denen man sehr viel effizienter arbeitet. Die sind aber meist auf einem gestalterisch niedrigen Niveau.

Künstlerische Hochschulen müssen heute auch Forschung betrei- ben. Ist das überhaupt zu bewerkstelligen?
Die Forschung findet ja nicht im Bachelor statt, obwohl sie natürlich da hinein wirken sollte. Wir haben eine Forschungsabteilung, die verschie- dene Projekte verantwortet. So untersuchten wir in der Vergangenheit die Wirkungsweisen von Displays im öffentlichen Raum oder die Dra- maturgie kurzer Filmformate; gegenwärtig entsteht in Koproduktion mit der SRG eine Studie über die Wirkung von 360-Grad-Inhalten.

Man muss auch sehen, dass der Forschungsbegriff sehr stark von der Natur- und Geisteswissenschaft geprägt ist; die künstlerischen Hoch- schulen sind hier immer in der Defensive. Bologna diktiert etwa, dass jeder Dozent, der im Master unterrichtet, einen Doktortitel haben muss. Ich kenne aber keinen einzigen relevanten Animationsfilm, der von einem Doktor gemacht wurde. Also muss man einen künstleri- schen Ph.D. definieren, um den Vorgaben gerecht zu werden.

«Dem Irrsinn voraus» – so lautet eine Überschrift auf eurer schön gemachten Website. Wieviel Irrsinn braucht es in diesem Beruf? Spielen Sie damit auf den grossen Aufwand an, der meist betrieben werden muss?

Vielleicht ist es so: Leidenschaft ist in diesem Beruf wichtig, sollte aber nicht zum Irrsinn werden. Man muss auf dem Boden bleiben, im Leben verankert sein – das versuchen wir den Studierenden zu vermitteln. Was den teils enormen Aufwand anbelangt: Der liegt ja nur in einem anderen Bereich als etwa im Spielfilm, wo für ein paar Sekunden Aufnahme vielleicht fünfzig Leute eine Nacht lang im Wald herumstehen. In der Animation braucht es eine andere Art von Geduld; Improvisationsmöglichkeiten gibt es weniger, man muss extrem akkurat arbeiten.

Wenn Sie zuletzt eine kleine Typologie von Animatoren erstellen müssten – wie würde diese aussehen?
Hmmm... (lacht). Wir haben keine Studieren- den mit Karohemden und Pullundern. Ansons- ten ist es wie überall: Es gibt die Geduldigen und die Ungeduldigen. Die Extrovertierten und die Introvertierten. Dieses wunderbare Medium ist es jedenfalls wert, einen Grossteil seines Lebens darein zu investieren.

Der GSFA wird 50

DerGroupement Suisse du Film d’Animation (GSFA) wird fünfzig. Der Berufsverband der pro- fessionellen Animationsfilmschaffenden wurde im Herbst 1968 in Genf gegründet.

Gefeiert wird ab Sommer mit einer Wanderausstellung zum Animationsfilmschaffen in der Schweiz, die Ende August im Rahmen des Fantoche 2018 im Kunstraum Baden eröffnet wird und dann am Animatou in Genf, in Bellin- zona, Dietikon und Luzern Halt macht. In Arbeit ist auch ein gemeinsamer Jubiläumsfilm.

swissanimation.ch

Das Leben der Puppen

Pascaline Sordet
18 März 2018

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