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Das Leben der Puppen

Pascaline Sordet
18. März 2018

Als Jugendlicher war Elie Chapuis Fan von «Wallace & Gromit», «Nightmare Before Christmas» und «Chicken Run» – lauter Kult- filme der Stop-Motion-Animation. Doch die Offenbarung kam schon etwas früher: «Ich war gerade krank, als Arte eine Themenwoche zum hundertjährigen Bestehen des Kinos zeigte; das muss 1994 oder 1995 gewesen sein. Einen Tag lang ging es um Animationsfilme, und ich sah tschechische Filme von Jiří Trnka, die mich zutiefst beeindruckt haben.» Elie beginnt, auf dem Dachboden seines Elternhauses Knet- masse und Spielzeugautos zu animieren und findet so seine Berufung.

Über den Sohn des Künstlerpaares Dominique und Gaspard Delachaux lernt er eher zufällig Nag Ansorge kennen. Der Gründervater des GSFA zeigt ihm andere, schwerer zugängliche Filme und ermutigt ihn selber zur Animation. «Nag sagte zu mir: Du musst es auf jeden Fall versuchen. Wenn es nicht gelingt, ist es auch nicht weiter schlimm.» Also absolviert Elie Chapuis nicht wie geplant die Krankenpfle- geschule (auch wenn er immer noch überzeugt ist, dass er ein ausgezeichneter Krankenpfleger wäre, und wir ihm das durchaus glauben), sondern eine Animationsausbildung.

Von «Max & Co» zu Hélium Films

Seine Familie unterstützt ihn, er macht die Matura, pausiert danach ein Jahr lang, um zeichnen zu lernen und sich verschiedene Schulen anzuschauen, durchläuft einige Aus- wahlverfahren und tritt schliesslich in die EMCA in Angoulême ein.

Während seiner Ausbildung lernt er verschiedene Techniken – «Ich war nie gut im Zeichnen und bin es heute noch nicht», – nutzt jedoch jede Gelegenheit, um sich in 3D-Animation zu üben.

Mit 22 erhält er seinen ersten Job in der Schweiz, wieder dank dem Ehepaar Delachaux, das die Brüder Guillaume kennt. Es ist das Projekt, aus dem später «Max & Co» entsteht. Elie Chapuis macht (mit Ausnahme des Piloten) die gesamte abenteuerliche Filmproduktion mit, wird vom Animationsassistenten zum Animator. Das ging schnell, wie er einräumt, zeigt aber auch, dass sich sein Beruf schnell weiterentwickelt: «Damals durchlief der lange Animations- film grosse Veränderungen. Filme mit solchen Ansprüchen, solch grossem Budget und einem so grossen Team gab es bis dahin nur wenige neben den Filmen von Tim Burton und Henry Selick, den Aardman-Produktionen und einigen Versuche in Osteuropa.» Bei den Freiburger Brüdern begegnet Elie auch dem grossen, phlegmatischen und stets gut gelaunten Claude Bar- ras. Die beiden arbeiten gemeinsam an «Sainte Barbe» und werden Partner bei Hélium Films. Elie Chapuis beteuert, er habe in Bezug auf die Produktion «alles von ihm gelernt».

Es gibt weltweit gerade einmal 150 Animatoren, die in den letzten zehn Jahren min- destens zwei lange Animationsfilme mit dem Anspruch von «Ma Vie de Courgette» geschaffen haben. Elie Chapuis arbeitet derzeit an seinem fünften. Er beschreibt die Situation wie folgt: «Die Welt des Animationsfilms ist eine kleine Welt, und innerhalb dieser kleinen Welt wird die winzige Welt der Puppenanimation als eine Welt von etwas verrückten Leuten betrachtet, die an einer extrem aufwändigen Technik fest- halten.» Die zuweilen undankbare Seite des Berufs schafft eine gewisse Nähe, eine ganz besondere, familiäre Atmosphäre, sagt Elie Chapuis. Lachend gibt er zu: «Ich mag die dörfliche Atmosphäre, deshalb fühle ich mich auch in Lausanne so wohl.» Bei jedem Projekt trifft er wieder auf Leute, die er seit langem nicht gesehen hat und mit denen ihn etwas Besonderes verbindet, das durch die Akribie der Arbeit entstand.

Filme von Wes Anderson

So geschah es auch bei «Isle of Dogs», dem neuen Film von Wes Anderson, der zum Auftakt der Berlinale gezeigt wird. Nach «Fantastic Mr. Fox», an dem Elie Chapuis bereits mitgearbeitet hatte, kehrte der Filmemacher zum Animationsfilm zurück. Elie stieg auf dem Höhepunkt der Produktion in das Projekt ein und verbrachte sieben Monate in London, begegnete Wes Anderson jedoch nur ein einziges Mal. «Seine erste Mail kam um sieben Uhr früh und die letzte um elf Uhr nachts; die ganzen Dreh- arbeiten wurden rund um seine Abwesenheit herum organisiert.» Der Amerikaner leitete die sehr hierarchisch organisierten Dreharbeiten von zu Hause aus.

Auf dem Papier wirkt Elie Chapuis’ Wer- degang klar und geradlinig, doch es gab auch schwierige Phasen. «Ich weiss nicht, ob du das im Artikel erwähnen willst?» Scheu erzählt er trotzdem, dass er Mitte der 2000er-Jahre Angebote aus dem Ausland ablehnte, sein Coming- Out hatte, weniger arbeitete, sogar an seinen persönlichen Projekten. «Mir ging es damals nicht besonders gut», so Chapuis. An seiner Berufung hat er dennoch nie gezweifelt: «Ich hatte das grosse Glück, mir darüber nie Gedanken machen zu müssen. Ich war mir immer sicher, dass ich Puppenanimation machen will. Selbst wenn die Bedingungen schwierig sind, bin ich heute noch ganz aufgeregt, wenn ich an einem Film arbeite. Wenn ich mit meinen Puppen alleine bin, fühle ich mich immer noch genauso wie damals auf dem Dachboden meiner Eltern.»

Elie ist auch Regisseur, was längst nicht für alle Animatoren gilt. Der Frage nach dem Drehbuchschreiben weicht er jedoch aus. «Es hat mir riesig Spass gemacht, meinen ersten Film ‹Imposteur› zu realisieren, und ich arbeite schon am nächsten. Doch um selbst Geschichten zu erzählen, braucht es eine ruhige Kraft à la Claude Barras, die ich vielleicht noch nicht habe.»

▶ Originaltext: Französisch

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